Die Geschlossenheit Europas ist kein Selbstzweck

Am 13. Juni 2025 richtete die Atlantik-Brücke gemeinsam mit dem Wilfried Martens Centre for European Studies eine Side Session auf dem GLOBSEC Forum in Prag aus. Unter dem Titel „Securing the Future of Europe in the New Global Order: Can Germany Lead Once Again?“ diskutierten unser stellvertretender Vorsitzender Dr. Norbert Röttgen und unsere Geschäftsführerin Julia Friedlander mit dem ehemaligen slowakischen Finanzminister Ivan Mikloš, der ehemaligen stellvertretenden NATO-Direktorin Gerlinde Niehus, Vit Novotný vom Martens Centre und dem ehemaligen bulgarischen Präsidenten Rosen Plevneliev. Moderiert wurde die Runde von Lucie Tungul vom tschechischen Thinktank TOPAZ.
Von Jakob Flemming
Nicht zufällig stand das diesjährige GLOBSEC Forum in Prag unter dem Motto: „Commanding (in) Chaos: Time for Europe to Step Up“. Dass nun die Stunde Europas geschlagen habe, ist in allen europäischen Hauptstädten seit Monaten zu hören. Klar ist seit Langem, dass Europa mehr Verantwortung übernehmen muss, um Sicherheit und Wohlstand zu wahren. Die Fragen aber bleiben: Ist Europa in der Lage, den „Step Up“ zu machen? Und wie viel Geschlossenheit auf der einen und Führung auf der anderen Seite sind dafür nötig?
Diese und weitere Fragen sowie der Beitrag Deutschlands zu einem handlungsfähigen Europa standen im Zentrum der Side Session. Die Beiträge der Expertinnen und Experten aus vier EU-Mitgliedsstaaten und den USA brachten drei wesentliche Erkenntnisse:
1. Europa ist nicht geeint
Die Forderung, dass Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch in der (Außen-)Wirtschaftspolitik „mit einer Stimme sprechen“ müsse, ist weder neu noch in der politischen Mitte besonders kontrovers. Schon die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel nutzte 2019 diese Wendung. Sechs Jahre später ist die Formulierung wahrscheinlich noch etwas geläufiger und wird quer durch die politische Landschaft genutzt, von EVP-Chef Manfred Weber bis zu den Grünen. Dahinter steht die Vorstellung, dass nur ein geschlossen auftretendes Europa geopolitisches Gewicht entfalten kann.
Doch die Realität ist oft eine andere: Europa spricht in vielen Fragen nicht mit einer Stimme. Die Slowakei hat wochenlang neue Sanktionen gegen Russland blockiert, in der Frage von Sicherheitsgarantien für die Ukraine scheren nicht nur Ungarn und die Slowakei aus, Spanien verweigert sich dem 5 %-Ziel der NATO, Deutschland und Polen streiten sich über Grenzkontrollen, und in der Nahostpolitik ist Europa ohnehin in mindestens zwei Lager gespalten. Über fast alle Politikfelder hinweg zeigt sich: Wirkliche Geschlossenheit sieht anders aus.
2. Europa eint sich nicht durch Beschwörungen
Nach diesem Befund stellt sich die Frage: Wie lässt sich die Einigkeit Europas herstellen? Eines wurde in der Side Session klar: Die gebetsmühlenartige Wiederholung von Beschwörungsformeln wie „Europa muss jetzt mit einer Stimme sprechen“ oder „Europa United“ als Antwort auf „America First“ werden den herbeigesehnten Zustand nicht produzieren. Die Forderung nach einer Aufhebung der Konsensprinzips zugunsten des Mehrheitsprinzips in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik mag zwar richtig sein, ist aber schlicht unrealistisch.
Stattdessen war aus dem Teilnehmerkreis der Wunsch nach mehr Führung aus dem Zentrum Europas vernehmbar, insbesondere aus Deutschland. Hier seien in der Vergangenheit häufig Euphemismen wie „leading from the centre“ oder „leading from behind“ bemüht worden. Vielmehr sei es jedoch nötig, so formulierte es ein Teilnehmer, dass Deutschland ohne Umschweife von vorne führe.
3. Informelle Allianzen oder „Koalitionen der Willigen“ sind neue Optionen
Doch auch die beste Führung vermag es nicht, dort Geschlossenheit herzustellen, wo fundamentale Interessengegensätze sie verhindern. Deshalb darf Geschlossenheit kein Selbstzweck sein, wenn sie zu dem Preis einer verwässerten oder völlig unklaren Position kommt. Die Alternativen dazu sind dort, wo sie möglich sind, informelle Allianzen oder „Koalitionen der Willigen“. In der Außen- und Sicherheitspolitik im Allgemeinen, in der Ukraine- und Russlandpolitik im Speziellen, aber auch in der Handelspolitik müssten sich, so die Botschaft aus der Runde, informelle Interessensgemeinschaften bilden, die entschlossen auftreten und handeln können.
Doch auch die beste Führung vermag es nicht, dort Geschlossenheit herzustellen, wo fundamentale Interessengegensätze sie verhindern. Deshalb darf Geschlossenheit kein Selbstzweck sein, wenn sie zu dem Preis einer verwässerten oder völlig unklaren Position kommt. Die Alternativen dazu sind dort, wo sie möglich sind, informelle Allianzen oder „Koalitionen der Willigen“. In der Außen- und Sicherheitspolitik im Allgemeinen, in der Ukraine- und Russlandpolitik im Speziellen, aber auch in der Handelspolitik müssten sich, so die Botschaft aus der Runde, informelle Interessensgemeinschaften bilden, die entschlossen auftreten und handeln können.