Wirtschaft und Finanzen

Finanzen sind ein Instrument der modernen Kriegsführung

Finanzen sind ein Instrument der modernen Kriegsführung Foto: Gerd Altmann/ Pixabay

Von Julia Friedlander, Geschäftsführerin der Atlantik-Brücke.

Kürzlich kursierte ein Video vom September 2022 in den sozialen Medien. Darin rät die schwedische Zentralbank der Bevölkerung, sich für den Fall einer Krise, etwa eines Krieges oder eines Cyberangriffs, mit mehreren Zahlungsmitteln einzudecken. In Schweden sind die Finanztransaktionen fast vollständig digitalisiert, sogar die Abschaffung des Bargelds ist regelmäßig im Gespräch.

In Sachen Finanztechnologie sowie bei der Einschätzung hybrider Bedrohungen sind die nordischen Länder zukunftsweisend. In einem Land mit einer schlankeren Regierung oder einer konzentrierteren wirtschaftlichen Basis – Schweden hat beispielsweise nur zehn Millionen Einwohner oder Estland gar nur etwas über als eine Million – mag die Interdisziplinarität selbstverständlich sein. Doch langsam kommt auch in größeren, komplizierteren Ländern etwas in Bewegung.

Deutschlands derzeitige Präsidentin des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Claudia Plattner, ist selbst ehemalige Leiterin der technischen Sicherheit bei der Europäischen Zentralbank. Für ein Land wie Deutschland, das bekanntermaßen krampfhaft an Bargeld festhält und seine Datensysteme von den Nachrichtendiensten abschottet, könnte die Ernennung ein Zeichen für eine neue, differenziertere Interpretation der Reichweite moderner Kriegsführung sein. Ein Trend, der zu begrüßen ist.

Die westlichen Finanzsysteme, sowohl ihre positiven als auch ihre negativen Seiten, gehören durchaus in das Venn-Diagramm der nationalen Sicherheit.

Doch je mehr sich der internationale Sicherheitsapparat und der Finanzsektor seit der Zeit des Wirtschaftsliberalismus in den 1980er Jahren weiterentwickelt haben, desto mehr haben sie Brandmauern zwischen sich errichtet. Praktiker argumentieren, dass solche strikten Unterteilungen die Außenpolitik davor schützen, von Finanz- oder Geschäftsinteressen „korrumpiert“ zu werden, oder umgekehrt, dass der private Sektor von staatlichen Eingriffen „losgelöst“ bleiben kann.

Das ist nobel, aber die viel banalere Erklärung ist, dass Institutionen im Laufe der Zeit ihre eigenen Grundprinzipien und Kulturen entwickeln. Ein Gang vom Nationalen Sicherheitsrat der USA zum Internationalen Währungsfonds – obgleich räumlich ein kurzer Spaziergang durch Washington – verwandelt sich so in einen intellektuellen Wirbelsturm. Eine derart große Wegstrecke, dass Sie Ihr Telefon ebenso gut in den Flugmodus versetzen könnten. Doch die Ereignisse der vergangenen fünf Jahre haben diese Grenzen Stück für Stück niedergerissen.

Foto: Cottonbro Studio/ Pexels

Erstens werden die defensiven Firewalls immer höher. Der Fortschritt in der Finanztechnologie bietet viele Möglichkeiten zur Erleichterung des Handels und der persönlichen Vorlieben.Er beinhaltet aber auch ein akutes Risiko von Cyberkriminalität und hybriden Angriffen. Die Bequemlichkeit des Bezahlens mit dem Smartphone, sei es beim Kauf einer Limonade an der Tankstelle oder gar eines Autos, hat ihre nüchterne Kehrseite:

 

Was passiert, wenn das alles plötzlich nicht mehr funktioniert und Kunden, Unternehmen oder sogar Regierungen keinen Zugang mehr zu Geldmitteln haben?

Finanzielle Hardware ist vergleichbar mit unterirdischen Seekabeln oder Telekommunikation: Sie sind physische Eckpfeiler der nationalen Sicherheit. Bargeld unter der Matratze oder Goldbarren im Kleiderschrank sind keine Lösung, aber es ist erstaunlich selten, wie oft das Risiko eines finanziellen Zusammenbruchs in hitzigen Debatten über den Schutz kritischer Infrastrukturen erwähnt wird. In ähnlicher Weise stellt die Entwicklung digitaler Währungen eine neue Reihe von Herausforderungen dar: ob Kryptowährungen oder von der Regierung ausgegebene digitale Zentralbankwährungen – ein Bereich, der nicht zufällig auch von den Schweden und, was noch besorgniserregender ist, von den Chinesen beherrscht wird.

Das zweite Element ist die offensive finanzielle Kriegsführung. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 haben die USA und ihre Partner ihren legislativen und regulatorischen Spielraum zur Bestrafung des Verhaltens ausländischer Akteure (sei es wegen Terrorismus, Korruption oder der Invasion von Nachbarländern) mit finanziellen Mitteln stetig erweitert.

Putins Behauptung, die Maßnahme der G7-Staaten, Russlands Devisenreserven Anfang 2022 einzufrieren, sei ein kriegerischer Akt gewesen, ist eine glaubwürdige Anschuldigung, auch wenn westliche Regierungen viele Umschreibungen gefunden haben, um dies nicht zuzugeben. Die Sperrung des Zugangs zu Russlands Krediten ging jeder militärischen Unterstützung für die Ukraine voraus und sollte Russlands Kriegsmaschinerie lahmlegen und das Land noch während des Einmarsches in Echtzeit in den Bankrott treiben. Die Finanzmechanismen wurden taktisch eingesetzt, kaum hatten sich die Panzer in Bewegung gesetzt. Das war übrigens kein Einzelfall. Die jahrzehntelange finanzielle Isolierung des Irans hat viele politische Zyklen überdauert und den Ruf nach einer militärischen Intervention abgewehrt, um die Entwicklung von Atomwaffen in Teheran zu stoppen. Je mehr der Wille des Westens, gegen Assad in Syrien zu intervenieren, schwand, desto mehr westliche Sanktionen traten in Kraft. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Doch im Zuge der kreativen Kapitalkontrollen und Sanktionsumgehungstechniken Russlands haben Analysten eine intensive Kosten-Nutzen-Analyse durchgeführt: Inwieweit führen solch umfangreiche Markteingriffe zu finanziellen und wirtschaftlichen Verzerrungen, die den strategischen Nutzen der Sanktionen überwiegen? Es gibt starke Argumente in beide Richtungen, aber eines ist klar: Finanzen sind unbestreitbar zu einem primären Instrument der modernen Kriegsführung geworden.

Kürzlich, als die Huthis mit ihren Angriffen auf Handelsflotten im Roten Meer begannen und Verlader um das Kap der Guten Hoffnung schickten, setzte die Biden-Administration die Einstufung der Gruppe als terroristische Organisation wieder in Kraft, ein Schritt, der – im Idealfall – Finanzinstitutionen daran hindern sollte, mit dem Jemen Geschäfte zu machen. Damit sollte unterbunden werden, dass militärische Maßnahmen jenseits von Luftangriffen notwendig werden. Man bediente sich einfach der Finanzwirtschaft als Akteur in der Kriegsführung.

Der dritte Faktor ist der strategische Vorteil eines globalen Finanzsystems, das überwiegend von westlichen Institutionen und Währungen verwaltet und reguliert wird. Es wäre eine Fehleinschätzung, dass die Amerikaner die Hauptprofiteure sind, wie manche behaupten. Als der französische Präsident Valéry Giscard d‘Estaing 1965 beklagte, dass die USA das „exorbitante Privileg“ des US-Dollars als führende Reservewährung genössen, war der Euro noch eine ferne Hoffnung. Heute dominieren die G7-Währungen weiterhin sowohl die Emission von Schulden als auch die Abwicklung internationaler Transaktionen. Doch in einer Ära der chinesischen „Schuldenfallen-Diplomatie“ hat sich die Fähigkeit, Kredite zu vergeben, schnell zu einer Arena des internationalen Wettbewerbs entwickelt. Große Volkswirtschaften stärkt das, aber auch schwächere Empfängerländer bekommen so eine Wünschelrute in die Hand, um souveräne Gläubiger und internationale Kreditinstitute gegeneinander auszuspielen und bessere Konditionen zu erhalten. Das Gleichgewicht verschiebt sich.

Bei der Kreditvergabe geht es schließlich nicht nur um die Bilanz eines Landes, sondern oft auch um den Zugang zu natürlichen Ressourcen oder Sicherheitsvorkehrungen. Und für die kreditgebenden Länder ist die Fähigkeit, Kredite aufzunehmen und Kapital zu beschaffen, ebenfalls zu einer Herausforderung geworden. Nachdem Jahrzehnte lang unzureichend in die Infrastruktur, den technologischen Fortschritt und die Energiewende investiert wurde, sind höhere Zinsen und eingeschränkte Kapitalmärkte in Europa zu einer strategischen Herausforderung für einige der wohlhabendsten Volkswirtschaften der Welt geworden. Diese erkennen nun, dass es sich kaum noch lohnt, mitzuhalten. In diesem Sinne ist die bisherige Unfähigkeit der EU, eine effektive Kapitalmarktunion zu schaffen und internationale Investitionen anzulocken, wahrscheinlich der größte selbstverschuldete Nachteil für ihre strategische Wettbewerbsfähigkeit.

Die Bretton-Woods-Institutionen, wie der IWF und die Weltbank, wurden gleichzeitig mit dem Sicherheitsrahmen der Nachkriegszeit gegründet.

Damals sahen die Architekten der internationalen Finanzinstitutionen den Dollar als wichtigsten globalen Stabilisator an, genauso wie die Vereinten Nationen als Vermittler in der Politik.

Konzeptionell gab es nur wenige Brandmauern zwischen der militärischen und der finanziellen Welt. Auch wenn heute gelegentlich gefordert wird, eine „Wirtschafts-NATO“ zu schaffen, um die westlichen Volkswirtschaften vor Raubzügen Chinas zu schützen, oder die Nutzung westlicher Technologie für militärische Zwecke einzudämmen, so ist der Schutz der Finanzinfrastruktur heute vielleicht genauso wichtig wie die territoriale Verteidigung. Ob es nun darum geht, die physische Infrastruktur zu sichern, in Kriegszeiten Finanzsanktionen zu verhängen oder die Kapital- und Kreditmärkte zu stützen – es ist unbestreitbar, dass das Finanzwesen mit der Sicherheitspolitik eng verflochten ist. Und langsam werden sowohl Regierungen als auch die Wirtschaft wach.

Der Artikel erschien ursprünglich im MasterCard Whitepaper: „FinanzRESILIENZ stärken – Technologischen Wandel und geopolitische Spannungen meistern“. Lesen Sie weitere Fachartikel über Finanzresilienz hier: https://www.mastercard.de/de-de/finanzresilienz.html

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