Die Transatlantischen Beziehungen im Stresstest
Vom 6. bis zum 8. November 2025 fand die bereits vierte New Bridge Program Alumni Konferenz statt. Unter dem Motto „all politics is local“ brachte sie fünfzig Nachwuchsführungskräfte aus Deutschland und den USA in New Orleans, Louisiana, mit Expert*innen aus der Region zusammen. Ausgehend von den Diskussionen und Erkenntnissen der Konferenz analysieren die Alumni in diesem Essay die Entwicklung der Transatlantischen Beziehungen.
Das Essay wurde aus dem Englischen übersetzt, die Originalversion finden Sie hier.
Den Auftakt der New Bridge Alumni Konferenz bildete eine Paneldiskussion zwischen Christopher Fettweis, Professor für Politikwissenschaft an der Tulane University, und Markus Hatzelmann, stellvertretender deutscher Generalkonsul in Houston.
Das Panel und der anschließende Austausch benannten das Offensichtliche: Dass sich die transatlantischen Beziehungen zwischen Europa und den USA in einer Ära tiefgreifender Verunsicherung befinden. Diese Verunsicherung ergibt sich nicht nur aus externen Bedrohungen, sondern insbesondere aus internen Spannungen, die das Selbstbild als „Leaders of the Free World“ infragestellen.
„Kurzfristige Störung oder strukturelle Machtverschiebung?“
Während die diplomatischen Beziehungen an der Oberfläche wie gewohnt aufrecht erhalten werden, steht die Frage im Raum, ob es sich bei dem andauernden Krisenmodus, den der Westen erlebt, um eine kurzfristige Störung oder eine strukturelle Machtverschiebung handelt, auf die wir weder ideologisch noch strategisch vorbereitet sind.
Einer der Panelisten verwies darauf, dass wir im historischen Vergleich immer noch in einem goldenen Zeitalter des Friedens und der Sicherheit leben, und stellte die These auf, dass die aktuellen globalen Konflikte nur ein letztes Aufleben des kalten Krieges seien. Diese Aussage übergeht die fundamentale Veränderung in der Konkurrenz der Großmächte, und die Natur moderner Konflikte, die, wie die Rechtstheoretikerin Mary Dudziak schreibt, die traditionelle Unterscheidung zwischen Friedens- und Kriegszeiten in Frage stellt (War Time: An Idea, its History, its Consequences).
Die deutsche Erkenntnis, dass Soft Power allein nicht ausreicht um die europäische Sicherheit zu garantieren, hat verschiedene Gründe. Der starke Anstieg der Verteidigungsinvestitionen ist nicht nur eine Reaktion auf Russlands hybride Kriegsführung, sondern auch auf die Neuorientierung einer USA, die vermehrt mit inländischen Herausforderungen kämpft, von zunehmender Ungleichheit bis zum Angriff auf ihre demokratische Institutionen.
Die amerikanische Soft Power, eng verknüpft mit dem Mythos des amerikanischen Traums, leidet unter der öffentlichen Skepsis gegenüber dem globalen Engagement des Landes und der zunehmenden politischen Polarisierung – insbesondere wenn Präsident Trump die Nationalgarde in amerikanische Städte schickt um ungeliebte Meinungen in Schach zu halten und die eigene Macht zu demonstrieren (The New York Times 2025).
Diese internen Entwicklungen beeinflussen das transatlanische Gleichgewicht mindestens ebenso sehr wie der externe Druck von Moskau, Peking und nicht-staatlichen Cyberkriminellen. Letztendlich hängt die Zukunft der transatlantischen Beziehungen weniger von gemeinsamer Nostalgie ab, als vielmehr von einem klaren, gemeinsamen Bekenntnis, den aktuellen Sicherheitsherausforderungen mit angemessenen Ressourcen und Entschlossenheit zu begegnen.
Wenn die europäische Säule der NATO, angeführt von Deutschland, es nicht schafft, ähnlich bestimmt wie die USA auf digitale und analoge Kriegsführung zu reagieren, und die USA sich weiterhin zurückzieht, wird aus dem „hoch und runter“ der deutsch-amerikanischen Beziehungen eine langfristige Entfremdung.
„Der Erfolg populistischer Parteien ist ein Stresstest für die Demokratie“
Der Erfolg populistischer Parteien – die MAGA-Bewegung in den USA und die AfD in Deutschland – sollten nicht als Ausreißer, sondern als ein Stresstest für die Demokratie beider Länder betrachtet werden. Sie spiegeln eine Neuverhandlung des Gesellschaftsvertrags inmitten des demografischen, wirtschaftlichen und generationsbedingten Wandels wider. Populisten präsentieren öffentliche Missstände als existenzielle Bedrohungen und verwischen damit die Grenzen zwischen legitimer Kritik und institutioneller Delegitimierung.
Die Geschichte legt nahe, dass demokratische Gesellschaften durch Perioden wie diese nicht zwingend zerbrechen. Was zählt ist, wie resilient die Institutionen sind, die auf dem Prüfstand stehen. Und sowohl Deutschland als auch die USA besitzen stabilere demokratische Institutionen, als die Tagespolitik glauben lässt.
Trotzdem haben diese Dynamiken starke geopolitische Auswirkungen: Ein Westen, der mit seiner eigenen fehlenden Kohärenz zu kämpfen hat, kann weder ein einheitliches Modell von Freiheit oder Wohlstand vermitteln, noch kann er sich auf „das Ende der Geschichte“ verlassen – dass Handel zu Wandel führt, neue Informationstechnologien automatisch demokratische Bewegungen stärken und militärische Konflikte ausschließlich im physischen Raum stattfinden. Die Teilnehmenden der Konferenz unterstrichen, wie Cyber-Kriegsführung, Desinformationskampagnen und der Einsatz von Dronen die Trennung zwischen Krieg und Frieden aufgeweicht haben und dadurch beide Länder gezwungen haben, zu überdenken, wie Macht verstanden, ausgeübt und verteidigt werden kann.
„Wer regionale Dynamiken ignoriert, übersieht die Kräfte, die globale Politik formen.“
Die Herausforderungen, denen New Orleans gegenübersteht – wie die starke Klimavulnerabilität und die rassistischen Ungleichheiten – wirken wie ein Brennglas für diese systemischen Spannungen innerhalb der transatlantischen Debatte. Welche Communities werden zur Resilienz gezwungen? Welche Ungleichheiten erodieren das Vertrauen in demokratische Institutionen? Wie reagieren Gemeinschaften, wenn Institutionen daran scheitern, sie zu schützen?
Wer regionale Dynamiken ignoriert – ob in New Orleans oder in Sachsen – übersieht die Kräfte, die globale Politik formen. Heimische und geopolitische Stabilität sind nicht voneinander zu trennen.
Der Austausch in New Orleans bot keine abschließende Antwort, aber eine Arbeitshypothese: Dass die Deutsch-Amerikanischen Beziehungen nicht am zerbrechen sind, sondern neu ausgerichtet werden – in die Richtung einer realpolitischeren, anpassungsfähigen Partnerschaft auf Augenhöhe.
Diese Neuausrichtung kann nur verstanden werden, wenn man die Vergangenheit beider Staaten, und deren Schwierigkeiten, sich ihr zu stellen, miteinbezieht. Ein Besuch bei der Whitney Plantation zeigte auf, wie kollektives Gedenken – oder auch dessen Abwesenheit – die demokratische Kapazität eines Landes prägt. Viele Amerikaner*innen lernen kaum etwas über die Geschichte der Sklaverei, die ihr eigenes Land so sehr geprägt hat. Ein Blick auf die deutsche Erinnerungskultur, die sich trotz ihrer Schwächen zumindest bewusst der öffentlichen Aufarbeitung stellt, schärft den Blick auf jene der USA, wo das Erbe der Sklaverei weiterhin nur teilweise gelehrt, umstritten und politisiert wird.
Diese Differenz ist nicht nur akademisch. Staaten, die sich der kritischen Selbstreflektion verwehren, schwächen die eigene demokratische Resilienz und ebnen Populisten den Weg.
Trotz allem: der Austausch in New Orleans zeigt, dass eine transparentere transatlantische Partnerschaft möglich ist. Eine Beziehung, die nach Wahrheit strebt statt sich selektiv zu erinnern, kann besser mit sich verändernden Machtverhältnissen und zunehmender interner Spaltung umgehen.
Das „Ende des Westens“ ist nicht unvermeidbar. Aber die Neuerfindung des Westens durchaus. Die deutsch-amerikanische Allianz in dieser instabilen Ära zu stärken braucht Klarheit, Demut und eine gemeinsame Bekenntnis zur historischen Wahrheit als tragende Säule demokratischer Gemeinschaften.
In New Orleans entstand ein grober Entwurf für eine solche Erneuerung: eine Partnerschaft, die auf Realismus basiert, lokale Realitäten miteinbezieht, und durch den gemeinsamen Mut gestärkt wird, sich der Vergangenheit zu stellen, um eine stabilere und gerechtere Zukunft zu gestalten.
Dieser Text wurde geschrieben von den New Bridge Program Alumni Omaima Afzaal, Janhvi Bhojwani, Mayra Cedanor, Maggie Salas Crespo, Mario Futh, Alyssa Lukpat, Chase Phillips, Khadidah Stone, Eddie Taveras und Samantha Williams.
Das New Bridge Programm wird durch das Transatlantik-Programm der Bundesrepublik Deutschland aus Mitteln des European Recovery Program (ERP) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWE) sowie aus Mitteln der Joachim Herz Stiftung gefördert.
















