Gesellschaft

Angstgegner Trump: Der republikanische Vorwahlkampf

Angstgegner Trump: Der republikanische Vorwahlkampf Foto: Andreas Prost/ZEIT ONLINE

Ein Gastbeitrag von Rieke Havertz

76 Prozent. Das ist die Zahl, die Donald Trumps Konkurrenten um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner Sorge bereiten sollte. Das Feld der republikanischen Kandidaten, die gerne ins Weiße Haus einziehen würden, ist mehr als ein Jahr vor der Wahl im November 2024 unübersichtlich geworden. Bekannte Politiker wie Mike Pence, Nikki Haley oder Chris Christie sind genauso darunter wie aussichtslose Bewerber, deren Namen man sich nicht lange merken muss, wie Will Hurd, Francis Suarez, Doug Burgum. Sie alle haben einen Gegner: den Ex-Präsidenten. Er führt derzeit in allen Umfragen unter republikanischen Wählern.

Kann das wirklich sein? Warum nur? Das sind die Fragen, die in Gesprächen über den kommenden Wahlkampf in den USA verlässlich diskutiert werden. Objektiv, so vielfach die Perspektive, sollte Trump eigentlich keine Chance mehr haben, spätestens nach der zweiten Anklage gegen ihn im Zusammenhang mit den in seinem Privathaus Mar-a-Lago gefundenen Geheimdokumenten.

Die vom Justizministerium erhobene Anklage, unter anderem wegen Verschwörung zur Behinderung der Ermittlungen, Falschaussagen und dem Verstecken von Dokumenten, ist aus Trumps Sicht gefährlicher als die erste, in der es um Schweigegeldzahlungen an die Ex-Pornodarstellerin Stormy Daniels geht. Die Vorwürfe sind schwerwiegender, die Beweise, soweit bislang bekannt, erdrückender. Und Trump drohen weitere Klagen, etwa wegen möglicher Beeinflussung der Präsidentschaftswahl 2020 im Bundesstaat Georgia, den Trump gegen Biden verloren hatte – was mitentscheidend für seine Niederlage war.

Was zurück zu den 76 Prozent führt. Die nicht etwa Trumps Zustimmungsrate unter republikanischen Wählern ist, die verlässlich bei mehr als 50 Prozent liegt – zu diesem frühen Zeitpunkt ein erstaunlich komfortabler Vorsprung. Nein, Dreiviertel der Konservativen sind laut einer Umfrage des Senders CBS der Ansicht, dass die Strafverfolgung gegen Trump ausschließlich politisch motiviert ist. Was zu dem Paradox führt, dass seine Gegner in den primaries den Ex-Präsidenten nicht bei dem Thema angreifen könnten, das ihn in der general election am vulnerabelsten macht, da eine Mehrheit der Bürger in den fahrlässig aufbewahrten sensiblen Dokumenten durchaus die nationale Sicherheit in Gefahr sehen.

Doch zunächst geht es für die Republikaner nur um die eigenen Wähler. Und so fühlte sich selbst Floridas Gouverneur Ron DeSantis bemüßigt, die Anklage zu verurteilen und damit indirekt Trump zu stärken. DeSantis versucht sich seit seiner sicheren Wiederwahl bei den vergangenen Zwischenwahlen rechts an Trump vorbei in die Favoritenrolle zu schieben. Gesetze, die DeSantis umgesetzt hat, tragen für Rechtskonservative klangvoll-schöne Namen: Stop Woke Act, Anti-Rioting Law, Parental Rights in Education Law, das Kritiker nur „Don’t Say Gay“ nennen. Sie sollen die Freiheit der Bürger schützen, sagt DeSantis. Das alles klingt Trump verdächtig ähnlich. Allein die Wahlkampfslogans von Trump, DeSantis und Pence sind beliebig austauschbar; “Make America Great Again”, “Our Great American Comeback”, “Together, we can bring this Country back”.

Was zu einem weiteren Problem vor allem für DeSantis führt, dem noch am meisten Chancen gegen Trump ausgerechnet werden, der aber nach einem missglückten Wahlkampfauftakt auf Twitter auf der nationalen Bühne noch seinen Rhythmus finden muss: Auch, wenn Trump innerhalb der Partei aufgrund der Verfahren und des schlechten Abschneidens der von ihm unterstützten Kandidaten bei den Midterms nicht mehr unwidersprochen Macht genießt, halten seine Anhänger zu ihm. Sie werden motiviert zu den Vorwahlen gehen. Diejenigen, die offen für einen Wechsel sind, wollen vielleicht nicht Trump, aber durchaus seine Ideologie, also einen Kandidaten, der ihm ähnlich ist. Die Amerikaner nennen das eine Catch-22: ein Dilemma, das sich kaum auflösen lässt. Sich von Trump absetzen, ohne sich inhaltlich absetzen zu können. Einwanderung, Steuern und Inflation, der Kampf gegen links – inhaltlich wie rhetorisch wird es bei den aus konservativer Sicht wahlentscheidenden Themen nur eine Differenzierung in Nuancen geben können.

Für den bei den Demokraten gesetzten Joe Biden heißt das alles noch lange nicht, dass er sich entspannt zurücklehnen kann, da er es entweder mit Trump zu tun bekommt, den er schon einmal geschlagen hat und dessen Wahllügen und Strafverfahren bei den Wählern der Mitte für ihn zum Problem werden können – oder mit einer von einem langen und teuren Vorwahlkampf aufgeriebenen Trump-Kopie. Präsident Biden ist alles andere als beliebt im Land und die Entscheidung der Partei, mit einem dann 81-Jährigen in den Wahlkampf zu gehen, frustriert nicht nur junge Demokraten. Für den Moment kann sich Biden darauf konzentrieren, noch mehr Präsident als Wahlkämpfer zu sein und abzuwarten, wer den republikanischen Machtkampf gewinnt. Dass das wieder einmal Donald Trump sein könnte, ist 17 Monate vor der Wahl für die US-amerikanische Demokratie ein beunruhigend realistisches Szenario.

Rieke Havertz ist Internationale Korrespondentin von ZEIT ONLINE und Co-Gastgeberin des Podcasts „OK, America?“. Bis Januar 2023 war sie US-Korrespondentin in Washington.

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