Außen- und Sicherheitspolitik

Das Gedächtnis der transatlantischen Beziehungen

Zum Tode von John Kornblum (1943 - 2023)
Das Gedächtnis der transatlantischen Beziehungen John C. Kornblum im Jahr 2012 Foto: Heinrich-Böll-Stiftung, Stephan Röhl

John Kornblum sei immer der „andere“ US-Botschafter in Berlin und ein Ausnahmediplomat gewesen, schreibt Emily Haber, die frühere deutsche Botschafterin in den USA, in ihrem Nachruf.

Von Emily Haber

Am 21. Dezember 2023 ist John Kornblum in Nashville, Tennessee gestorben, 80 Jahre alt. Es ist fast ein Vierteljahrhundert her, dass er die US-Botschaft in Berlin geleitet hat. Trotzdem war er in all den Jahren, die in der Zwischenzeit vergangen sind, neben der langen Reihe seiner Nachfolger immer der „andere“ US-Botschafter in der deutschen Hauptstadt, in der er wohnen blieb.

 

Er war nun einmal Zeitzeuge der entscheidenden Wegmarken der transatlantischen Beziehungen in diesen Jahrzehnten gewesen – und damit in gewisser Weise das Gedächtnis dieses Verhältnisses. Er kannte das Personal, die eingeübten Argumente (und deren Schwächen), die Befindlichkeiten, die Reflexe.

Die Beschäftigung mit Deutschland war der rote Faden seines beruflichen und politischen Werdegangs. Der Weg führte – unter anderem – über Stationen am Generalkonsulat Hamburg, an der US-Botschaft in Bonn, im Planungsstab und in der Europaabteilung im State Department; er wurde schließlich US-Gesandter und stellvertretender Kommandant in West-Berlin, dann Leiter der Abteilung für zentraleuropäische Angelegenheiten im State Department. 1997 wurde er zum US-Botschafter in Deutschland ernannt. Normalerweise sind US-Botschafter an größeren Vertretungen politische Nominierungen. Das galt und gilt auch für die Vertretung in Deutschland. Dass ein Karrierediplomat den Posten übernimmt, ist eher die Ausnahme. Kornblum war – dank seiner Kenntnisse, seiner Vernetzung, seiner Erfahrung, seines Röntgenblickes – ein Ausnahmediplomat.

 

Ein Zufall habe zu dieser „deutschen“ Karriere geführt, sagte er einmal. Er habe an der Universität in Michigan Deutsch gelernt und sei einfach deswegen auf seinen ersten Posten in Hamburg geschickt worden. Aber er war auch Enkel deutscher Einwanderer; sein Vater sprach zwar kein Deutsch, hatte aber gewisse Prägungen nicht abgelegt und dem Sohn vermittelt. Es sei ein Grund gewesen, sagte Kornblum, warum ihm die Eingewöhnung sehr leichtgefallen sei.

 

Emily Haber, bis Juni 2023 deutsche Botschafterin in den USA

Bequem oder gar diplomatisch war er nie. Ich habe ihn das erste Mal 1968 oder 1969 getroffen, im Haus meines Vaters, der damals in Washington arbeitete. Er selber hat es später öfter erwähnt, wenn wir uns trafen. Ihm wird nur der Umstand erinnerlich gewesen sein, dass da bei einer Einladung auch ein Kind anwesend war. Aber mir ist eine schemenhafte Erinnerung an ein lebhaft – vielleicht sogar kontrovers – geführtes Gespräch unter den Gästen geblieben, an dem ein jüngerer Mann mit einem Gestus großer Entschiedenheit teilhatte. Das Thema ist mir entfallen, wahrscheinlich habe ich es damals auch nicht verstanden. Aber ein Erinnerungsfetzen ist noch da, wie ein Insekt im Bernstein: dass er unbeirrbar und passioniert einen Punkt vertrat, meinungsstark, mit wenig Nachsicht für eine unzulängliche Entgegnung. Es war ein weiterer roter Faden: der Kompass seiner Persönlichkeit.

 

In Interviews, Talkshows, Diskussionsrunden hielt er uns mit charakteristischer Unverblümtheit den Spiegel vor. Ich erinnere mich an Veranstaltungen, bei denen deutsche Teilnehmer viel von „soft security“, von EU und OSZE sprachen und über Fragen zu „hard security“ hinweggingen. Es empörte ihn immer wieder. Er selber verfügte, neben seiner langen deutschen Erfahrung, über große Expertise in Sicherheit und Abrüstung, die er bei der NATO und der KSZE gesammelt hatte. Seine Sicht auf das Verhältnis zwischen Gewicht und Möglichkeiten von „harter“ und „weicher“ Sicherheit kam auch aus diesen Jahren. Er sagte mir einmal (und wahrscheinlich nicht nur mir), dass der deutsche Fokus auf „weicher“ Sicherheit und auf Möglichkeiten der EU einen Mangel an strategischem Denken ausweise; wir wichen in eine Welt der Wünschbarkeiten aus, was Folgen habe für unsere Rolle und die Nutzung  unseres Potentials im transatlantischen Verhältnis und in der NATO. „A man on a mission“, hieß es in einem der Nachrufe. Seine Mission war das strategische Gleichziehen in einer Welt, in der er von der Unteilbarkeit von Sicherheit für die westliche Allianz überzeugt blieb. Diese Stimme wird uns fehlen.

Bleiben Sie auf dem Laufenden und abonnieren Sie unsere Newsletter RECAP & INSIGHTS.