„Europa braucht Gründergeist und Kapital“

Die europäische und deutsche Wirtschaft stehen unter Druck. In kaum einem anderen Bereich zeigt sich dies so gravierend wie in der digitalen Transformation und der Künstlichen Intelligenz. Was Deutschland tun kann, um das Defizit aufzuholen, darüber haben wir gesprochen mit Florian Bankoley, Chief Digital Officer, Bosch Mobility und Anja Hendel, Mitglied des Aufsichtsrats, Marquardt Gruppe. Beide waren Speaker der Veranstaltung „Amerikas digitale Herausforderung – und unsere Antworten darauf“ der Regionalgruppe Baden-Württemberg am 9. Mai 2025 in der Landesbank Baden-Württemberg in Stuttgart.
Die neue Bundesregierung hat dem neugeschaffenen Ministerium für Digitales und Staatsmodernisierung weitreichende Kompetenzen zugeordnet, mit dem Ziel, die Digitalisierung in Deutschland massiv zu beschleunigen. Welche Prioritäten sollte das neue Digitalministerium Ihrer Einschätzung nach zuerst setzen, um die digitale Transformation voranzubringen?
Bankoley: In den vergangenen Jahren wurde einige Mittel und Programme für die digitale Infrastruktur bzw. Programme gestartet. Aus meiner Sicht ist es zentral die Themen zu stärken welchen einen digitalen Rahmen und eine digitale Plattform für Bürgern und Wirtschaft bieten. Dazu gehört z.B. die Verschlankung und Digitalisierung der wichtigsten Prozesse innerhalb der Verwaltung sowie die Bereitstellung einer Weltklasse Digitalinfrastruktur. Der überbordende Föderalismus muss in diesem Bereich auch reduziert werden. Die einzelnen konkreten Themen sollten der Kreativität der Gemeinschaft überlassen werden.
Hendel: Die größte Aufgabe des Ministeriums liegt für mich in der konsequenten Anwendung statt nur in der Weiterentwicklung von Technologien. Wir haben in Deutschland exzellente Forschung, aber zu wenig Umsetzung. Um das zu ändern, braucht es Mut zur Vereinfachung, mehr digitale Souveränität in der Verwaltung und eine politische Kultur, die nicht nur Risiken minimiert, sondern Zukunft gestaltet. Dabei sollten wir vor allem auf die Stärke unserer Industrie bauen – und sie fit für das digitale Zeitalter machen.
Angesichts geopolitischer Spannungen und einer unsicheren transatlantischen Partnerschaft: Wie können wir technologische Souveränität aufzubauen, ohne uns zu isolieren – und wie gelingt es dabei, unsere Werte (wie Datenschutz und Transparenz) zu bewahren?
Bankoley: Ich sehe die europäischen Werte als eine Stärke in diesen unsicheren Zeiten. Im Kern haben wir in Europa eine starke Tradition und ein ausgeprägtes Wertesystem auf welches sich die europäische Gemeinschaft einigen kann. Gleichzeitig haben wir eine ausgeprägte wissenschaftliche und technologische Basis, in der Forschung, den Unternehmen und auch Start-Ups. In den vergangenen Jahren haben wir in Teilen Trends und Entwicklungen zu langsam aufgenommen, richtig. Aber wir verfügen weiterhin über starke Kompetenzen in allen Technologiefeldern. Es gilt diese Kompetenzen zu stärken, zu bündeln und auch auf relevante Felder zu fokussieren. Dabei geht es nicht darum die USA oder China zu kopieren und damit eine Abschottung zu riskieren sondern um den europäischen Weg der eine Alternative bietet sowie in europäischer Tradition auch weltoffen ist. Für heutige und künftige Partner.
Hendel: Souveränität bedeutet nicht Abschottung. Im Gegenteil: Wir müssen internationale Partnerschaften aktiv gestalten – auf Basis unserer Werte. Datenschutz und Transparenz sind keine Innovationsbremsen, sondern könnten europäische Wettbewerbsvorteile sein, wenn wir sie mit digitaler Exzellenz verbinden. Dafür braucht es mutige Vorreiter und eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Und ganz konkret: mehr Investitionen in europäische Plattformen und digitale Bildung.
Von WhatsApp, Instagram und Twitter bis TikTok – der Markt für soziale Medien und Messengerdienste wird von außereuropäischen Konzernen dominiert. Wie realistisch ist es, dass europäische Anbieter in diesem Umfeld in den nächsten Jahren ernsthaft konkurrenzfähig werden können?
Bankoley: In den vergangenen Jahrzehnten ist der Markt für soziale Medien sehr dynamisch und schnelllebig gewesen. Vor nicht mal zehn Jahren wurde Facebook als „überplattform“ bezeichnet, heute ist dies kaum noch in den Top 3 relevant. Daher sehe ich keinen Anlass zur Beunruhigung hinsichtlich einer unüberwindbaren Dominanz auf Jahre hin gesehen. Gleichzeitig halte ich es für wichtig die Regeln und Werte innerhalb der EU klar zu artikulieren und auch einzufordern. Unbegrenzter sowie unkontrollierter Zugang sowie Umgang mit Daten sowie Meinungen sollte nicht möglich sein. Ein solcher Rahmen sollte auch Raum für europäische Alternativen schaffen, sofern sie nötig sind um europäische Interessen zu wahren.
Hendel: Statt das nächste TikTok zu bauen, sollten wir uns auf unsere Stärken konzentrieren – etwa im industriellen Internet der Dinge, in nachhaltiger Mobilität oder bei digitaler Produktion. Dort können wir echte Werte schaffen. Soziale Medien sind nicht der einzige Maßstab für digitale Innovationskraft. Europa hat die Chance, neue Plattformen zu entwickeln, die Vertrauen, Qualität und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellen. Dafür brauchen wir aber Gründergeist, Kapital – und ein Umfeld, das Innovation nicht nur erlaubt, sondern beflügelt.