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1000 Gäste verfolgen US-Präsidentschaftswahl

Die Wahl des Republikaners Donald Trump zum 45. amerikanischen Präsidenten hat die Gäste der Election Night vom Abend des 8. November bis in die frühen Morgenstunden des 9. November intensiv beschäftigt. Die Atlantik-Brücke hatte gemeinsam mit Bertelsmann, CNN, ntv und Stern in die Bertelsmann-Repräsentanz Unter den Linden geladen. US-Botschafter John B. Emerson eröffnete den Abend mit einem Interview. In weiteren Gesprächsrunden und Live-Schalten nach Washington, D.C., Minneapolis, Minnesota, Tallahassee, Florida und San Francisco sowie aktuellen Hochrechnungen wurden der amerikanische Wahlkampf, aber auch die Innen- und Außenpolitik des Landes analysiert und diskutiert. Hochrangig besetzte Panels lieferten Einschätzungen und Hintergründe zu den wichtigsten Fragen der US-Präsidentschaftswahl. Friedrich Merz, Vorsitzender der Atlantik-Brücke, erörterte in einem Interview mit Lukas Streiff, Young Leader Alumnus der Atlantik-Brücke, ökonomische Perspektiven der Wahl. Die Atlantik-Brücke war Partner der mit knapp 1000 Gästen aus Politik, Wirtschaft und Medien ausgebuchten Veranstaltung, ebenso wie die American Academy in Berlin, die Botschaft der Vereinigten Staaten in Deutschland, Google, die UDG United Digital Group und Porsche.

Wenige Stunden vor dem Wahlausgang sprach Merz von einem „sorgenvollen Blick der Kapitalmärkte auf Amerika“. Zwar seien deren Wachstumsraten zuletzt moderat gewesen und die Aktienmärkte stabil. Jedoch würden die Märkte mit starken Verlusten reagieren, wenn Trump die Wahl gewinne. Im Hinblick auf Freihandelsabkommen werde es mit einem Präsidenten Trump für Europa in den Verhandlungen insbesondere von TTIP eher kritischer, was die Aussichten auf einen erfolgreichen Abschluss angingen, sagte Merz. Dabei nahm er ausdrücklich die Europäische Union nicht von seiner Kritik aus: „Es herrscht größter Beratungsbedarf bei der EU-Kommission in Brüssel. Die Geheimniskrämerei rund um das Mandat, das lange nicht veröffentlicht wurde, hat die Verschwörungstheorien zu TTIP erst ermöglicht.“ Merz drang darauf, dass die EU sich auf die vollständige Ratifizierung des Handelsabkommens mit Kanada (Ceta) konzentriere. Die nationalen Parlamente müssten Ceta noch beschließen. Es sei unnötig gewesen, dass die EU ihre Kompetenz in der Handelspolitik durch diesen Schritt teilweise abgegeben habe.

Merz: Europäische Politik muss besser koordiniert werden

Eine stringenter koordinierte Politik auf europäischer Ebene forderte Merz ebenso im Bereich der Energie-, Flüchtlings- und Währungspolitik. Dadurch könnte die EU auch gegenüber den Vereinigten Staaten wieder selbstbewusster auftreten. Merz sagte, dass die Europäer mehr für ihre Außen- und Sicherheitspolitik leisten müssten, wenn man sich die Gefahrenlagen in ihrer eigenen geografischen Peripherie vergegenwärtige. Die Ressourcen sollten beispielsweise für eine bessere Koordinierung im Beschaffungswesen genutzt werden. Zudem könne das Verhältnis der finanziellen Lastenteilung zwischen den amerikanischen und den EU-Mitgliedern der NATO von 70 zu 30 Prozent nicht bestehen bleiben, betonte Merz.

Tyson Barker, Senior Research Fellow am Brandenburgischen Institut für Gesellschaft und Sicherheit GmbH (BIGS) und Young Leader Alumnus der Atlantik-Brücke, lenkte unmittelbar im Anschluss den Fokus auf die amerikanische Innenpolitik. „Das Image der Demokratie hat in den vergangenen Jahren sehr gelitten“, sagte er im Gespräch mit Moderatorin Anna von Bayern, Journalistin und Mitglied der Atlantik-Brücke. Amerika müsse seine Institutionen – Barker nannte die Regierung, Parteien, Medien und Banken – erneuern und stärken, damit die Bürger diesen wieder vertrauen könnten. Vor allem die wegbrechende Kompromisskultur zwischen der Regierung und dem Kongress sei problematisch für das „Checks and Balances“-System im amerikanischen Institutionengefüge. Später bestätigte sich Barkers Prognose, dass die Republikaner die Mehrheit in beiden Kongresskammern – Senat und Repräsentantenhaus – verteidigen würden.

Graf Lambsdorff: Trump wird Druck auf EU erzeugen

Das außenpolitische Panel widmete sich hingegen der Frage, ob der Hegemon USA auf Abwegen sei und wie sich die amerikanische Sicherheits- und Verteidigungspolitik künftig auf Europa auswirken werde. „Unabhängig vom Wahlausgang wird die nächste Administration uns Europäer auffordern, stärker für unsere Sicherheit zu sorgen“, bemerkte Alexander Graf Lambsdorff, MdEP, Vizepräsident im Europäischen Parlament und Vorstandsmitglied der Atlantik-Brücke, in seinem Eröffnungsstatement. Trump würde regelrechten Druck auf die EU-Partner erzeugen; Hillary Clinton dagegen würde „strategische Geduld“ im Umgang mit dem transatlantischen Bündnis aufbringen. Diese Einschätzung teilte Jan Techau, Director des Richard C. Holbrooke Forums der American Academy. Trumps mögliche Außenpolitik sei ein „großes Mysterium“. Er stelle jedoch zwei Strukturmerkmale des Republikaners fest, betonte Techau: „Für Trump ist jede internationale Beziehung eine Transaktion, bei der er gewinnen will. Und Trump hat noch kein Verständnis von der internen Verfasstheit Europas.“

Dr. Sylke Tempel, Chefredakteurin der Zeitschrift IP – Internationale Politik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, komplettierte die von Matthias Deiß moderierte Runde, der Fernsehkorrespondent im ARD-Hauptstadtstudio ist. Tempel verwies auf den Grundsatz, wonach es keine Bündnispolitik ohne gemeinsame strategische Ziele gebe. Die Forderung, dass sich die EU mehr für ihre Sicherheit einsetzen müsse, sei allerdings ebenso angebracht. „Es ist sehr sinnvoll, eine gemeinsame europäische Außenpolitik über die Verteidigungspolitik zu deklinieren“, fügte Tempel hinzu. Graf Lambsdorff führte diesen Gedanken fort und kritisierte: „Europäische Rüstungsprojekte werden noch immer national ausgeschrieben. Wir können in der Folge unsere eigene Sicherheit nicht gewährleisten. Die EU betriebt hier zu viel Symbolpolitik.“

Mit Blick auf einen Wahlsieger Donald Trump werde Bundeskanzlerin Angela Merkel diesem eine Gratulation schicken, sagte Techau. Merkel sei die „Meisterin darin, die Tür offen zu halten“ – trotz der von Trumps Seite an ihre Politik gerichteten kritischen Äußerungen. Doch auch der Kanzlerin sei nicht klar, wer Trumps Schlüsselberater in außenpolitischen Fragen seien. Tempel ergänzte, dass üblicherweise die „zweite, dritte und sogar vierte Reihe hinter dem Schattenkabinett“ gewechselt werde, niemand aus diesem Kreis öffentlich bekannt sei und dies für zusätzliche Ungewissheit sorge. Graf Lambsdorff hielt fest, dass sich der Westen im Jahr 2017 in einer Transition in den USA, nach dem Brexit-Votum, den Präsidentenwahlen in Frankreich und der Bundestagswahl in Deutschland befinden werde. „Die freiheitliche Demokratie westlichen Zuschnitts ist herausgefordert, dass diese Wertegemeinschaft zusammenhält.“

Klingbeil: Social-Media-Strategie in Wahlkämpfen erforderlich

Um die modernen kommunikativen Mechanismen des amerikanischen Wahlkampfs 2016 ging es im Panel zu den Auswirkungen der digitalen Welt auf die Politik. Moderator Hans Raffauf, Start-up-Gründer und Young Leader Alumnus der Atlantik-Brücke, bat die Diskussionsteilnehmer um eine Lagebeschreibung des digital geführten US-Wahlkampfs und um dessen Bedeutung speziell für Deutschland knapp ein Jahr vor der Bundestagswahl. „Hinter uns liegt der digitalste Wahlkampf, den wir bis jetzt erlebt haben. Social Media sind darin ein sehr wichtiger Faktor“, sagte Jessica Peppel-Schulz, CEO von UDG United Digital Group. Isabell Sonnenfeld, News Lab Lead Germany, Austria, Switzerland bei Google, stellte fest, dass soziale Medien wie Facebook und Twitter durch ihre Zuspitzung und Verdichtung von Kampagnen-Botschaften die klassischen Medien derart beeinflusst hätten, dass diese wesentlich mehr mit der Aussagekraft von Schlagzeilen experimentierten als früher. Daran angeknüpft, stelle sich die Frage, inwiefern sich dies auf die Polarisierung in der Berichterstattung auswirke. Lars Klingbeil, MdB, Sprecher der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion für die Digitale Agenda im Deutschen Bundestag und Mitglied der Atlantik-Brücke, bekräftige Sonnenfelds Statement, indem er monierte, dass der zurückliegende Wahlkampf kaum über Themen geführt worden sei und dieser dadurch uninspiriert gewirkt habe.

Die Nutzung von Social Media durch die Kandidaten und deren Teams sei extrem gestiegen im Vergleich zum Wahlkampf des Jahres 2012, sagte Peppel-Schulz. Hillary Clinton und Donald Trump hätten etwa Facebook dreimal so häufig eingesetzt wie Präsident Obama vor vier Jahren, als dieser um die Wiederwahl kämpfte. Clinton und Trump hätten beide im täglichen Durchschnitt sechs bis acht Facebook-Posts und zwölf Kommentare auf Twitter abgesetzt. Sonnenfeld ergänzte, dass das Suchaufkommen und die Suchabfragen nach Hintergründen des Wahlkampfes auf den verschiedenen Google-Kanälen zugenommen hätten. Klingbeil forderte, dass alle Parteien und Kandidaten in Deutschland 2017 eine „ordentliche Social-Media-Strategie“ bräuchten. In Deutschland reagierten Politiker zum Beispiel noch nicht in Echtzeit auf Live-Ereignisse, bemerkte Peppel-Schulz.

Hill: Wähler sind der Skandalisierung überdrüssig

Auch die erste Google-Hangouts-Session, eine interaktive Live-Schalte, beschäftigte sich mit der digitalen Wirkung der Präsidentschaftswahlkampagnen. Von Berlin aus begrüßte Moderator Ralf Güldenzopf, Head of the Department of Political Communication der Main Department of Political Education der Konrad-Adenauer-Stiftung, Coco Pannell, die in der amerikanischen Hauptstadt den Wahlabend verfolgte und Elections Program Manager im Google Office Washington ist. Pannell sagte, dass der digitale Wahlkampf 2012 noch wie ein „Geldautomat“ funktioniert habe, um darüber Spenden einzusammeln. Die digitalisierte politische Auseinandersetzung des laufenden Jahres sei dagegen eine „Plattform zur Überzeugung der Wähler“. Dies hänge eng damit zusammen, dass die Bürger sehr viel Zeit im Internet und in den sozialen Netzwerken verbringen würden und sie darüber Informationen konsumierten, „weil sie den traditionellen Medien nicht mehr trauen“. Die wichtigste Anforderung an eine digitale politische Kampagne sei, dass diese detaillierte Informationen auf einer „robusten, mobil nutzbaren Website“ anbiete.

Steven Hill, politischer Journalist und Autor, setzte sich von Washington, D.C. aus in der zweiten interaktiven Live-Schalte im Gespräch mit Moderator Lukas Streiff mit der Rolle der unentschiedenen Wählergruppen auseinander. Hill sagte, dass sich zumindest eine Tendenz zum „neuen Normal eines beleidigenden Kampagnenstils“ beobachten lasse. „Jedoch sind viele Wähler der Skandalisierung überdrüssig“, betonte er. Hill sprach in der Folge das Wahlverhalten und das Wahlsystem an. In den vergangenen 15 bis 20 Jahren seien kaum noch moderate Kandidaten im Süden oder im Nordosten der USA gewählt worden. Zudem entschieden sich Wähler immer seltener dazu, ihre Stimmen auf den Wahlzetteln zu splitten, also etwa für einen republikanischen Kandidaten als Präsidenten zu stimmen, aber auch für einen demokratischen Senator und demokratischen Abgeordneten zu votieren. Das stark bipolare Wahlsystem frustriere Wähler. Viele wählten einen Kandidaten, um gegen einen anderen Kandidaten zu stimmen, weil es einen Mangel an der Auswahl von weiteren Kandidaten gebe. Hill plädierte für eine Reform des Wahlsystems: „Die Amerikaner würden eine Vielparteien-Demokratie zu schätzen wissen.“ Zudem sei das „Winner takes it all“-Prinzip – in den meisten US-Bundesstaaten erhält der Präsidentschaftskandidat mit den meisten Stimmen der Bürger alle Stimmen der Wahlmänner in diesem Staat – dringend reformbedürftig.

Dayton: Dem Sanierungsbedarf der Infrastruktur nachkommen

In der dritten Liveschalte fing Moderator Alex Novikoff, Assistant Professor of History der Fordham University, zwei Stimmen der transatlantischen Jugend ein. Edgar Barrios, Blogger und Student der Political Science an der Florida State University in Tallahassee, berichtete, dass US-Vizepräsident Joe Biden und Donald Trump den Universitätscampus im Verlauf des Wahlkampfes besucht hätten, um zu und mit den Studenten zu sprechen. Trump sei allein in den vergangenen zwei Wochen mehr als 30 Mal in Florida gewesen. Tobias Luthe, der ebenfalls einen Blog betreibt und Student des JFK Institute for North American Studies der Freien Universität in Berlin ist und derzeit ein Austauschjahr an der University of Minnesota in Minneapolis absolviert, sagte, dass einige Studenten auf seinem Campus ein eher negatives Bild von Clinton und Trump hätten. Sein Eindruck sei, dass gerade die Anhänger des lange im Präsidentschaftsrennen befindlichen demokratischen Kandidaten Bernie Sanders entweder Jill Stein, Kandidatin der Grünen-Partei, oder Gary Johnson, Kandidat der Libertären Partei, wählten.

Als die ersten Hochrechnungen der diesjährigen Wahl eintrafen, diskutierte Simon Vaut, zuständig für Reden und Grundsatzfragen im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sowie Mitglied der Atlantik-Brücke, mit Soren Dayton, Senior Vice President for Digital Advocacy bei Hill & Knowlton Strategies, und Christina Marian Goodlander, Co-Gründerin und Direktorin von WREN International. Beide waren aus der amerikanischen Hauptstadt zugeschaltet. Dayton sagte, dass es spätestens seit dem Brexit-Votum eine Warnung an alle Mitte-Rechts-Parteien gebe, politische Lösungen gesellschaftlicher Probleme zu finden. In der amerikanischen Innenpolitik müsse man nun daran arbeiten, dem Sanierungsbedarf der Infrastruktur nachzukommen und eine tragfähige Einwanderungsreform zu verabschieden. Goodlander sagte, sie mache sich Sorgen um Trumps Andeutungen, die NATO-Partner in Europa nicht mehr wie bisher unterstützen zu wollen. Dayton forderte, dass Republikaner wie Demokraten die Interkonnektivität der globalisierten Welt besser erklären müssten, gerade auch warum es ein hoher Wert sei, dass die NATO ihre Mitglieder verteidige.

Steinacker: Medien haben Wahlsystem nur selten erklärt

In der fünften Live-Schalte war Léa Steinacker, Digital Scout der Wirtschaftswoche und des Handelsblatts und Young Leader Alumna der Atlantik-Brücke, ebenfalls aus Washington, D.C. zugeschaltet. Sie berichtete Moderator Sandro Gianella, Policy Manager bei Google Germany GmbH und ebenfalls Young Leader Alumnus der Atlantik-Brücke, dass die „Getting out the Vote“-Teams beider Parteien bis zuletzt sehr aktiv gewesen seien, um unentschlossene Wähler zu mobilisieren. Was die mediale Vermittlung angehe, liege ein „reiner Skandalwahlkampf“ hinter Amerika. Viele Medien hätten zu sehr versucht, pausenlos über „Peak Issues“ zu berichten, und zu wenige Erklärungen des komplexen Wahlsystems geliefert.

Die abschließende Live-Schalte führte an die Westküste der Vereinigten Staaten zu Kati Schmidt in San Francisco, Business Affairs Manager von Airbnb und Young Leader Alumna der Atlantik-Brücke. Schmidt betonte, dass der zweistufige Prozess der Wahlteilnahme aus Registrierung und der eigentlichen Stimmabgabe nicht nur Europäern immer wieder erklärt werden müsse, sondern auch Amerikanern. Daher versuche die „Tech Bubble“, zu der Airbnb auch zähle, die Bürger zu motivieren, sich an der Wahl zu beteiligen. Damit endete der offizielle Programmteil der Election Night – die politischen Diskussionen setzten sich jedoch weiter fort.

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