Außen- und Sicherheitspolitik

Der G7-Gipfel: Ein Signal für die europäisch-kanadische Partnerschaft

von Gerd Braune (Ottawa)

Die Grenze zwischen den USA und Kanada gilt als „längste nicht-militarisierte Grenze der Welt“. Sie ist 8891 Kilometer lang. Es gibt noch weitere Superlative. Die USA verkaufen nach Kanada mehr Waren als an China, Japan und Großbritannien zusammen. Für zwei Drittel der US-Staaten ist Kanada der größte Exportmarkt. Und seit 150 Jahren ist Kanada ein Allierter der USA. „Amerika hat keinen besseren Freund, Verbündeten oder Partner als Kanada. Wir pflegen die längste, friedlichste und für beide Seiten nützlichste Beziehung, die zwei Länder in der Geschichte haben“, sagte Kanadas Premierminister Justin Trudeau im Februar 2018 in einer Rede in der Ronald Reagan Library in Simi Valley in Kalifornien.

Nach den Entwicklungen der vergangenen Tage und Wochen fällt es schwer, dies als aktuelle Zustandsbeschreibung der kanadisch-US-amerikanischen Beziehungen zu akzeptieren. Ein unberechenbarer US-Präsident und wütend losschlagende Präsidentenberater wie Peter Navarro und Larry Kudlow haben viel Porzellan zerschlagen. Bemerkenswert ist angesichts der Tiraden nur die Ruhe und Festigkeit, mit der Kanada an seinen Positionen festhält und sich nicht auf die Schlammschlacht einlässt, die Washington begonnen hat.

In La Malbaie hatten sich die Regierungschefs der G7-Staaten auf ein gemeinsames Kommuniqué verständigen können, auch wenn dieses in wichtigen Punkten – etwa Klimaschutz und Kampf gegen die Verschmutzung der Meere mit Plastikmüll – den Dissens zwischen den USA und (im Fall des Ozeanschutzes) Japan und den restlichen G7-Ländern festschrieb. Der Gipfel fand in gespannter Atmosphäre statt, denn die Entscheidung der USA, Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte aus Kanada, der EU, Japan und anderen Staaten zu erheben, hatte die Partner der USA verärgert. Für Kanada wie die EU sind die US-Strafzölle „illegal“. Dennoch gelang es, eine Abschlusserklärung zu formulieren. In der Pressekonferenz wurde Trudeau dann nach den US-Zöllen gefragt. Und er wiederholte, was seit Wochen seine Linie ist: Dass die USA die Importbarrieren mit der Gefährdung der nationalen Sicherheit begründen, ist für Kanada, das Seite an Seite mit den USA in mehreren Kriegen kämpfte, beleidigend. Kanada werde darauf mit Gegenzöllen, Dollar um Dollar, reagieren, und Kanada werde sich nicht herumschubsen lassen: Kanada „won’t be pushed around“.

Dass die USA die Importbarrieren mit der Gefährdung der nationalen Sicherheit begründen, ist für Kanada beleidigend.

US-Präsident Donald Trump hatte zu diesem Zeitpunkt bereits La Malbaie verlassen und war auf dem Weg nach Singapur zum Treffen mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un. Obwohl Trudeau nichts Neues sagte, geriet der US-Präsident in Rage warf eine Bombe in Form von zwei Tweets auf La Malbaie. Er zog die bereits erteilte Zustimmung zum Kommuniqué zurück.

Vielleicht geht das Treffen im malerischen Charlevoix am St. Lorenz-Strom als der G7-Gipfel in die Geschichte ein, der den Zerfall der westlichen Wertegemeinschaft beförderte. Das G7-Kommuniqué ist vage. Es enthält viele Gemeinplätze. Aber selbst diese sind in der heutigen unsicheren Zeit bedeutsam. Das von Trump aufgekündigte Kommuniqué betont die „gemeinsamen Werte“, enthält das Bekenntnis zu einer „regelbasierten internationalen Ordnung“ und bekräftigt den Willen zur Zusammenarbeit der G7. Die Aufkündigung des Kommuniqués durch Trump stellt die Basis der Kooperation in der G7 in Frage.

Mit den Trump-Tweets sanken die kanadisch-amerikanischen Beziehungen auf ein gefährliches Tief

Das Verhalten des US-Präsidenten ist aus kanadischer Sicht ein beispielloser Affront gegenüber einem engen Verbündeten. Mit den Trump-Tweets und den anschließenden Aussagen von Kudlow und Navarro (für Trudeau sei ein „besonderer Platz in der Hölle“ vorgesehen, eine Wortwahl, für die sich Navarro inzwischen entschuldigt hat) sanken die kanadisch-amerikanischen Beziehungen auf ein „gefährliches Tief“, wie die Zeitung „Globe and Mail“ konstatiert. Der frühere konservative Premierminister Brian Mulroney ist über die Attacken aus Washington und den Ton entsetzt. Mulroney ist einer der Architekten des  nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta zwischen den USA, Kanada und Mexiko, über dessen Neugestaltung derzeit verhandelt wird und dessen weitere Existenz auf der Kippe steht.

Kanada hofft, dass in den USA im Streit um die Strafzölle letztendlich „gesunder Menschenverstand“ obsiegt. So hat es jedenfalls Trudeau formuliert. Außenministerin Chrystia Freeland versucht, die Nafta-Verhandlungen wieder auf eine sachliche Ebene zurückzuführen. Sie mahnt die USA, die regelbasierte internationale Ordnung zu stärken und mit den traditionellen Alliierten zusammenzuarbeiten und Allianzen zu stärken, denn keine Vorrangstellung einer Nation sei ewig, dies sei die Lehre aus der Geschichte.

Kanada wünscht sich ein starkes, geeintes Europe und beobachtet mit Sorgen die Divergenzen in der EU.

Den Europäern hat der G7-Gipfel nach all den Zweifeln seit dem Amtsantritt Trumps deutlich gemacht, dass sie auf die bisherige transatlantische Zusammenarbeit nicht bauen können. Die USA ist kein verlässlicher Partner, solange im Weißen Haus ein Mann regiert, der Argumenten gegenüber nicht aufgeschlossen ist und der Entscheidungen ohne nachzudenken aus Stimmungslagen heraus trifft. Die kanadisch-europäischen Beziehungen waren jahrzehntelang eine „wohlwollend vernachlässigte“ Partnerschaft, existent, in gutem Zustand, aber nur am Rande gepflegt. Jetzt ist Kanada der verlässliche Partner auf der anderen Seite des Atlantik. Umgekehrt brauchen die Kanadier Europa, um ihrer Politik auf internationaler Ebene zum Erfolg zu verhelfen. Kanada wünscht sich ein starkes, geeintes Europe und beobachtet mit Sorgen die Divergenzen in der EU. Das Handelsabkommen CETA mag seine Schwachpunkte haben, aber es ist an der Zeit, dass die Europäer mit einem klaren Ja-Votum diese Brücke festigen.

Und in der nordamerikanischen Kooperation gibt es ja auch einen Lichtblick. Die drei Länder, die jetzt politisch im Clinch liegen, USA, Kanada und Mexiko, dürfen 2026 gemeinsam die Fußball-WM ausrichten. Und dann ist das politische Gefüge schon wieder ein ganz anderes.

Gerd Braune lebt seit 1997 in der kanadischen Hauptstadt Ottawa und berichtet als freiberuflicher Korrespondent für Tageszeitungen in Deutschland, der Schweiz, Luxemburg und Österreich über Kanada. Seine Recherchen führten ihn in alle Regionen des Landes. Sein besonderes Interesse gilt den transatlantischen Beziehungen und den wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in der Arktis.

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