Außen- und Sicherheitspolitik

Freie und unabhängige Wahlen: Rückgrat der Demokratie

Freie und unabhängige Wahlen: Rückgrat der Demokratie Foto: Laurence Chaperon

Die Sicherheit von Wahlen ist zwischen den Jahren 2014 und 2022 ins Zentrum der politischen Diskussionen geraten. Ohne Sicherheit von Wahlen kann es keine Stabilität in Demokratien geben. Eine Grundlage dafür ist die Sicherheit von kritischer Wahlinfrastruktur. 

Von Denise Feldner

Die Midterms 2022 in den USA haben einmal mehr gezeigt, dass die USA die Debatte um die Legitimität von Wahlen noch nicht überwunden haben. Donald Trump hatte im Vorfeld der Midterms in den Medien weiterhin mit dem Vorwurf des Wahlbetruges argumentiert. Auch auf der Mitgliederreise der Atlantik-Brücke im November 2022 durch die texanischen Städte Austin, Houston und San Antonio sprach unsere Delegation mit republikanischen Politikern wiederholt über dieses Thema. Es hieß, dass in der gesamten Geschichte der USA nur eine der US-Wahlen nicht dem Vorwurf des Betruges unterlegen gewesen sei, und zwar die Wahl des ersten US-Präsidenten George Washington im Jahr 1789. Seither habe es immer Vorwürfe beider Seiten gegeben, dass die andere Partei den Wahlsieg gestohlen habe. Handelt es sich also eher um eine innenpolitische Wahltradition der USA, die aus deutscher Sicht zumindest ungewohnt anmutet? Oder avanciert die Frage nach der Wahlsicherheit im 21. Jahrhundert zu einer der Kernfragen innerer und kollektiver Sicherheit in demokratischen Staaten?

Mit der Präsidentenwahl 2016, in der Donald Trump zum Sieger gekürt wurde, haben die USA ein traumatisches Wahlerlebnis erfahren. Es hallt bis heute intern und im gesamten Westen nach. Russland hat sich ab 2014 nachgewiesen in die Wahlen in den USA eingemischt. Die Präsidentschaftswahl 2016 stand wie keine zuvor im Zeichen der Wahlbeeinflussung, nicht nur durch externe Herausforderer, sondern auch durch interne Kräfte. Intern ging es hauptsächlich um die Beeinflussungsversuche im Kontext des später aufgedeckten Cambridge-Analytica-Skandals. Dieser erwischte auch die europäischen Staaten kalt, denn Cambridge Analytica, eng verquickt mit Trumps Wahlkampfteam in San Antonio, Texas, war die Tochterfirma eines britischen Unternehmens, der Strategic Communication Laboratories Group. Mit den von Cambridge Analytica erhobenen Daten sollte die Kampagnenkommunikation ganz spezifisch auf interessante Wählergruppen ausgerichtet werden. Dann wurde bekannt, dass das Unternehmen unerlaubt auch Social-Media-Daten genutzt hatte. Der Nachhall des Skandals ist bis heute in den Diskussionen um Fake News, Social Media-Plattformen und in den bislang mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen der Regulierer zu spüren, gemeinsam mit den Social-Media-Konzernen wirksame Schutzmechanismen im Sinne der Demokratie zu finden.

Daneben drehte sich der Diskurs in den USA besonders stark um externe Akteure, insbesondere um die russischen Hackerangriffe auf Wahlstrukturen der USA, auf Datenbanken und auch auf das Democratic National Committee. Dort wurden unter anderem auch E-Mails der Clinton-Kampagne erbeutet und später durch WikiLeaks veröffentlicht. Die Mueller-Kommission, die von der US-Regierung mit der Aufarbeitung beauftragt war, stellte fest, dass das Ziel der Russen die Beschädigung der Clinton-Kampagne und dadurch die Förderung von Donald Trumps Bewerbung um die Präsidentschaft war.

Russland sowie dessen Aktivitäten nahmen im amerikanischen Wahlkampf, bei der Wahl sowie in deren Nachgang eine prominente Rolle in den Medien und in der Arbeit der US-Geheimdienste ein. Noch im Jahr 2022 berichteten amerikanische Medien von Rechercheergebnissen, die die Macht und Intensität der russischen Beeinflussungsversuche belegen sollen. So hätten die Russen seit 2014 – neben den Aktivitäten in den USA selbst – über 300 Millionen Dollar für die Beeinflussung von Wahlen[1] in mehr als 25 Staaten ausgegeben. Auch in der US-Wahl 2020 habe Russland eine sehr aktive Beeinflussungsrolle eingenommen, allerdings nicht mehr die Wahlinfrastrukturen attackiert, wie es noch 2016 der Fall gewesen war.

2017 erklärte das Department of Homeland Security Wahlinfrastrukturen zu kritischer nationaler Infrastruktur. Es lohnt sich auch in Deutschland, über eine derartige Maßnahme zu beraten.

Dass die Russen in der hoch umstrittenen Wahl 2020 keine Wahlinfrastrukturen mehr angegriffen haben, verwundert nur auf den ersten Blick. Bei näherer Betrachtung tritt eine entscheidende Maßnahme der Amerikaner in den Vordergrund: die Erklärung von Wahlinfrastrukturen zu kritischer nationaler Infrastruktur durch das Department of Homeland Security im Jahr 2017. Mit dieser Entscheidung wurden definierte Bereiche der mit den Wahlen unmittelbar verbundenen Hardware und IT-Systeme als kritische Infrastrukturen unter besonderen nationalen Schutz gestellt. Dies sollte das Vertrauen der Amerikaner in ihr Recht auf freie Wahlen und ihr Vertrauen darauf, dass die Wahlstimme korrekt gezählt wird, stärken. Es lohnt sich auch in Deutschland, über eine derartige Maßnahme zu beraten.

Was weiterhin in allen demokratischen Staaten ausgiebig genutzt wird, sind Beeinflussungsversuche im Umfeld von Wahlen, wie beispielsweise das bewusste Adressieren von Bürgern über Social Media, aber auch über jede Form von Chat-Programmen und über Video-Kanäle. So umfasst beispielsweise die US-Definition der Wahlinfrastrukturen als kritische Infrastrukturen bewusst nicht die politischen Kampagnen und alle damit verbundenen Einrichtungen, Unternehmen und Aktivitäten.

Der bis heute nicht gänzlich aufgearbeitete Sturm auf das Kapitol in Washington, D.C., mit dem Anhänger von Donald Trump am 6. Januar 2021 die förmliche Bestätigung der Wahl Joe Bidens zu verhindern suchten, stellt ebenfalls eine Art der Beeinflussung von Politik und Wahlen dar, die nun eine systemisch relevante Qualität erreicht hat. Sie berührt die Frage der inneren Sicherheit. Auch in Berlin kam es im April 2021 im Rahmen von Corona-Protesten zu einem Versuch, den Reichstag zu erstürmen. Über anderthalb Jahre später, im Dezember 2022, wurde eine als rechts-terroristisch und verfassungsfeindlich eingestufte Gruppe aus dem Umfeld der Reichsbürger in einer Deutschland-weiten Razzia unter die Lupe genommen. Die Gruppe soll unter anderem auch geplant haben, den Reichstag zu stürmen.

Eine neue Eskalationsstufe auf internationaler Ebene wurde im Herbst 2022 erreicht, als in Europa in einer Kriegssituation Instrumente demokratischer Wahlen eingesetzt wurden, um Kriegsziele zu erreichen: Russland nutzte in vier russisch kontrollierten Gebieten der Ukraine das seit 1990 sich mehr und mehr fortentwickelnde und als sehr demokratisch angesehene Instrument des Gebietsreferendums für seine politischen Zwecke in einer Kriegssituation. Dies ist nach internationalem Recht unzulässig.

Die Tradition des Instruments eines solchen Gebietsreferendums geht auf die 1921 im Völkerbund entschiedene Åland-Frage zurück. Die Streitfrage war im Rahmen der Auflösungserscheinungen des russischen Zarenreiches entstanden, als Finnland sich 1917 auf der Basis des Selbstbestimmungsrechtes der Völker vom russischen Zaren lossagte. Die Åländer strebten jedoch in einem Referendum die Zugehörigkeit zu Schweden an. Gelöst wurde diese Streitfrage dann 1921 vom Völkerbund zugunsten Finnlands. Die Entstehungsgeschichte der Åland-Frage war dann interessanterweise von Beginn an eng mit dem Krimkrieg von 1859 verbunden, in dem Russland, Frankreich und Großbritannien gegeneinander auch auf der Inselkette der 6.500 Ålandinseln zwischen dem heutigen Finnland und Schweden kämpften. Seit der Entscheidung von 1921 hat sich eine international anerkannte Rechtstradition der Gebietsreferenden entwickelt. Besonders stark entwickelte sich die zunehmend demokratisierte Version der Referenden mit den intensiven Nutzungen des Instruments ab 1989 in Osteuropa. Die Unabhängigkeitserklärung der Ukraine durch Gebietsreferendum am 1. Dezember 1991 besiegelte den Zerfall der Sowjetunion. Dem gingen andere Referenden voraus, beispielsweise gab es im Januar 1991 auf der Krim erste eigene Abstimmungen gegen die Gebietszugehörigkeit zur Ukraine. Dem folgten in den vergangenen dreißig Jahren mehrere Abstimmungen bis zur vom Westen verurteilten Annexion der Krim durch Russland 2014.

Die Sicherheit von Wahlen sollte im Zentrum der politischen Diskussionen und sicherheitspolitischen Debatten auch im transatlantischen Diskurs stehen.

Wiederum 31 Jahre nach der Loslösung der Ukraine durch ein Gebietsreferendum zum Ende des alten Kalten Krieges hat die Umkehrung der Rahmensetzungen für die Wahl über die Zugehörigkeit zu einem Staatsgebiet nach russischer Sicht die Einführung des Kriegsrechts in den annektierten Gebieten Donzek, Luhansk, Cherson und Saporischischja ermöglicht.

Diese Auswahl an Beispielen aus den USA und Europa zeigt, wie eng der Ablauf einer demokratischen Wahl mit der inneren Sicherheit eines Landes und mit einem hohen sicherheitspolitischen Risiko verbunden sein kann. Dieses Risiko gefährdet die Resilienzfähigkeit eines Staates. In Artikel 3 des NATO-Vertrages haben sich alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, die eigene und die gemeinsame Widerstandskraft zu erhalten und fortzuentwickeln. In den sieben Grundanforderungen der NATO ist die Resilienz der Mitgliedsstaaten also folgerichtig als „first line of defence“ beschrieben. Die Sicherheit von Wahlen sollte daher im Zentrum der politischen Diskussionen und sicherheitspolitischen Debatten auch im transatlantischen Diskurs stehen.

Denise Feldner ist Geschäftsführende Gesellschafterin von Bridgehead Advisors, einer Strategieberatung in Berlin. Der vorliegende Beitrag basiert auf ihrer Veröffentlichung in „Countering Terrorism on Tomorrow’s Battlefield: Critical Infrastructure Security and Resilience Handbook 2,“ Editor S. Lohmann, herausgegeben durch das SSI, US Army War College, und NATO Center of Excellence Defense against Terrorism, Ankara (15. Dezember 2022).

[1]  Russland soll 300 Millionen Dollar für Einfluss auf ausländische Politiker ausgegeben haben – DER SPIEGEL, 14.09.2022.

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