Wirtschaft und Finanzen

Ein Scheitern der Geopolitik

Vor 10 Jahren begannen die TTIP-Verhandlungen

Von Fabian Wendenburg

„And tonight, I’m announcing that we will launch talks on a comprehensive Transatlantic Trade and Investment Partnership with the European Union.” Mit diesem Satz startete Präsident Barack Obama vor 10 Jahren in seiner Rede zur Lage der Nation  die „TTIP“-Verhandlungen – und damit ein Projekt, das die transatlantischen Partner bis zur Wahl Donald Trumps 2016 in Atem halten sollte. Auch wenn eine Wiederauflage heute unrealistisch erscheint: Fortschritte in den transatlantischen Handelsbeziehungen sind notwendig und auch möglich.

TTIP ist eine Geschichte über ein Scheitern, über Fehleinschätzungen und Versäumnisse, über Skurrilitäten und über gelungene Kampagnen. Sie ist aber auch eine Geschichte über die Unfähigkeit der Handelsnation Deutschland, Politik an eigenen Interessen auszurichten und strategisch zu gestalten.

“Freihandel oder Unterwerfung?“
TTIP war von Beginn an eine Debatte zwischen Geopolitik und Provinzialität. Während sich der US-Botschafter in Berlin, John B. Emerson, von TTIP ein Wirtschaftsbündnis vergleichbar mit dem Sicherheitspakt der NATO versprach, fürchteten der Bund Deutscher Bierbrauer um das Reinheitsgebot und der Deutsche Kulturrat um staatliche Subventionen. Während die EU-Kommission mit TTIP einen „Goldstandard“ für künftige Handelsbeziehungen und damit einen transatlantischen Gegenentwurf zum aufstrebenden China schaffen wollte, erklärten sich 285 Gemeinden in Deutschland zu „TTIP-freien Zonen“.

Grund dafür war auch, dass TTIP schnell überhöht wurde: Weder war die Hoffnung auf einen „transatlantischen Binnenmarkt“ realistisch, noch war die von NGOs vielfach geäußerte Sorge über einen Angriff auf Demokratie und Rechtsstaat seriös. Der European Centre for International Political Economy analysierte später, dass eine „kleine Gruppe grüner und linker Aktivisten und NGOs eine Täuschungskampagne gegen TTIP“ organisiert hatte. Dem hatten die Befürworter (zu) wenig entgegenzusetzen. Und ging es wirklich um „Freihandel oder Unterwerfung“, wie das Handelsblatt im April 2015 titelte? Eine Nummer kleiner ging bei TTIP nie.

Die EU-Kommission, die Bundesregierung, aber auch die Wirtschaft haben das Empörungspotential der TTIP-Verhandlungen lange unterschätzt. Später wurde BDI-Präsident Ulrich Grillo neben dem damaligen Vorsitzendem der Atlantik-Brücke, Friedrich Merz, zu einem der wichtigsten und prominentesten Vorkämpfer für das Abkommen. Der Vorwurf aber blieb: „Too little, too late“. Gerade aus heutiger Sicht sticht zudem ins Auge, dass TTIP in Deutschland nie als geo- und außenpolitisches Projekt verstanden wurde. Ging es bei den Verhandlungen nicht auch darum, eine Plattform für wertebasierte Handelspolitik und globale Standardsetzung zu schaffen? Bei außenpolitischen Think Tanks und Konferenzen sowie im Auswärtigen Amt war TTIP zwar hier und da ein Thema, aber nie eine Priorität.

Angesichts des geringen Rückhalts in der Öffentlichkeit und der Massendemonstrationen in deutschen Städten war der politische Wille, sich für TTIP zu verkämpfen, gering. Hinzu kam, dass die Fortschritte am Verhandlungstisch auf sich warten ließen. Die EU und die USA verhakten sich selbst bei Themen, die anfänglich als leicht lösbar galten. Im Sommer 2016, als Barack Obama noch Präsident war, übten sich die Verhandlungsparteien bereits in Schuldzuweisungen. Mit der Wahl Donald Trumps im November 2016 verschwand TTIP dann kurzum „im Gefrierfach“.

TTIP 2.0? Wünschenswert, aber derzeit unrealistisch
Hat ein transatlantisches Handelsabkommen unter den Vorzeichen der „Zeitenwende“ eine Chance auf eine Neuauflage? Die Antwort lautet derzeit „nein“ – aus mindestens drei Gründen:

  • Neuer Protektionismus der USA: Derzeit stehen wahlweise die Abwendung eines Handelskonflikts oder ein neuer Subventionswettlauf auf der transatlantischen Agenda, Stichwort: Inflation Reduction Act. Das Motto amerikanischer Klima- und Wirtschaftspolitik lautet: „Buy American“ – eine Haltung, die die EU in den TTIP-Verhandlungen zu überwinden hoffte: „American tax dollars are going to be used to buy American products made in America to create American jobs.” – so das Credo von Präsident Joe Biden, das auch bei Republikanern Anklang findet.
  • Neue handelspolitische Agenda: Die Handelspolitik hat sich in den letzten 10 Jahren insgesamt gewandelt. Ging es zu Beginn der TTIP-Verhandlungen noch um Freihandel und Marktzugang, steht heute bestenfalls „trade defence“ oder „managed trade“ zur Diskussion. Die Kernfrage ist nicht mehr Wachstum, sondern die Kontrolle von Handels-, Finanz-, Währungs- und Datenströmen in Zeiten wachsender geoökonomischer Rivalitäten zwischen den USA und China.
  • Handlungs(un)fähigkeit Europas: Europa muss erst noch beweisen, dass es sich aus seiner handelspolitischen „Verzwergung“ befreien kann. Wer ja zu einer starken Handelspolitik sagt, muss der Europäischen Kommission ihre Kompetenzen dafür auch zugestehen. So stand das Abkommen mit Kanada (CETA) bei einem SPD-Parteitag in Wolfsburg und durch ein Veto der belgischen Region Wallonie auf der Kippe. Basisdemokratie statt Weltpolitik. Erst in diesem Jahr, über sechs Jahre nach dem Ende der Verhandlungen, hat der Deutsche Bundestag das Abkommen ratifiziert. TTIP und CETA haben unsere Glaubwürdigkeit in Handelsfragen massiv geschwächt.

Hoffnung Transatlantic Trade and Technology Council
Dabei wäre ein transatlantisches Abkommen wichtiger denn je: Freihandel gibt Wachstumsimpulse und drückt Preise. Protektionismus hingegen beflügelt die Inflation. China ist zu einem systemischen Rivalen aufgestiegen. Ein transatlantisches Gegengewicht zur Gestaltung der globalen Wirtschaft wäre daher dringend notwendig. Ein Hoffnungsschimmer und die pragmatische Alternative zu einem neuem, umfassenden Abkommen ist der Transatlantic Trade and Technology Council, der der transatlantischen Handelspolitik gerade bei Zukunftstechnologien neue Impulse geben kann. Ob davon aber die gleiche Strahlkraft wie von einem echten Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen ausgehen wird, ist fraglich.

Fabian Wendenburg wird ab dem 1. Mai 2023 das Amt des Hauptgeschäftsführers der Mittelstands- und Wirtschaftsunion übernehmen. Als Referent in der Außenwirtschaftsabteilung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) hat er die TTIP-Verhandlungen intensiv begleitet. Fabian Wendenburg ist Young Leader-Alumnus der Atlantik-Brücke.

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