Außen- und Sicherheitspolitik

„Die nächste Generation von Transatlantikern erreichen“

„Die nächste Generation von Transatlantikern erreichen“ Foto: AA, Cosima Höllt

ie aktuellen Entwicklungen der transatlantischen Beziehungen beinhalten eine wichtige Lehre für die deutsche Außenpolitik. In einer Zeit globaler Umwälzungen und geopolitischer Unsicherheiten setzt sich die Bundesregierung entschlossen dafür ein, das Bündnis mit den USA zu stärken, erwägt aber gleichzeitig neue Partnerschaften – etwa mit Ländern Lateinamerikas. Unser Ziel muss es sein, die nächste Generation von Transatlantikern zu erreichen – für dauerhafte Sicherheit, lebendige Freiheit und nachhaltigen Wohlstand.

Von Florian Hahn

Die USA sind und bleiben unser wichtigster Verbündeter und Partner außerhalb von Europa. Das gilt gerade mit Blick auf die globalen Herausforderungen und zahlreichen Konflikte, allen voran den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Lage im Nahen Osten, und in besonderem Maße für die Wahrung unserer Sicherheit, unserer Freiheit und unseres Wohlstands.

Bei allen Verstimmungen, allen Widersprüchen ist das transatlantische Verhältnis eine tragende Säule der Außenpolitik der Bundesregierung, das transatlantische Bündnis Garant unserer Sicherheit. Dies gilt unverändert fort, unbeschadet der zum Teil kritischen Wahrnehmungen auch im öffentlichen Raum – etwa nach der Rede des amerikanischen Vizepräsidenten J. D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2025, mit Blick auf die US-Zollpolitik sowie Diskussionen zur künftigen Ausrichtung der europäischen Sicherheitsarchitektur.

Durch intensive Besuchsdiplomatie hat die Bundesregierung dies nach Amtsantritt auch gegenüber den USA nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten unterlegt. Mit Erfolg, wie die guten Kontakte zwischen dem Bundeskanzler und dem Außenminister mit ihren US-Counterparts verdeutlichen. In der NATO haben wir gemeinsam mit der US-Regierung und den Alliierten auf den Gipfel in Den Haag hingearbeitet und diesen als Allianz, als 32 Alliierte, zum Erfolg geführt, mit einem klaren Bekenntnis zur fortgesetzten kollektiven Verteidigung und zu Artikel 5 sowie der Einigung auf deutlich höhere Investitionen in unsere Abschreckung und Verteidigung, die angesichts der langfristigen Bedrohung durch Russland entscheidend sind für die euro-atlantische Sicherheit – unsere Sicherheit als Bundesrepublik Deutschland.

Sicherheit

Die russischen Luftraumverletzungen im NATO-Bündnisgebiet im September dieses Jahres, ob mit Drohnen über Polen und Rumänien oder Kampfjets über Estland, führen uns vor Augen, wie angespannt die aktuelle Situation ist. In dieser kritischen Lage kann die Bedeutung des transatlantischen Bündnisses – der wichtigsten und erfolgreichsten Verteidigungsallianz überhaupt – nicht groß genug eingeschätzt werden. Das gilt in besonderem Maße für Deutschland: Etwa 37.000 amerikanische Soldaten sind hier stationiert, zentrale militärische Einrichtungen und Infrastruktur der US-Streitkräfte befinden sich hier. Umso wichtiger ist es, dass wir – im Verbund mit unseren Alliierten und unseren europäischen Partnern – selbst mehr für unsere Sicherheit tun und Verantwortung übernehmen.

Die Bundesregierung hat mit der Reform der Schuldenbremse einen entscheidenden Schritt getan, um in unsere eigene Verteidigungsfähigkeit zu investieren. Wie unsere NATO-Alliierten werden wir bis 2035 5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – 3,5 Prozent für Verteidigungsausgaben und 1,5 Prozent für sicherheits- und verteidigungsbezogene Aufgaben – aufwenden. Im europäischen Rahmen haben wir ein Instrument geschaffen, das europäische Mitgliedsstaaten dabei unterstützt, in ihre Verteidigungsindustrie und damit auch Verteidigungsfähigkeit zu investieren. Beides ist ein Erfolg entschlossener deutscher Diplomatie, aus dem neue Kooperationsmöglichkeiten entstehen – auch mit den USA. Diese Entschlossenheit der Bundesregierung, mehr für die eigene und europäische Sicherheit zu investieren und den europäischen Pfeiler in der NATO zu stärken, wird auch durch die US-Regierung positiv anerkannt.

Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, seine militärische Aufrüstung und seine revisionistischen Ziele auch über die Ukraine hinaus sind die größte Bedrohung unserer Sicherheit. Allen Vermittlungsbemühungen des US-Präsidenten zum Trotz zeigt Putin bisher keinerlei ernsthafte Verhandlungsbereitschaft. Ein Waffenstillstand oder gar ein Ende des Krieges sind nicht absehbar. Für uns ist klar: Ohne die USA geht es nicht. Deshalb ist ein entschlossenes und nachhaltiges Engagement der USA – sei es durch die Unterstützung der Ukraine mit US-Waffensystemen und durch das Teilen nachrichtendienstlicher Erkenntnisse, sei es durch die Koordinierung von Sanktionen und anderen Druckmaßnahmen innerhalb der G7 – ein umso wichtigeres Signal an Russland. Gleichzeitig müssen wir als Europäer im Rahmen unserer Möglichkeiten noch mehr tun, um die Ukraine zu unterstützen. Deutschland hat seit 2022 bereits bilaterale militärische Unterstützung von 40 Milliarden Euro geleistet beziehungsweise für kommende Jahre bereitgestellt. Mit der Unterstützung für die Finanzierung von US-Waffenlieferungen über einen neu eingerichteten NATO-Mechanismus in Höhe von bis zu 500 Millionen Euro und den Vorschlägen des Bundeskanzlers für eine rechtssichere Nutzung der immobilisierten russischen Vermögenswerte für die Unterstützung der Ukraine gehen wir noch einen Schritt weiter. Unsere europäischen EU-Partner und NATO-Alliierten fordern wir auf, es uns gleichzutun.

Freiheit

Die USA sind durch ihre wegweisenden Entscheidungen nach dem Zweiten Weltkrieg und ihre Unterstützung bei der deutschen Wiedervereinigung ein Garant für Sicherheit, Freiheit, Wohlstand in Deutschland und Europa. Ohne die mutigen Entscheidungen der damaligen US-Regierung würde es weder ein wiedervereintes, demokratisches und wirtschaftlich starkes Deutschland noch ein freies Europa geben. Dafür bleiben wir den USA sehr dankbar.

Diese Dankbarkeit bedeutet jedoch nicht, dass wir uns jede kritische Einlassung zu Meinungsfreiheit und Demokratie in Europa, auch nicht die von einigen Vertretern der aktuellen Administration, zu eigen machen würden. Ganz im Gegenteil: Die Werte, die Europa stark machen, sowie die freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutschlands sind die Grundpfeiler unserer Freiheit. Meinungsfreiheit und Demokratie sind in Deutschland und Europa hohe Güter, die wir wertschätzen und durch unseren Rechtsstaat bewahren und verteidigen.

Wohlstand

Die Zahlen sind eindeutig: Die USA sind das wichtigste Zielland für deutsche Exporte außerhalb der EU. Die USA sind der größte außereuropäische Investor in Deutschland. Deutschland wiederum ist der drittgrößte Investor in den USA. Deutsche Tochterunternehmen haben in den USA derzeit etwa 870.000 Arbeitsplätze geschaffen, US-Tochterunternehmen in Deutschland rund 640.000, das unterfüttert die Bedeutung des transatlantischen Wirtschaftsraums. So enge wirtschaftliche Verflechtungen sind über Jahrzehnte gewachsen und lassen sich nicht kurzzeitig substituieren. Es liegt auch nicht im gegenseitigen Interesse, diese eng verwobenen Lieferketten – teils in kritischen Sektoren – aufzulösen und damit die Resilienz des transatlantischen Marktes angesichts großer geopolitischer und geoökonomischer Herausforderungen zu schwächen.

„Die Werte, die Europa stark machen, sind die Grundpfeiler unserer Freiheit.“

Perspektivisch birgt die transatlantische Zusammenarbeit immens großes Potenzial: Europa und die USA zusammen umfassen 43 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts und fast 30 Prozent des weltweiten Handels mit Waren und Dienstleistungen. Europäische Forschungseinrichtungen, Universitäten und Unternehmen sind Innovationsmotoren für die kritischen Technologien von morgen. Um dieses Potenzial voll auszuschöpfen, wird es darauf ankommen, auch in Europa unsere Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft zu stärken – und so den USA auf Augenhöhe zu begegnen.

Die Bundesregierung hat von Anfang an den Abbau gegenseitiger Barrieren unterstützt. Die erzielte Handelseinigung zwischen den USA und der EU soll nur ein Zwischenschritt sein, denn ihre Asymmetrie stellt unsere Unternehmen vor große Herausforderungen und verstärkt das Risiko einer Fragmentierung des freien Handels. Aber sie schafft kurzfristig eine gewisse Sicherheit und Planbarkeit für deutsche und europäische Unternehmen und hat eine Eskalation des Handelskonflikts mit potenziell schwerwiegenden Folgen für die europäische Wirtschaft verhindert. Deshalb unterstützt die Bundesregierung die Europäische Kommission bei den Verhandlungen mit den USA entlang unserer wirtschaftspolitischen Interessen. Die Bundesregierung wirbt gleichzeitig unter den europäischen Mitgliedsstaaten für europäische Einigkeit und setzt sich für die weitere Diversifizierung der EU-Handelsbeziehungen ein.

Neue Lehren, neue Handlungsfelder

Wenn wir auf die Entwicklungen in allen drei Feldern – Sicherheit, Freiheit, Wohlstand – seit Amtsantritt der US-Regierung und der Bundesregierung von Bundeskanzler Friedrich Merz blicken, zeigt sich: Die aktuellen Entwicklungen der transatlantischen Beziehungen beinhalten auch eine wichtige Lehre für die deutsche Außenpolitik.

Deutschland muss im Sinne des Dreiklangs Sicherheit, Freiheit, Wohlstand eine selbstbewusste, an unseren Interessen ausgerichtete punktuelle Zusammenarbeit mit Staaten neu „erlernen“. Das gilt auch oder sogar insbesondere in Fällen, in denen diese Staaten unsere Werte nicht oder auch nicht mehr vollumfänglich teilen.

Was bedeutet das? Im Falle der USA als zentraler Partner und Verbündeter bieten sich Chancen und Herausforderungen gleichermaßen. Ganz klar ist, dass wir die über lange Zeit gewachsenen gemeinsamen Werte und Interessen erhalten und dort, wo ein Konsens möglich ist, diese auf- und ausbauen.

Gleichzeitig müssen wir im transatlantischen Verhältnis über die Kernthemen Sicherheit und Wirtschaft auch entlang unserer Interessen neue Handlungsfelder definieren, um diese Zusammenarbeit nicht nur zu sichern, sondern auch in ein neues Zeitalter zu überführen.

Neue Zielgruppen

Die Beziehungen zu den USA verändern sich – das gilt insbesondere auch mit Blick auf unsere Bevölkerung: Historisch bedingt sind immer weniger Menschen in den USA und in Deutschland transatlantisch sozialisiert. Um die Beziehungen in den USA stabil zu halten, muss es deshalb auch darum gehen, sie in der Mitte unserer jeweiligen Gesellschaften zu stärken. Wir müssen uns also darum kümmern, die nächste Generation von Transatlantikern zu erreichen. Wir wollen, dass Deutschland in all seinen Dimensionen in den USA positiv wahrgenommen wird. Dazu gilt es, möglichst viele unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zu erreichen.

Die Bundesregierung und ihre Vorgänger haben in den vergangenen Jahren viel investiert: Wir haben den Austausch unserer Kulturvermittler, unserer Alumni und unserer Honorarkonsuln in den USA intensiviert, die Zusammenarbeit mit subnationalen Partnern wie Landesparlamenten, Bürgermeistern und weiteren Amtsträgern in den Bundesstaaten gestärkt und neue Zielgruppen über maßgeschneiderte Programme nach Deutschland gebracht.

Wir wollen uns jedoch nicht auf Erreichtem ausruhen und werden unsere Anstrengungen noch intensivieren. Dazu gehört unter anderem die Sportdiplomatie bei den anstehenden Großereignissen in den USA wie der FIFA-Weltmeisterschaft der Männer 2026 und den Olympischen Spielen in Los Angeles 2028. Dazu gehört, dass das Goethe-Institut neue Standorte abseits der Küsten in Houston und St. Louis eröffnet. Und dazu gehört, dass wir die vielen Menschen in den USA, die Berührungspunkte zu Deutschland haben, beispielsweise Alumni von Austausch- und Stipendienprogrammen oder Veteranen, die in Deutschland gedient haben, als Botschafterinnen und Botschafter für Deutschland gewinnen. Denn viele von ihnen sind bereit, sich aktiv für die deutsch-amerikanische Partnerschaft einzusetzen.

Zukunftstechnologien

Sei es Künstliche Intelligenz, Quantencomputer oder Raumfahrt: Wenn es um die kritischen Technologien der Zukunft geht, sind immer auch europäische Forscherinnen und Forscher und Unternehmen gefragt. Auch wenn wir nicht immer mit dem unternehmerischen Tempo in den USA und den dortigen Finanzierungsmöglichkeiten mithalten können: Zusammenarbeit in sensiblen Technologiebereichen geht aus Gründen der technischen und nationalen Souveränität nur unter gleichgesinnten Staaten. Auch deshalb besteht hier großes Potenzial für eine vertiefte Kooperation zwischen Deutschland bzw. Europa und den USA.

Einen Fokus sollten wir dabei auf das Handlungsfeld Raumfahrt legen; bereits jetzt sind deutsche Space Start-ups wichtige Zulieferer für die US-Giganten SpaceX und Blue Origin, bereits jetzt ist die ESA ein wichtiger Kooperationspartner für die NASA. Hier gilt es anzuknüpfen und Angebote zu unterbreiten, denn die Kooperation mit den USA kann auch Motor für unsere eigene Wirtschaft und Innovationskraft sein. Für uns bedeutet das aber auch, dass wir weiterhin in unsere eigene Innovationsfähigkeit und Forschungssicherheit investieren müssen, um ein attraktiver und vertrauenswürdiger Partner zu sein.

Neue Partnerschaften

Sei es im Indopazifik oder in Lateinamerika: Die Bundesregierung hat es sich zur Aufgabe gemacht, weltweit neue Partnerschaften einzugehen und bestehende zu vertiefen. Dazu gehört auch unser Einsatz für den zeitnahen Abschluss der EU-Freihandelsabkommen mit MERCOSUR und Indonesien, die Unterstützung der EU-Verhandlungen für Freihandelsabkommen mit Indien, Malaysia, den Philippinen und Thailand sowie die Intensivierung unserer Beziehungen mit Kanada. Damit stärken wir die Resilienz der europäischen Wirtschaft, diversifizieren Risiken und schaffen gleichzeitig neue Anknüpfungspunkte für eine Zusammenarbeit mit den USA und die transatlantischen Beziehungen.

„Wir müssen weiterhin in unsere eigene Innovationsfähigkeit und Forschungssicherheit investieren.“

Das gilt in besonderem Maße für Lateinamerika: Der US-Regierung ist es ein Anliegen, sich außenpolitisch verstärkt auf Lateinamerika zu konzentrieren. Dabei geht es – insbesondere im Wettbewerb mit China – auch um die Frage, wer in Südamerika künftig die Narrative setzt und Einfluss nimmt. Deutschland verfügt über ein enges Netzwerk auf dem Kontinent und gilt in vielen Ländern als glaubwürdiger Partner. Auch deshalb sollten wir unser Engagement mit den USA abstimmen und wo immer möglich gemeinsam vorgehen. Gerade im Bereich der Konnektivität können wir mit der EU mit Global Gateway Alternativen zur Belt and Road Initiative bieten und wirtschaftliche Verbindungen vertiefen. Auch in Krisenkontexten können wir einen wichtigen Beitrag leisten. So hat Deutschland im Rahmen der UN-Generalversammlung weitere fünf Millionen Euro für die Unterstützung der internationalen Anstrengungen zugesagt, Frieden und Sicherheit nach Haiti zurückzubringen. Damit haben wir ein sowohl in Lateinamerika als auch den USA aufmerksam beobachtetes Zeichen unseres Engagements für die Region gesetzt.

Ausblick

Unsere Beziehungen zu den USA waren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs selten geradlinig, aber für die Bundesrepublik Deutschland immer von zentraler Bedeutung. Auch über ein Jahr nach der Wahl von Donald Trump zum 47. Präsidenten der USA werden sie die deutsche und europäische Politik intensiv beschäftigen. Es ist darum umso wichtiger, jenseits des Alltagsgeschäfts und über die anderen großen Linien unserer Zeit hinaus in die Zukunft dieser Beziehungen weiter zu investieren, in den USA und außerhalb.

Über den Autor: Florian Hahn (CSU) ist Staatsminister im Auswärtigen Amt.

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