Digitalisierung

Unsere Wette auf die Zukunft muss deutlich ambitionierter werden: Wie Deutschland bei Künstlicher Intelligenz aufholen kann 

Unsere Wette auf die Zukunft muss deutlich ambitionierter werden: Wie Deutschland bei Künstlicher Intelligenz aufholen kann 

Von Britta Weddeling, Leiterin Stabsstelle Kommunikation und Strategie, Bayerisches Ministerium für Digitales

Kennen Sie Aleph Alpha, Helsing oder NavVis? Aleph Alpha entwickelt Large Language Models (LLMs) und ein KI-Betriebssystem für Industrie und Behörden. Helsing fokussiert sich auf KI in der Verteidigungsindustrie. Und NavVis baut digitale Zwillinge, die Fabrikprozesse vereinfachen. Alle drei Unternehmen haben zuletzt mehr als oder um die 100 Millionen Euro von Investoren eingesammelt, um ihre Produkte weiterzuentwickeln. Sie gehören zu den rund 500 Startups in Deutschland, die sich mit KI beschäftigen. Sie sind viel gelobt und oft zitiert – aber auf der globalen Landkarte der erfolgreichsten KI-Unternehmen sind sie noch kaum zu sehen. Kein Wunder, denn in Sachen Künstliche Intelligenz ist Deutschland nach wie vor nur ein winziger Player.

Ein Blick über den Atlantik zeigt einen der vielen Gründe:

Allein im vergangenen Jahr haben die USA mehr als 67 Milliarden Dollar privates Kapital in KI investiert. In der EU plus UK dagegen flossen gerade einmal 16 Prozent dieser Summe. Das erklärt, warum der globale Wettlauf um die Dominanz bei großen Sprachmodellen im Moment sehr klare Gewinner hat:  OpenAI, das von Microsoft finanziert wird, Meta und Google bestimmen den Markt in den USA und in Europa.

Noch kann Deutschland aufholen. Doch dafür bedarf es eines Strategiewechsels: Wir müssen die Investments in Künstliche Intelligenz drastisch erhöhen und KI schneller und konsequenter in allen relevanten Industriebereichen implementieren – von Customer Service über Manufacturing bis hin zu Health Care. Unser Wirtschaft bringt die Voraussetzungen dafür mit: starke Unternehmen, besonders im Mittelstand, und einen großen qualifizierten Datenschatz in allen Verticals in Verbindung mit branchenspezifischem Wissen. Richtig ausgeschöpft, können wir durch klug eingesetzte KI die Produktivität über die ganze Wertschöpfungskette hinweg steigern. Anders ausgedrückt: In einem Land ohne Bodenschätze, dessen wichtigster Export auf seinem Wissen basiert, ist es entscheidend, Maßnahmen zu ergreifen, um Deutschlands Status als Exportnation zu sichern. Und die Strategie kann aufgehen: Beispiel Celonis.

Das „Decacorn“ mit Sitz in München hilft Unternehmen auf der ganzen Welt, durch LLM-basierte Prozessoptimierung Millionen von Euro zu sparen. Zusätzlich setzt Celonis generative KI ein, um neue Inhalte zu erstellen und vorhandene Daten zu erweitern. Ähnlich verwendet Aleph Alpha eine Kombination aus einem eigenentwickelten LLM und einer Art Betriebssystem für KI für die Industrie. Trotz dieser ersten bereits sichtbaren Fortschritte fehlt es in Deutschland nach wie vor an der breiten Einsicht, dass KI jedes Geschäftsmodell beeinflussen und sogar überflüssig machen wird. Laut dem ifo Institut für Wirtschaftsforschung nutzen derzeit nur rund 14 Prozent der Unternehmen in Deutschland KI. Für 40 Prozent ist die neue Technologie aktuell überhaupt noch kein Thema. Doch Zögern und Zaudern ist keine Haltung mit Zukunft: Anstatt uns nur auf die aktuellen Fähigkeiten der KI zu konzentrieren und diese langsam weiterzuentwickeln, sollten wir uns eher von der Risikobereitschaft und Innovationskraft früherer Generationen inspirieren lassen.

Das bedeutet: Unsere Strategien sollten die außerordentlichen Chancen, die durch die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz entstehen, einkalkulieren und heute die Zukunft in zehn oder 20 Jahren planen. Start-ups spielen hier eine entscheidende Rolle. Anstatt sich in beengten Konzernstrukturen zu bewegen, können sie mit einem leeren Blatt Papier anfangen und völlig neu und disruptiv denken. Die Hidden Champions von morgen benötigen in Deutschland jedoch ein günstiges Umfeld, einen einfachen Zugang zu Kapital und weniger Bürokratie. Und das finden sie aktuell einfach noch nicht vor.

Beispiel Aleph Alpha: Zwar hat Co-Gründer Jonas Andrulis bislang 640 Millionen Euro von Investoren eingesammelt. Doch das ist kein Vergleich zu Meta, das sein bereits zweistelliges Milliardeninvestment in den Open Source-Ansatz Llama in diesem Jahr weiter erhöhen will. Oder der erst 2023 gegründeten französischen Firma Mistral, die mittlerweile mehr als eine Milliarde Kapital eingesammelt hat. Oder dem mit 7,6 Milliarden Dollar finanzierten US-Startup Anthropic.

Unsere Wetten auf die Zukunft müssen deutlich ambitionierter werden. Solange wir im Vergleich mit anderen Ländern nicht attraktive Bedingungen für Gründerinnen und Gründer schaffen, werden wir nicht in eine Skalierung von KI kommen und – schlimmer noch – weiterhin einen Braindrain erleben. Aufgrund der zersplitterten Finanz- und Kapitalmärkte in Europa müssen erfolgreiche Start-ups oft auf US-Kapital zurückgreifen, insbesondere bei Finanzierungsrunden über 100 Millionen Dollar. Dadurch verlagern etwa sechs Prozent dieser Startups ihren Unternehmenssitz in die USA, was sich negativ auf die Wertschöpfung in Europa auswirkt.Trotz Bemühungen wie denen des Startup Verbandes und Initiativen wie der Kooperation von Aleph Alpha mit der bayerischen Landesregierung oder der Initiative der Schwarz Stiftung für den Innovation Park Artificial Intelligence (IPAI) in Heilbronn, scheint dieser Trend nicht zu stoppen.

Anstatt den Fortschritt mit dem notwendigen Mut zum Risiko voranzutreiben, bremsen wir in Deutschland und Europa den Fortschritt lieber durch strenge Regulierungen aus. Der AI-Act bringt in Europa neue Regeln auf den Weg, bevor sich die Technologie überhaupt im Markt entfalten kann. Studien zufolge befürchten über 60% der Unternehmen, dass ein ähnlich großes regulatorisches Monster wie die DSGVO droht. Währenddessen nutzen die USA ihre flexiblere Regulierung, um Innovationen schnell umzusetzen. Deutschland hat sich über viele Jahre hinweg mit Gesetzen und Verordnungen geschützt. Jetzt ist es an der Zeit, diese Praxis umzukehren.

Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft sollten direkt damit beginnen, alte Bestimmungen abzuschaffen, wenn neue Regeln oder Gesetze eingeführt werden, ähnlich wie es Bayern mit der Paragraphenbremse vorhat. Anstatt Regeln für jeden auch noch so abwegigen Anwendungsfall zu schaffen, sollte es nach dem simplen Prinzip „Cause no Harm“ einfacher gemacht werden. Die USA sind derzeit führend im Wettlauf um LLMs, aber in Deutschland haben wir aufgrund exzellenter Forscher und mutiger Entrepreneure gute Chancen, im Bereich industriespezifischer KI-Anwendungen aufzuholen und eigene Nischen zu besetzen.

Diesen Gründerinnen und Gründern, Forscherinnen und Forschern wie Unternehmen muss es so leicht wie möglich gemacht werden, um den KI-basierten Mittelstand der Zukunft zu bauen. Sie werden es sein, die uns hierzulande Arbeitsplätze und Wohlstand sichern. Gemeinsam sollten wir den Weg für sie frei machen.

 

 

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