Gesellschaft

Auf Weltreise in Ostdeutschland

von Cornelius Pollmer
Auf Weltreise in Ostdeutschland Cornelius Pollmer bei der Young Leaders-Reunion der Atlantik-Brücke Foto: Atlantik-Brücke

Bei der Young Leaders-Alumni-Reunion der Atlantik-Brücke berichtete Cornelius Pollmer von seinem Streifzug durch die Mark Brandenburg. Hier schreibt er, was ihn zu seiner Reise bewegte und was er, so nah und gleichzeitig so fern des eigenen Alltags, entdeckte. 

Was ist Abenteuer und wo lässt es sich finden? Die Gedanken fliegen fort bei so einer Frage, sie fliegen auf ferne Kontinente, in fremde Länder – je weiter weg, desto besser.

Ich habe im Sommer 2018 versucht, das Abenteuer in meiner erweiterten Heimat zu finden, im Osten Deutschlands. Drei Monate lang bin ich per Zufall durch Brandenburg gereist. Ich hatte eine Ausgabe von Theodor Fontanes Wanderungen dabei und ein paar Wechselsachen, ich hatte etwas Geld dabei und sehr viel Neugier. Was ich nicht dabei hatte, war eine Ahnung, wie so ein Trip funktionieren und wohin er mich führen würde.

Warum habe ich das gemacht? Alltag bedeutet für viele Menschen, dass sie mit ähnlichen Menschen über oft ähnliche Dinge sprechen. Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen. Ich hatte Lust, die Welt mal wieder anders zu betrachten. In den Nachrichten passiert alles Wichtige meist in Berlin, Washington, Peking. Ich wollte mal wieder an Orte, die fast nie in den Nachrichten vorkommen. An Orte, die zwar nicht von der Lufthansa angeflogen werden und noch nicht mal von Easyjet, die mir aber Heimat sind. Heimat finde ich im Antizyklischen, im Randständigen, in der weitgehnden Abwesenheit von Mode und Zeitgeist, in der Abwesenheit von Mutmaßungen über Zugehörigkeit in Clubs, Restaurants, bei Premierenpartys.

Diese Heimat empfinde ich als bedroht. Weil sich ein giftiges Narrativ epidemisch ausgebreitet hat, demnach es gutes Leben nicht überall geben könne. Du kannst was, du willst was vom Leben? Dann bleibe bloß nicht in Mühlhausen, in Weißenfels, in Neuruppin. Wann hat das angefangen? Und stimmt es nur, weil so viele dieses Narrativ gebrauchen? Das wüsste ich gerne. Denn wann immer ich in solchen Orten bin, durchdringt mich mit aller möglichen Gewalt eine Frage: Wo ist Leben, wo ist Zukunft? Selten sehe ich welches, selten sehe ich welche. Das macht mich traurig. Aber vielleicht gibt es sie ja, vielleicht hatte ich sie nur noch nicht begriffen?

Ich bin im Sommer 2018 für meine Neugier belohnt und für meine Ahnungslosigkeit kaum bestraft worden. Ich bin Menschen und Orten begegnet, deren Kennenlernen mich noch heute mit Glück erfüllt. Weil ich glaube, meine Heimat nun etwas besser zu verstehen und auch solche Menschen darin, denen die transatlantischen Beziehungen vielleicht nicht ganz so wichtig sind wie die Frage, was die Leute am Ostufer des Ruppiner Sees über die an dessen Westufer denken.

Wen also habe ich kennengernt? Ich kann das hier nur beispielsweise sagen. Da waren beispielsweise Gabi und Reinhard, die nach dem Mauerfall sich mit viel eigenem Geld und noch mehr Energie im Einzelhandel versuchten, die den Wettbewerb nicht überlebten und darüber zwar sehr melancholisch wurden, aber nicht völlig bitter. Viele Stunden lang habe ich mit ihnen gesprochen und mehr von der Skepsis verstanden, mit der nicht wenige Menschen im Osten noch heute auf Teile des kapitalistischen Systems schauen.

Da war die Dorfjugend im Spreewald, mit der ich so unfassbar viel getrunken habe, dass ich noch heute nicht verstehe, wie mein Körper das ohne Generalstreik durchgestanden hat. Mir steht aber auch noch klar vor Augen, mit welcher Hingabe und mit welchem Ehrgefühl diese Dorfjugend sich der Brauchtumspflege vor Ort widmet und wie sie auch auf andere Weise dafür eintritt, dass ziviles Leben dort weitergeht, wo demografische Daten sonst nicht viel Gutes erwarten lassen.

Da war schließlich ein fast 90-jähriger Kapitän, der trotz 40 Jahren im Bauern- und Mauernstaat DDR ein auch in Fragen des Reisens reiches Leben hinter sich wusste, der die Welt besegelt und mit der Frau seiner Träume tolle Kinder bekommen hatte – und der von Dankbarkeit dennoch nicht erfüllt war, sondern auf die Vergänglichkeit seines Lebens schimpfte.

So viele Gespräche, Begegnungen, Perspektiven. Es ist manchmal unbequem, aber viel häufiger noch lehrreich, seinen Alltag auf diese Weise zu verlassen und ihn dadurch im guten Sinne zu relativieren. Ich jedenfalls möchte das einmal wieder tun. Vielleicht traue ich mich dann noch weiter weg im Sinne von noch näher ran. Vielleicht also bereise ich dann ohne Eile sogar ein Land, dessen zwei größten Städte ich schon so lange bewohne, dessen Ränder mir aber, so oft ich auch da bin, zuweilen noch fremd vorkommen. Vielleicht also bereise ich ein paar Jahren sogar Sachsen.

Cornelius Pollmer hat über seinen Sommer in Brandenburg ein Buch geschrieben. “Heut ist irgendwie ein komischer Tag – Meine Wanderungen durch die Mark Brandenburg” ist bei Penguin (Random House) erschienen.

Bleiben Sie auf dem Laufenden und abonnieren Sie unsere Newsletter RECAP & INSIGHTS.