Außen- und Sicherheitspolitik

Eine Taiwan-Krise dräut am transatlantischen Horizont

Eine Taiwan-Krise dräut am transatlantischen Horizont Die Küstenlinie der vorgelagerten Insel Cijin Island im Südchinesischen Meer, die zur taiwanesischen Stadt Kaohsiung gehört. Foto: Wikimedia Creative Commons

Der Status Taiwans beschäftigt die Staaten des demokratischen Westens zunehmend. Welche Risiken einer Eskalation durch China bestehen derzeit? Und wie könnten mögliche Sanktionen darauf aussehen? Damit beschäftigte sich eine Gruppe von hochrangigen Fachleuten bei der Atlantik-Brücke.

Von Robin Fehrenbach

Die Insel Taiwan und die Volksrepublik China stehen in einem spannungsgeladenen Verhältnis zueinander. China sieht Taiwan als festen Bestandteil seines Staatsgebietes, während die Insel nach Autonomie strebt. Sollten sich diese entgegenläufigen Ziele zu einem Konflikt entwickeln, hätte dies auch für die transatlantischen Partner weitreichende Konsequenzen. Aus diesem Anlass ist ein mit hochrangigen Expertinnen und Experten besetzter Roundtable zusammengekommen, den die Atlantik-Brücke in Kooperation mit dem Atlantic Council und der Rhodium Group in Berlin veranstaltet hat. Die Diskussion fand unter der Chatham-House-Regel statt.

Aus Sicht der USA, der Europäischen Union und der G7 ist es in Bezug auf die Zukunft Taiwans zunächst sinnvoll, sich die verschiedenen Risiken und Triggerpunkte einer Eskalation zu vergegenwärtigen. Im Mittelpunkt solcher Überlegungen steht grundsätzlich ein Angriff Chinas auf Taiwan. Klar erscheint dabei, dass es sich nicht nur um einen offensichtlichen militärischen Angriff etwa in Form einer umfassenden Invasion aus der Luft und vom Wasser handeln kann. In der Grauzone von Angriffsarten auf die Insel können insbesondere Cyberattacken und andere Formen der hybriden Kriegsführung eine Rolle spielen. Taiwan unter Quarantäne zu stellen oder eine Blockade der Republik zu verhängen, fällt ebenfalls in diesen Bereich der Eskalationsleiter.

Auf welche konkrete Art China Taiwan angreifen könnte, können selbst Fachleute nicht genau einschätzen. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass Entscheidungsträger im Westen die politischen Dynamiken der kommunistischen Partei der Volksrepublik nicht in der gesamten Bandbreite nachvollziehen können. Fest steht, dass Chinas Staatsführer Xi Jinping ein möglichst stabiles Wirtschaftswachstum für seinen Machterhalt braucht. Doch unabhängig von eher rationalen Erwägungen in Bezug auf die Wirtschaftsleistung Chinas stellt der künftige Status Taiwans für Präsident Xi eine Schlüsselfrage für sein Narrativ von Chinas Zukunft als eine nationale Einheit dar.

Die Halbleiterindustrie als Schutzschild aus Silizium

Von herausragendem strategischem Interesse sowohl für China als auch für die transatlantischen Partner ist derzeit die Stellung der Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC). Weite Teile der globalen Produktion von Spitzentechnologie sind stark abhängig von der elaborierten industriellen Herstellung von Halbleitern durch TSMC. Ein wie auch immer gearteter Angriff auf das taiwanesische Unternehmen würde diesen Industriesektor sehr hart treffen. Da China aber davon ebenfalls unmittelbar betroffen wäre, dient die starke Position von TSMC im Weltmarkt gewissermaßen als Schutzschild aus Silizium für Taiwan. Eine Konsequenz besteht für die Vereinigten Staaten wie für die EU darin, die vorhandenen Abhängigkeiten in Bezug auf Lieferketten und Rohstoffe wie vor allem seltene Erden zu reduzieren. Der U.S.-EU Trade and Technology Council (TTC) und das Indo-Pacific Economic Framework (IPEF) bieten zum Beispiel die Chance, hier Fortschritte zu erzielen.

Der zweite wichtige Schritt in der Vorausschau auf einen Taiwan-Konflikt besteht darin, sich mit möglichen Sanktionen von Seiten der G7, USA und EU als Reaktion auf die Krise auseinanderzusetzen. Hierfür muss man sich vor Augen führen, dass die ökonomischen Rückschläge von Wirtschafts- und Finanzsanktionen für den demokratischen Westen gravierend wären. Denn schließlich ist die wirtschaftliche Verflechtung mit China für die meisten der betreffenden Staaten enorm ausgeprägt – insbesondere die deutsche Volkswirtschaft ist von Exporten nach China, von Lieferketten mit der Volksrepublik und von dortigen Rohstoffen abhängig.

Daraus folgt, dass Strafmaßnahmen stets einhergehen mit Kosten und Beschränkungen. Aus der bisherigen Erfahrung mit Sanktionen sind verschiedene Ansätze und Ziele denkbar, wobei jede Konstellation spezifisch zu betrachten ist in Bezug auf die beteiligten Staaten, Akteure und Ressourcen. Eine Zielsetzung könnte darin bestehen, die eigenen Kosten so gering wie möglich zu halten. Dies kann etwa durch eine verhängte Preisobergrenze für einen bestimmten Rohstoff aus dem bestraften Staat gelingen, wie es im Fall von Russland als Reaktion auf dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine bei Erdöl zu beobachten ist. Darüber hinaus ist es vorstellbar, Individuen, Gruppen bzw. Organisationen zu treffen, aber nicht die breite Mitte einer Gesellschaft.

Werkzeuge und Wirkung der Economic Statecraft

Neben den bereits erwähnten Sanktionen können auch andere Werkzeuge der sogenannten „Economic Statecraft“ – also der auf die Wirtschaft bezogenen Außen- und Sicherheitspolitik – zum Tragen kommen. Dazu zählen vor allem Exportkontrollen und das Screening von Investitionen. Das Beschränken und das Schließen von Marktzugängen und das Verhängen neuer oder höherer Importzölle im Handel von Waren und Dienstleistungen stellen weitere bedeutende Sanktionsarten dar. Die G7, USA und EU versuchen, solche Maßnahmen in den jeweiligen Runden zu Sanktionspaketen zu bündeln, um sowohl eine gezielte als auch effektive Wirkung zu erzeugen. Damit wird auch deutlich, dass es geboten ist, Sanktionen koordiniert vorzubereiten und anzuwenden; diese als einzelner Staat alleine voranzutreiben, ergibt nur wenig Sinn.

Was den spezifischen Fall von China angeht, ist die Volksrepublik in den Lieferketten mit Lithium und in der Chemie- und Pharma-Industrie besonders verwundbar. Hierbei würde es sich um sektorale Sanktionen handeln. Schlussendlich sollen Sanktionen zu einer Verhaltensänderung des mit Strafen belegten Staates führen. Dass diese nicht immer eintritt, lässt sich aktuell im Falle Russlands feststellen. Auch nach acht Sanktionsrunden allein von Seiten der EU führt Präsident Putin weiterhin einen völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine. Zur Logik von Sanktionen gehört auch die Tatsache, dass die Strafen anwendenden Staaten Geduld und Ausdauer brauchen, um ein verändertes Agieren des sanktionierten Staates zu erreichen. Im Westen gilt es als allgemein anerkannt, dass Chinas Staatsführung Russlands Reaktion auf die Sanktionen genauestens studiert, um daraus Schlussfolgerungen für die eigene Politik im Hinblick auf Taiwan zu ziehen.

Zusammenfassend kann man als zentrale Erkenntnis festhalten, dass eine vertiefte Diskussion unter den transatlantischen Partnern zu Szenarien, Risiken der Eskalation, Sanktionen und Planung in der Taiwan-Frage von fundamentaler strategischer Bedeutung ist. Die transatlantischen Partner haben einen großen Bedarf an Szenario-Analysen in diesem Kontext, und es ist zugleich notwendig, dass sich demokratische Industriestaaten auf eine akute Krisensituation um die Insel und denkbare Reaktionen vorbereiten.

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