Die 6. Stunde

Erbitterte Grabenkämpfe

Eine Kolumne von Martin Klingst
Erbitterte Grabenkämpfe Foto: Atlantik-Brücke

Angesichts der (gescheiterten) Kampagne zur Abwahl des Gouverneurs von Kalifornien, angesichts der Versuche, in vielen US-Bundesstaaten die Wählerregistrierung zu verkomplizieren und Wahlkreise zum eigenen Vorteil neu zu ziehen, gerät fast in Vergessenheit: Es gibt noch Republikaner, deren Blick nicht ideologisch verstellt ist. Die zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden. Die im politischen Gegner nicht den Todfeind sehen, der bis aufs Blut bekämpft werden muss. Einer von ihnen ist George W. Bush. Und wer, wenn nicht er, könnte besser wissen, was auf dem Spiel steht. Bush regierte im Weißen Haus, als islamistische Terroristen am 11. September 2001 einen verheerenden Anschlag auf Amerika und die freie Welt verübten.

Voller Sorge um die Nation

Dieser furchtbare Tag jährte sich soeben zum zwanzigsten Mal. Und so grausam die Anschläge waren, die Amerikaner entdeckten damals in den Wochen und Monaten des Schreckens und der Trauer die Kraft der Solidarität und Gemeinsamkeit. Doch das ist lange her, der von George W. Bush befohlene Einmarsch in Afghanistan, der Irakkrieg mit Hunderttausenden Toten, erbitterte politische Grabenkämpfe, aber vor allem vier Jahre Donald Trump lassen diese versöhnliche Zeit nach 9/11 wie ein Ereignis auf einem fremden Planeten erscheinen.

Darum hielt Bush jetzt seinem Land, den (Un-)Vereinigten Staaten von Amerika den Spiegel vor: „So viel von unserer Politik“, sagte er, „besteht nur noch aus einem bloßen Appell an Wut, Angst und Feinseligkeit. Das lässt uns voller Sorge sein um unsere Nation und unsere gemeinsame Zukunft.“

Zwischen den Zeilen, aber unmissverständlich rechnete George W. Bush, Amerikas 43. Präsident, mit seinem republikanischen Nachnachfolger ab. Er geißelte den Hass, den Trump schürte – und der in der gewaltsamen Erstürmung des Kapitols, diesem heiligen Symbol amerikanischer Demokratie, gipfelte. „Es gibt wenig kulturelle Überschneidungen zwischen gewalttätigen Extremisten im Ausland und gewalttätigen Extremisten im Inland“, mahnte Bush, „aber in ihrer Verachtung für Pluralismus, in ihrer Missachtung des menschlichen Lebens, in ihrer Entschlossenheit, nationale Symbole zu schänden, sind sie Kinder vom gleichen Schlag.“

An Trump kommt kein Republikaner vorbei.

Derart deutliche Worte hört man aus dem Mund von Republikanern selten. Die meisten Parteigranden und Mandatsträger winden sich, ducken sich weg, gehen in die innere Immigration oder laufen mit wehenden Fahnen zu Trump über. Die bittere Realität ist: Wer in der Partei heute etwas werden will, muss sich mit Trump gutstellen. Am selben Tag, als Bush zur Nation sprach, verkündete Trump, dass mit ihm weiter zu rechnen sei. Gleich ob er 2024 noch einmal antritt oder nicht: An ihm kommt kein Republikaner vorbei.

In Amerika wurde politisch schon immer mit harten Bandagen gekämpft, die Geschichte ist voll von politischer Gewalt und unversöhnlichen Gegensätzen, seit Anbeginn. Republikaner wie Demokraten versuchten immer wieder auszugleichen, beide Parteien verstanden sich lange Zeit als große Zelte, die unter ihrem jeweiligen Dach unterschiedliche Strömungen und Ideologien vereinten. Doch der innere Ausgleich gelang mit der Zeit immer weniger, Mäßigung und Kompromisse kamen aus der Mode.

Besonders hart hat dies die Republikaner getroffen. 2009, nach dem Wahlsieg von Barack Obama, kam die Tea-Party auf. Als USA-Korrespondent begleitete ich ihren Weg und ihren Aufschwung. Diese Protestbewegung begann mit Demonstrationen gegen höhere Steuern und milliardenschwere staatlichen Konjunkturprogramme in der globalen Finanzkrise. Doch alsbald gesellten sich andere Gruppen dazu, stramme Nationalisten, religiöse Eiferer, Gegner des Freihandels. Sie forderten ein Ende der Einwanderung, einen Stopp vor allem für muslimische Immigranten, verlangten, ausländische Unternehmen mit Strafzöllen zu belegen.

Obama, Amerikas erster schwarzer Präsident, war der erklärte Feind der Tea Party. Nicht nur wegen seiner Politik, sondern auch weil er ein Afroamerikaner ist und obendrein den zweiten Vornamen Hussein trägt. Verschwörungsmythen loderten, befeuert unter anderem von Donald Trump. Für viele Anhänger der Tea-Party-Bewegung war Obama kein Amerikaner und obendrein ein Muslim.

Schritt für Schritt bemächtigte sich die Tea Party der Republikanischen Partei. Politikerinnen und Politiker, die sich nicht den radikalen Zielen der Tea Party verschrieben, verspielten jede Chance, in ein Amt gewählt zu werden. Ideologische Standfestigkeit wurde zum Lackmustest. Die Tea Party gibt es so nicht mehr, aber sie bereitete den Boden, auf dem ein Präsidentschaftskandidat wie Donald Trump und eine autokratische Regierungsform wie der Trumpismus wuchern konnten. Dieser Boden ist immer noch fruchtbar.

Fairness, Respekt, Anstand, die Achtung demokratischer Regeln sind rar gewordene Tugenden.

Nach wie vor glaubt die große Mehrheit der Republikaner, dass die Wahl von Joe Biden gefälscht wurde. Nach wie vor verstricken sich Republikaner – und leider auch etliche Demokraten – in fatale Glaubenskämpfe. Fairness, Respekt, Anstand, die Achtung demokratischer Regeln sind rar gewordene Tugenden. Es geht nur noch darum, die eigene Macht zu sichern und erfolgreiche Konkurrenten mit allen Mitteln und so schnell wie möglich aus dem Amt zu katapultieren.

Ein solches Klima beschädigt die Demokratie schwer. Diese existenzielle Gefahr hatte George W. Bush wohl jetzt vor Augen, als er die versöhnlichen Augenblicke nach den Anschlägen vom 11. September in Erinnerung rief: „Am amerikanischen Tag der Prüfung und Trauer“, sagte er, „sah ich Millionen von Menschen, die instinktiv nach der Hand eines Nachbarn griffen und sich für die Sache des anderen einsetzten.“ Es tut wohl und es ist wichtig, dass ein Republikaner diese Worte sprach. Doch ob sie dort nachhallen, wo sie nachhallen müssten? Donald Trump und sein Trumpismus bleiben mächtig.

Martin Klingst ist Senior Expert & Nonresident Author bei der Atlantik-Brücke. Zuvor war er unter anderem Leiter des Politikressorts, USA-Korrespondent und Politischer Korrespondent bei der ZEIT. Im Bundespräsidialamt leitete er anschließend die Abteilung Strategische Kommunikation und Reden. Beim German Marshall Fund of the United States ist Martin Klingst Visiting Fellow. In „Die 6. Stunde“ schreibt er für die Atlantik-Brücke seine Betrachtungen über ein Land auf, das sechs Zeitzonen entfernt und uns manchmal doch sehr nahe ist: die USA.

Mehr Informationen über Martin Klingst und seine Arbeit finden Sie auf seiner Website.

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