Wirtschaft und Finanzen

10 Jahre Finanzkrise – „Derzeit liegen die Risiken eher in der Geopolitik“

Interview mit Felix Hufeld, Präsident, BaFin

Felix Hufeld, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, spricht im Interview über die Lehren aus der Finanzkrise, die vor zehn Jahren ihren Höhepunkt erreichte, über die Gefahren von Deregulierung und die Risiken, die geopolitische Instabilität für die Finanzmärkte birgt.

Herr Hufeld, die globale Wirtschafts- und Finanzkrise, die im Jahr 2007 als eine Krise des amerikanischen Immobilienmarktes begann und 2008 ihren vorläufigen Höhepunkt mit dem Zusammenbruch der Lehman Brothers erreichte, jährt sich nun zum zehnten Mal. Große Finanzdienstleister mussten damals durch staatliches Fremdkapital gesichert werden. Viele haben damals gesagt, die Risiken der Privatwirtschaft wurden zu Schulden der Allgemeinheit. Haben Politik und Finanzwirtschaft aus dieser Krise wirklich gelernt?

Wir haben nicht nur etwas gelernt, in vielfacher Hinsicht wurden darüber hinaus sehr weitreichende Konsequenzen gezogen, die in der Finanzregulierung ihren Niederschlag gefunden haben.

Was ist heute anders?

Wir haben die Resilienz der Finanzwirtschaft deutlich verbessert, weil wir sowohl die Menge als auch die Qualität des erforderlichen Eigenkapitals in den Bankbilanzen sehr deutlich gestärkt haben. Wir haben deutlich verschärfte Anforderungen im Bereich des Risikomanagements, der Governance-Strukturen. Und wir sind das berühmte too big to fail-Problem angegangen: Heute haben wir einen regulatorischen Rahmen für die Abwicklung von Banken, der uns damals noch gefehlt hat.

Wir haben die Resilienz der Finanzwirtschaft deutlich verbessert, weil wir sowohl die Menge als auch die Qualität des erforderlichen Eigenkapitals in den Bankbilanzen sehr deutlich gestärkt haben.Felix Hufeld

Das sind viele neue Vorschriften, die Sie da aufführen. Ist es die eigentliche Lehre aus der Krise, dass die Deregulierung zu weit gegangen ist?

In der gesamten Palette regulatorischer Anforderungen bewegen wir uns heute auf einem völlig anderen Niveau als zur damaligen Zeit, die zugegebenermaßen eine Phase des Laissez-faire und der Deregulierung war. Diese Lektion sollten wir nie vergessen: Dass eine zu optimistische Deregulierungsfantasie letztlich die Gefahr von großen, auch globalen Krisen deutlich erhöht. Eine weitere Lehre aus der Krise: Wir haben, wie gesagt, bereits ein Abwicklungsregime entwickelt. Dazu gehört auch, dass die Banken Kapital für den Eventualfall einer Abwicklung vorhalten müssen. Damit soll sichergestellt werden, dass eine Bank im Falle eines Falles tatsächlich geordnet abgewickelt werden kann, und das ohne Steuergeld. Eines muss aber auch deutlich gesagt werden: Eine  vollkommene Sicherheit kann es nie geben. Und es muss in marktwirtschaftlichen Systemen möglich sein, dass Marktteilnehmer abtreten, auch in der Finanzwirtschaft. Aber wenn sie es tun, soll dies in einem geordneten Verfahren geschehen – und, wie bereits gesagt, ohne Steuergeld.

Sie haben in der Vergangenheit auch auf die internen Governance-Strukturen innerhalb der Finanzwirtschaft rekurriert: Hier geht es nicht nur um Führungsverantwortung, sondern vor allem um Anreize oder Fehlanreize in der Vergütungsstruktur. Sehen Sie zehn Jahre nach der Krise einen wirklichen Kulturwandel in den Institutionen?

Es geht hier ja nicht nur um einen Kulturwandel, sondern um ganz harte Fakten. Das Thema Vergütung haben wir regulatorisch adressiert. Die zwei Hauptparameter, um die es hier ging, sind, erstens, die absolute Höhe von Vergütungen, die zum Teil ins Exzessive abgedriftet sind und, zweitens, der Konflikt zwischen kurz- und langfristigem Interesse.

Es geht hier ja nicht nur um einen Kulturwandel, sondern um ganz harte Fakten.Felix Hufeld

Das heißt konkret?

Dass Sie nicht kurzfristig „auscashen“ können und mittel- bis langfristig den Scherbenhaufen Ihren Nachfolgern überlassen. Beide Themen haben wir durch deutlich verschärfte regulatorische Anforderungen in den Griff bekommen. Es gibt nun Begrenzungen. Und es bestehen heute Möglichkeiten, im äußersten Fall sogar ausgezahlte Boni zurückzufordern, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind.

Also neue Regeln statt Kulturwandel?

Beim Thema Kulturwandel muss man ein bisschen aufpassen. Ich glaube, bei vielen – wahrscheinlich den meisten Menschen, die in Banken arbeiten – bedarf es eines solchen Kulturwandels gar nicht. Es gab Löcher in der Regulierung, es gab Fehleinschätzungen im Bankmanagement, es gab eine gewisse Laxheit – und es gab zweifellos individuelles Fehlverhalten und -anreize. Aber mit der Annahme, dass sich die Tausenden und Abertausenden von Menschen, die in Banken arbeiten, einem umfassenden Kulturwandel unterziehen müssten, damit endlich solides Bankgeschäft betrieben werden kann, tut man einem Großteil der Beschäftigten Unrecht. Es gibt allerdings auch Menschen in der Finanzbranche, wie in allen Branchen, die man vorübergehend oder dauerhaft auf die Strafbank setzen muss – mit oder ohne Kulturwandel. Man muss jedenfalls differenziert an die Sache herangehen.

Wagen wir den Blick in die Zukunft: Abgesehen von den jüngsten Kursschwankungen, hat es doch den Anschein, als ginge es mit den Märkten seit Monaten im Großen und Ganzen stetig aufwärts. Die Wirtschaft entwickelt sich in verschiedenen Weltregionen gleichzeitig positiv, der Arbeitsmarkt schreibt, zumindest hierzulande, Rekordzahlen. Sehen Sie irgendwelche Anzeichen für eine neue Krise?

Es gibt keine Anzeichen im Sinne einer konkreten Gefährdung, aber es gibt immer potenzielle Gefährdungen, um die wir uns als Regulierer und Aufseher zu kümmern haben. Finanzstabilität ist ein empfindliches Gut und vor allem ein öffentliches Gut, das der Fürsorge sehr wohl auch staatlicher Stellen bedarf. Das Unschöne an solchen Krisen ist ja, dass sie uns selten den Gefallen tun, genau an derselben Stelle wieder aufzutreten wie beim letzten Mal. Und sie treten auch nicht so auf, wie wir uns das vielleicht planerisch vorgestellt haben, sondern kommen aus unerwarteten Ecken.

Welche Gefahrenherde sehen Sie denn aktuell?

Derzeit liegen die Risiken wohl eher in der Geopolitik, in einer weltweit nach wie vor steigenden Verschuldung, in einer gegebenenfalls trügerischen, sehr geringen Volatilität und in schwer zu greifenden Schattenbankensektoren in einigen Teilen der Welt. Hinzu kommen natürlich das andauernde Niedrigzinsumfeld und – je länger das andauert – steigende Zinsänderungsrisiken. Dies trägt in Verbindung mit hohen Volumina anlagesuchenden Kapitals wiederum das Risiko in sich, zu Vermögenspreisblasen zu führen, was in einzelnen Bereichen bereits zu beobachten ist. Hinzu kommt die Gefahr, Risiken nicht angemessen zu bepreisen. Diese Aufzählung ist zweifellos nicht abschließend, aber dies beschreibt die große Bandbreite der Gefahrenherde. Was ebenfalls zunehmend in den Vordergrund rückt, ist das Bewusstsein für Cyberrisiken unterschiedlichster Art und damit die Notwendigkeit, entsprechend die IT-Sicherheit zu erhöhen.

Derzeit liegen die Risiken wohl eher in der Geopolitik.Felix Hufeld

Donald Trump hat kürzlich angekündigt, er wolle die Regulierung, die 2010 beschlossen wurde, den Dodd-Frank-Act, lockern und Zugang zu Krediten wieder erleichtern. Welches Zeichen geht Ihrer Meinung nach davon aus, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten die Kriterien in der Bemessung der Kreditwürdigkeit für Endkunden wieder lockern möchte? Lag nicht gerade hier die zentrale Ursache für den damaligen Immobilienkollaps?

Das ist eine sehr interessante Frage. In der Tat kann man die aktuellen Signale in zwei unterschiedliche Richtungen interpretieren: Der einen könnte ich mich anschließen, der anderen ganz sicher nicht. Die eine Interpretation besagt, dass Finanzregulierung, insbesondere nach einer Phase wie in den vergangenen zehn Jahren, also einer der Verschärfung, zweifellos überprüft werden darf und muss – vor allem mit Blick auf bürokratischen Ballast oder unbeabsichtigte Konsequenzen. Wenn damit allerdings – und das wäre die zweite denkbare Interpretation – der Startschuss für eine generelle Deregulierungswelle gemeint ist, dann muss ich mich mit aller Entschiedenheit dagegenstellen. Damit legte man den Keim einer neuen Deregulierungsphase. Die Lektionen der vergangenen Krise sollten wir so schnell nicht vergessen.

Vergesslichkeit ist bedauerlicherweise ein menschliches Phänomen.

In der Tat. Es gibt auch im Bereich der Finanzwelt und der Finanzregulierung so etwas wie einen regulatorischen Schweinezyklus: Dass auf eine Krise eine Phase sehr starker Regulierung folgt, darauf wieder eine der Deregulierung und darauf eine erneute Krise. Wenn nun mit der gleichen Rhetorik wie vor der Krise eine Phase der übertriebenen Deregulierung eingeleitet würde, dann wäre dies gefährlich und würde offensichtlich niemandem dienen: Weder der Finanzindustrie noch der Realwirtschaft, geschweige denn, dem Gemeinwohl insgesamt. Solche Schwankungen sollten wir wirklich vermeiden.

Wenn mit der gleichen Rhetorik wie vor der Krise eine Phase der übertriebenen Deregulierung eingeleitet würde, dann wäre dies gefährlich.Felix Hufeld

Es gibt ja nicht nur Themen, die die Europäer mit Sorge erfüllen, wie etwa die Umgestaltung des Dodd-Frank-Act, sondern auch ganz handfeste Konfliktfelder im transatlantischen Verhältnis. Das war bis vor Kurzem die Frage der Mindeststandards zur Eigenkapitalunterlegung für global tätige Banken – Stichwort Basel III, in der Endphase, auch Basel IV genannt.

Diese Debatte haben wir glücklicherweise Ende 2017 zu einem guten Abschluss  gebracht. Die sehr heftige Debatte, die sich über das Jahr 2017 erstreckt hat, haben wir mit einem tragbaren Kompromiss abgeschlossen. Wir haben tatsächlich einen neuen globalen Basel-III-Standard im Konsens mit den amerikanischen Freunden hinbekommen. Da haben beide Seiten – genau genommen, alle Seiten – Kompromisse eingehen müssen, die sie auf ihrem Wunschzettel so vielleicht nicht stehen hatten.  Es liegt in der Natur internationaler Kompromisse, nicht nur in der Finanzindustrie, dass von allen Seiten Zugeständnisse gemacht werden müssen. Der große Vorteil besteht darin, dass die Finanzindustrie jetzt endlich die zu Recht erwartete Sicherheit und Berechenbarkeit hat. Eine Sicherheit, die es in den Jahren zuvor nicht gegeben hat. Jetzt können die Institute endlich eine vernünftige Kapitalplanung für die kommenden Jahre machen, zumal die neuen Basel-III-Standards erst stufenweise im Verlauf der kommenden neun Jahre einzuführen sind. Das heftige Ringen und Streiten hat sich gelohnt, auch wenn wir ein Jahr länger gebraucht haben als ursprünglich geplant. Auf dieser soliden Basis können wir weitermachen.

Herr Hufeld, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Interview: Dr. David Deißner, Geschäftsführer Atlantik-Brücke

Felix Hufeld ist Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Link zum ausführlichen Lebenslauf von Felix Hufeld

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