Gesellschaft

Nur wer Haltung bezieht, genießt Vertrauen

Richard Edelman warnt vor einem international wachsenden Verlust des Vertrauens von Bürgern gegenüber Institutionen. Der Präsident und Global CEO des gleichnamigen Kommunikationsunternehmens sprach sich bei einer Präsentation des Trust Barometers 2020 mit der Atlantik-Brücke für eine „Verteilung von Autorität“ aus und forderte die Zusammenarbeit von staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entscheidungsträgern.

Von Robin Fehrenbach

Eine ethische Verhaltensweise in Form von Fairness bei politischen, wirtschaftlichen, zivilgesellschaftlichen und medialen Akteuren entscheidet im Kern darüber, ob Bürger in Demokratien diesen Vertrauen entgegenbringen. Das zumindest ist die zentrale Aussage von Richard Edelman während der mit der Atlantik-Brücke veranstalteten Präsentation des Edelman Trust Barometers 2020. Vor etwa 150 Gästen in Berlin, die von Dr. David Deißner, Geschäftsführer der Atlantik-Brücke, begrüßt wurden, erklärte Edelman zunächst, dass sein Unternehmen für die renommierte Umfrage insgesamt 34.000 Teilnehmer in 28 Ländern online befragt hatte. Edelman führt die Trust-Barometer-Erhebung bereits seit 20 Jahren durch. Bei den Teilnehmern der Untersuchung unterscheidet das Unternehmen stets zwischen einer informierten Öffentlichkeit und einer breiten Öffentlichkeit. Zur informierten Öffentlichkeit zählen in diesem Modell Menschen im Alter von 25 bis 64 Jahren mit einem Hochschulabschluss, einem überdurchschnittlichen Haushaltseinkommen innerhalb der Top 25 Prozent und einem intensiven Medien- und Informationskonsum.

Im Zentrum des Trust Barometers steht, ob und wie die befragten Bürger den vier Sektoren – Regierungen, Wirtschaftsunternehmen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Medien – vertrauen. Edelman schlussfolgerte anhand seiner Langzeitergebnisse, dass mehrere Ereignisse von internationaler bzw. globaler Bedeutung das Vertrauen erschüttert hätten. Dazu zählen unter anderem das gewalttätige Vorgehen des italienischen Staates gegen die Protestierenden während des G8-Gipfels in Genua 2001, der im Jahr 2003 einsetzende Irak-Krieg, die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007 an, das Aufkommen von Social-Media-Plattformen und der Kampf um Wahrheit und um die Deutungshoheit in Bezug auf Fakten mit den Wahlausgängen in den USA und Großbritannien jeweils in 2016.

Ethisches Verhalten und Kompetenz sind die Basis für Vertrauen

„Vertrauen basiert auf ethischem Verhalten und Kompetenz“, sagte Edelman und sprach zugleich eine zweite Dimension seines Vertrauensmodells an. Das Trust Barometer 2020 ermittelte eine Rekordzahl von Ländern, in denen die informierte und die breite Öffentlichkeit den vier genannten institutionellen Akteuren ungleich vertrauen. Konkret heißt das: 23 Märkte weisen zweistellige Lücken zwischen informierter und breiter Öffentlichkeit in Bezug auf den Trust-Index von Edelman auf. Für Deutschland beträgt diese Lücke einen Wert von 20; die USA weisen hier einen Wert von 8 auf. Es gebe ein globales, universelles Problem zwischen breiteren Bevölkerungsschichten und vermeintlichen Eliten, sagte Edelman.

Die größte Kluft tut sich in Bezug auf das Vertrauen in Wirtschaftsunternehmen auf. Die Vertrauenslücke hat hier global gesehen einen Wert von 15. Richard Edelman begründete dies mit dem persönlichen Status der befragten Bürger. „Die Menschen haben Angst vor Einkommensverlusten und davor, sozial zurückgelassen zu werden. Dies gilt für jede untersuchte Demokratie“, sagte Edelman. In jedem westlich geprägten Land geht eine Mehrheit der Teilnehmer Edelman zufolge davon aus, dass ihr Einkommen in fünf Jahren abnimmt. Sorgen über den Verlust des Arbeitsplatzes als Effekt zunehmender Automatisierung zeigten sich sowohl in vielen Industriezweigen als auch in Dienstleistungsbranchen. Autonomes Fahren von Automobilen und Lastkraftwagen sei nur ein Beispiel für diese Entwicklung.

Trust Barometer zeigt: Für Mehrheit richtet Kapitalismus mehr Schaden an, als Gutes zu stiften

Das Vertrauen der Teilnehmer im deutschen Markt ist insbesondere durch die Diesel-Affäre und die Krise der Deutschen Bank erschüttert worden, wie Edelman ausführte. „Die Deutschen fragen sich, ob ihr Land vertrauenswürdig ist“, sagte er. Global betrachtet, bejahe eine Mehrheit der Teilnehmer – und zwar 56 Prozent – die Aussage, dass Kapitalismus mehr Schaden anrichtet, als eine Kraft für Gutes zu sein. Edelman nannte diesen Befund „schockierend“. Was bedeutet das für die Zukunft der Arbeit generell? 83 Prozent der Bürger machten sich – ebenfalls global betrachtet – Sorgen über einen Arbeitsplatzverlust. Als eine der Ursachen dafür hob Richard Edelman den Mangel an Weiterbildung und fehlende Fähigkeiten hervor: „Diese 83 Prozent fühlen sich nicht hinreichend darauf vorbereitet, die Jobs der Zukunft ausführen zu können.“

Was Medien angeht, so vertrauten ihnen Edelman zufolge 49 Prozent der Studienteilnehmer in Deutschland, was einem Anstieg von 5 Prozentpunkten zum Trust Barometer 2019 entspricht. Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten wies er auf die dortige, viel stärkere politische Polarisierung hin: Während in den USA etwa 70 Prozent der demokratischen Wähler Medien vertrauten, gelte dies dagegen nur für circa 30 Prozent der republikanischen Wähler. 76 Prozent aller Teilnehmer sagten, dass sie sich darüber Sorgen machten, dass falsche Informationen oder Fake News als Waffe genutzt werden. Dies entspricht einem Anstieg von 6 Prozentpunkten in Relation zu 2018.

Edelman: Vertrauen ist lokal verankert

Konsequenzen für mögliche Lösungen dieser Herausforderungen leitete Richard Edelman daraus ab, dass Akteure etwa in Bezug auf Klimawandel, Märkte für Selbstständige, Umweltschutzpolitik und die #MeToo-Bewegung die Zukunft vermehrt in die eigenen Hände nehmen würden. „Autorität sollte verteilt und gestreut werden“, forderte Edelman. Es sei Zeit für einen Wandel. Da Vertrauen lokal verankert sei, gelte es, eine Balance des Vertrauens zwischen der ethischen Ebene und der Kompetenz-Dimension wiederherzustellen. Wirtschaftsunternehmen werden zwar auf einer Skala von -50 bis +50 mit einer Punktezahl von +14 aus Sicht der Befragten als kompetent wahrgenommen. Sie hätten aber Nachholbedarf auf der ethischen Ebene. Dagegen weise der Trust Barometer aus Sicht der Teilnehmer Betrieben durchaus Kompetenz zu. Edelman plädierte dafür, dass sich Unternehmen wesentlich stärker auf Weiterbildung und Umschulung fokussieren, ebenso auf bessere Löhne und Gehälter ihrer Mitarbeiter. „Wirtschaftsunternehmen sind sehr gut darin, Werte zu schaffen und Kundenerwartungen zu erfüllen. In Bezug auf Fairness verhalten sie sich jedoch nicht optimal“, konstatierte Edelman. Zuverlässigkeit, Sinnhaftigkeit und vor allem Integrität als die drei ethischen Treiber der Vertrauensbildung gegenüber Unternehmen würden in Deutschland und global gesehen in Frage gestellt. Man könne auch die Frage stellen: Hat man es mit einer anständigen agierenden Wirtschaftsgemeinschaft zu tun?

Edelman empfahl diesem Sektor, zu zeigen, dass er leiten kann. Denn derzeit sei eine Leere in Bezug auf Führungsqualitäten zu beobachten. „Bürger wollen, dass die Wirtschaft in erster Linie den Arbeitnehmern zugutekommt – nicht den Interessenvertretern und den Kunden“, sagte Edelman. Es gehe letztlich um Werte für die Mitarbeiter. Vorstandsvorsitzende sollten aus Sicht des Global CEO von Edelman auch verstärkt Stellung zu gesellschaftspolitischen Themen beziehen, etwa zu den Rechten der LGBTQ-Gemeinschaft. „Die CEOs sind die entscheidende Schwelle hin zu mehr Vertrauen in Wirtschaftsunternehmen“, schloss Richard Edelman seinen Vortrag.

Röttgen und Lambsdorff diskutieren Ursachen von System-Defiziten in Demokratien  

In der daran anschließenden Podiumsdiskussion lenkten die Protagonisten den Blick auf die Verantwortung von Regierungen und Parlamenten im Kontext des Vertrauens von Bürgern in Schlüsselinstitutionen. Zunächst hielt Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages und stellvertretender Vorsitzender der Atlantik-Brücke, fest: „Es gibt zwar kein ideologisches Misstrauen in das Konzept der sozialen Marktwirtschaft. Aber man sieht sehr häufig, wie das System aus Regierung und Wirtschaft auf Krisen nur reagiert. Das System ist außer Kontrolle geraten.“ Als Beispiel nannte der CDU-Bundestagsabgeordnete gegenüber Moderatorin Christiane Schulz, CEO Germany von Edelman, die Migrationskrisen. Bereits lange vor 2015 habe insbesondere die Europäische Union im Libanon, in Jordanien und im Jemen den Grad der Verzweiflung gesehen und sehe sie nach wie vor. Aber die Staatengemeinschaft habe dieser Krise nicht genug Beachtung geschenkt.

Auch Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion und Mitglied im Vorstand der Atlantik-Brücke, stellte kritisch fest, dass das politische System sich weigere, in Krisen entschlossen zu handeln. Ursächlich dafür sei eine „Angst davor, Bürger zu beunruhigen“. Er gab ein anderes Beispiel für Vertrauensverlust und bemerkte am Gedenktag zur Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz vor 75 Jahren, dass sich die Europäische Volkspartei (EPP) weiter weigere, die Repräsentanten der ungarischen Partei Fidesz aus ihrer Fraktion des Europaparlamentes auszuschließen – und dies obwohl die Fidesz antisemitische Standpunkte vertrete.

Mit Blick auf mögliche Lösungen für vielfältige Krisen schlug Richard Edelman eine Zusammenarbeit von Regierungen, dem Wirtschaftssektor und NGOs vor. Ein Ergebnis einer stärkeren Kooperation könnte „idealtypisch“ in Steuererleichterungen für Unternehmen bestehen, die konsequent auf Umschulungsmaßnahmen für ihre Belegschaften setzen. Diesem Ansatz stimmte Graf Lambsdorff zu. Ein gesetzliches Rahmenwerk für das lebenslange Lernen fehle derzeit. Norbert Röttgen ergänzte, dass eine Vernetzung von Regierungen, Parlamenten, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen notwendige Kompetenzen erhalten und verbessern würde. Er sehe bislang einen Mangel an Kommunikation zwischen den Sektoren. Gerade diese sei aber wichtig, um Verantwortung zu übernehmen. Es sei jetzt erforderlich, eine „Partnerschaft zur verantwortungsvollen Führung“ zu schmieden. Westliche Demokratien müssten an Gestaltungskraft gewinnen, um besser auf Krisen vorbereitet zu sein.

Hier finden Sie die globalen Ergebnisse des Trust Barometers 2020.

Hier sehen Sie die Kernergebnisse des Trust Barometers 2020 für Deutschland.

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