Außen- und Sicherheitspolitik

Die Bringschuld der Europäer

Wie eine neue transatlantische Verteidigungspolitik nun gelingen kann
Die Bringschuld der Europäer Foto: Thomas Imo/Photothek

von Sophia Besch

Bidens Präsidentschaft hat nichts an der strukturellen und parteiübergreifenden Verschiebung der außenpolitischen Prioritäten der USA weg von Europa und dem Nahen Osten hin zu China und dem Pazifikraum geändert.

Die Regierung Biden zeigt sich jedoch seit Amtsantritt entschlossen, die Beziehungen zwischen Europa und den USA nach vier Jahren voller Spannungen und offener Konflikte auch im sicherheitspolitischen Bereich neu zu gestalten.

Dazu gehört auf der einen Seite eine Bekräftigung der amerikanischen Verbundenheit mit der NATO, auf der anderen Seite aber auch eine stärkere Auseinandersetzung mit der EU als sicherheitspolitische Akteurin und wertvolle Verbündete in der Konfrontation mit China.

Wie Obama, Trump und jeder andere amerikanische Präsident seit den 1960er Jahren ist auch Biden der Meinung, dass die Europäer mehr in ihre eigene Verteidigung investieren sollten. Aber um die Burden-Sharing-Debatte in konstruktivere Bahnen zu lenken, hat die Biden-Regierung Bereitschaft signalisiert, von den 2 % als einzigem Leistungsmaßstab abzurücken und sogar einen Teil ihrer Skepsis gegenüber dem Konzept der strategischen Autonomie zu überwinden. Die Hoffnung in Washington ist, dass diese Veränderung in Ton und Substanz dazu beitragen kann, endlich die Lücken in den europäischen Verteidigungsfähigkeiten zu schließen.

Die Europäer sind bei der nuklearen Abschreckung nach wie vor von den USA abhängig.

Die Europäer sind bei der nuklearen Abschreckung nach wie vor von den USA abhängig, Planspiele zeigen regelmäßig, dass Europa nicht in der Lage ist, die eigene Ostflanke ohne US-Unterstützung gegen Russland zu verteidigen. Die europäischen Militäroperationen in Libyen, Afganistan und dem Sahel sowie der Afghanistanabzug haben immer wieder Defizite zum Beispiel bei Lufttransporten und in der Luftbetankung gezeigt. Sowohl die USA als auch die EU sind sich außerdem bewusst, dass die Europäer ihre Streitkräfte modernisieren müssen, um eine immer breiter werdende Lücke im Bereich neuer und disruptiver Technologien zwischen den transatlantischen Partnern zu schließen und die Interoperabilität im Bündnis zu sichern.

Und auch wenn in einigen Teilen der Biden-Regierung und der verteidigungspolitischen Bürokratie immer noch eine traditionell skeptische Sichtweise auf europäische Verteidigungsinitiativen vorherrscht –  man hält an der NATO fest, misstraut der EU (vor allem nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs) und sorgt sich, dass die Europäer in Bezug auf Russland und China nicht unbedingt die amerikanische Bedrohungswahrnehmung teilen –, so sind andere doch offener für eine etwas unabhängigere europäische Verteidigungspolitik.

Doch klar ist, dass die Bringschuld bei den Europäern gesehen wird, die erst noch zeigen sollen, dass ihre rüstungspolitischen und militärischen Bemühungen tatsächlich darin resultieren, sie zu einem stärkeren Partner für die Vereinigten Staaten zu machen und nicht nur dazu beitragen, dass die europäische Verteidigungsindustrie Marktanteile von amerikanischen Unternehmen gewinnt.

Der diplomatische Konflikt um AUKUS hat die Aufmerksamkeit einer oft abgelenkten amerikanischen Regierung gerade wieder auf Europa gebracht. Vor diesem Hintergrund beginnt in den nächsten Monaten eine kritische Phase.

In den letzten Jahren waren europäische verteidigungspolitische Bemühungen geprägt von einer Kluft zwischen technischen und industriepolitischen Initiativen zur Schließung von Fähigkeitslücken auf der einen Seite und einer weitgehend theologischen Debatte über das Konzept der europäischen strategischen Autonomie und technologischen Souveränität auf der anderen Seite. Die EU-Mitgliedstaaten versuchen nun, diese Kluft zu überbrücken, indem sie mit dem geplanten strategischen Kompass eine Art verteidigungspolitisches Weißbuch ausarbeiten, welches 2022 erscheinen soll. Dieses Dokument geht einher mit einer gemeinsamen europäischen Bedrohungsanalyse und einem Gipfeltreffen zur Verteidigungspolitik. All diese Bemühungen laufen parallel zum NATO-internen Prozess, ein neues strategisches Konzept zu erstellen.

Jetzt besteht eine einmalige Gelegenheit, die transatlantischen Verteidigungsbeziehungen in neue Bahnen zu lenken.

Das bedeutet, dass jetzt eine einmalige Gelegenheit besteht, die transatlantischen Verteidigungsbeziehungen in neue Bahnen zu lenken und ein Konzept für die transatlantische Verteidigungszusammenarbeit zu entwickeln, das neuen Realitäten Rechnung trägt und sowohl die NATO als auch die EU einbezieht. Beide haben in den letzten Jahren ihr Verständnis von Verteidigung und Sicherheit erweitert. Hier besteht ganz offensichtlich ein Risiko für Konflikte und Spannungen, aber auch Potenzial für größere Zusammenarbeit, insbesondere im Bereich der gemeinsamen Fähigkeitsplanung und der Zusammenarbeit im Bereich technologischer Innovation.

Die Wahl von Präsident Trump und seine offene Ablehnung von Bündnissen hat eine wichtige Rolle dabei gespielt, die Europäer zu einer Reihe neuer verteidigungspolitischer Initiativen zu bewegen. Gleichzeitig hat die Unsicherheit über die Verlässlichkeit der amerikanischen Sicherheitsgarantie europäische Regierungen in den letzten Jahren immer wieder gespalten. Unter der Biden-Regierung haben beide Seiten die Möglichkeit, ihre derzeitigen guten Arbeitsbeziehungen zu nutzen, um dauerhafte Strukturen des verteidigungspolitischen Engagements aufzubauen, die im Idealfall künftigen Spannungen standhalten könnten. Die neu eingerichteten Dialoge zwischen den USA und der EU zur Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, zu China und dem Indopazifik sind sicherlich eine gute erste Maßnahme. Die geplante NATO-EU-Deklaration ist ein weiterer wichtiger Schritt.

Die Zeit ist knapp bemessen – die französischen Präsidentschaftswahlen und die amerikanischen Midterms rücken näher. Im neuen deutschen Koalitionsvertrag wurden viele wichtige Weichen gestellt, um dem deutschen Slogan „transatlantisch bleiben, europäischer werden“ neue Bedeutung zu verleihen. Es liegt nun auch an der Regierung in Berlin, ihr Bekenntnis zum transatlantischen Bündnis in konkretes sicherheitspolitisches Engagement zu übersetzen.

Sophia Besch ist Senior Research Fellow am Centre for European Reform in Berlin. Zur Zeit forscht sie als DAAD Fellow beim AICGS in Washington DC zu transatlantischer Verteidigungspolitik. 

Die Beiträge unserer Gastautorinnen und -autoren geben deren Meinung wieder und nicht notwendigerweise den Standpunkt der Atlantik-Brücke.

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