Die Stunde des Euro als Weltwährung?

Michael Hüther, stellvertretender Vorsitzender der Atlantik-Brücke, argumentiert, dass die Vereinigten Staaten dabei sind, ihre Stellung als Hegemon der ökonomischen Globalisierung zu verlieren. Hier skizziert er die möglichen Folgen dieser Entwicklung für Europa.
Von Prof Dr. Michael Hüther
Der historische Befund ist eindeutig: Phasen ökonomischer Globalisierung bedingen einen ordnenden Hegemon. Diese Rolle hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert das Vereinigte Königreich inne. Vor allem mit den Cobden-Chevalier-Verträgen vom 23. Januar 1860 gelang der Durchbruch zum Freihandel, als sich die wirtschaftlichen und militärischen Konkurrenten Großbritannien und Frankreich auf ein massives Absenken bestehender Handelshemmnisse einigen konnten. Revolutionär an den bis in das Jahr 1892 (Einführung der Méline-Zölle durch Frankreich) wirksamen Verträgen war die Meistbegünstigungsklausel, die jede Zollsenkung gegenüber einem Drittland unmittelbar zwischen Frankreich und Großbritannien wirksam werden ließ.
„Die USA hatten und haben als Hegemon jene Steuerungslücke zu füllen, die aus dem Mangel an internationalen Institutionen resultiert.“
Der Hegemon der zweiten ökonomischen Globalisierung der Moderne waren seit der Etablierung der Bretton Woods-Institutionen die Vereinigten Staaten. Zunächst dominierten sie ökonomisch klar im Systemkonflikt mit der Sowjetunion, dann brachte das Jahr 1990 das unipolare Momentum. Zugleich begann die Integration Chinas in die Weltwirtschaft, besonders dynamisch nach dem Beitritt zur Welthandelsorganisation Ende 2001. Die USA hatten und haben als Hegemon jene Steuerungslücke zu füllen, die aus dem Mangel an internationalen Institutionen resultiert.
Zentral für die Wirksamkeit des Hegemon ist die Prägung des Weltwährungssystems. In der ersten Globalisierung der Moderne gelang dies unter britischer Führung durch den Goldstandard, der sich nach 1870 durchgesetzte und alsbald von den Industrieländern politisch anerkannt wurde. Gegen Ende des „langen 19. Jahrhunderts“ wurden schließlich viele damalige Entwicklungsländer darin einbezogen, und der grenzüberschreitende Handel mit dem Edelmetall wurde freigegeben. Nach dem Zweiten Weltkrieg und vor dem Hintergrund der dysfunktionalen Wiedereinführung des Goldstandards in der Zwischenkriegszeit wuchs der Dollar in die Rolle der globalen Reservewährung hinein. Daran hat auch das Ende des Festkurssystems von Bretton Woods 1973 nichts geändert.
„Es geht nicht nur um Hard Power.“
Voraussetzung für die Funktion einer Weltwährung sind ein breiter und tiefer Kapitalmarkt im Heimatland, politischer Einfluss, militärische Stärke sowie die Bereitschaft, die Welt mit Liquidität in der eigenen Währung zu versorgen. Das war für die USA in den vergangenen Jahrzehnten selbstverständlich, wie der Nettokapitalimport und die Nachfrage nach US-Staatsanleihen deutlich machen. Klar ist aber auch, dass es nicht lediglich um Hard Power geht, sondern mit Blick auf die sensiblen Kapitalmärkte um Vertrauen als Soft Power. Anders gewendet: Es bedarf einer starken inneren Ordnung und einer Akzeptanz im Land für die hegemoniale Rolle.
Die Abwertung des US-Dollar gegenüber dem Euro seit Jahresbeginn um elf Prozent auf derzeit 1,15 US-Dollar für einen Euro signalisiert, dass sich das Vertrauenskapital der USA durch die vielfältigen Attacken der Trump-Administration auf die Weltwirtschaftsordnung bereits vermindert hat. Die zurzeit gehandelten Prognosen gehen von einer weiteren beachtlichen Abwertung des Dollar auf 1,20 bis 1,30 US-Dollar je Euro aus. Die USA drohen das Privileg zu verlieren, das sich mit der Leitwährungsfunktion als globales öffentliches Gut für sie selbst verbindet, nämlich – neben den geringen Transaktionskosten – die strukturell niedrigen Zinsen und die internationale Dominanz des eigenen Kapitalmarkts.
„Manch einer sieht schon die Stunde des Euro als Weltwährung gekommen.“
Manch einer sieht schon die Stunde des Euro als Weltwährung gekommen. Das ist verfrüht. Doch zweifellos wird die Bedeutung des Euro als internationales Transaktions- und Wertaufbewahrungsmedium sowie als Reservewährung zunehmen. Allerdings wird eine mögliche Übergangsphase mit erheblichen Verwerfungen verbunden sein.
Einerseits dürfte der dafür sich verschärfende Vertrauensverlust der USA durch deren Hebelwirkung über die Finanzmärkte mit großer Verunsicherung und steigenden Risikoprämien verbunden sein, andererseits wird der anhaltende Aufwertungsdruck die europäischen Volkswirtschaften belasten. Und Europa muss für eine weltweit zentrale Rolle des Euro vor allem selbst dafür sorgen, dass die Bankenunion und die Kapitalmarktunion endlich Realität werden. Zunehmende militärische Anstrengungen und der klare Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit und Investitionsbedingungen schaffen bereits Voraussetzungen für eine global unumgehbare Europäische Union.
Freilich sollte man nicht übersehen, dass der Euro im multiplen Wettbewerb steht, wenn China die institutionellen Voraussetzungen für eine international größere Bedeutung des Renminbi schaffen sollte, können sich die Strukturen im Sinne einer multipolaren Währungsordnung – der geschwächte US-Dollar, der gestärkte Euro und der aktivierte Renminbi – gestalten.
Dann würden die großen Skalierungsvorteile einer Weltwährung fehlen und die Transaktionskosten der Globalisierung sich auf einem höheren Niveau etablieren, als wir es gewohnt waren. Angesichts der vermutlich beharrlich fortbestehenden politischen Fragmentierung der Europäischen Union scheint dies aber das realistischere Szenario zu sein.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei SZ Dossier.
Michael Hüther ist Direktor und Mitglied des Präsidiums des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Er ist zudem stellvertretender Vorsitzender der Atlantik-Brücke.