Außen- und Sicherheitspolitik

“’Hard Power‘ allein wird niemals der Weg zum Frieden sein”

“’Hard Power‘ allein wird niemals der Weg zum Frieden sein” Military force Foto: Pixabay

In diesem Interview diskutieren Generalleutnant (a. D.) Ben Hodges und der Politikwissenschaftler Dr. David Ranan über die Schlachtfelder der Ukraine und die Komplexität des Nahen Ostens. Sie beleuchten, warum Europa seine globale Rolle neu definieren, sich unangenehmen Widersprüchen stellen und die Grenzen der amerikanischen Führungsrolle ausloten muss.

Die Schwächung der Hisbollah, erfolgreiche Angriffe im Libanon und im Iran sowie Israels militärische Dominanz im Gazastreifen haben letztlich dazu beigetragen, dass die Hamas Trumps Friedensplan akzeptiert hat. Währenddessen hat sich nach Jahrzehnten des Versuchs, Russland unter Putin in die internationale Wertegemeinschaft zu integrieren, der Mainstream-Konsens verschoben – hin zu einer Bewaffnung der Ukraine mit modernen Waffen, einer Wiederaufrüstung ihrer europäischen Verbündeten und der Verhängung neuer Sanktionen. Wird Hard Power der neue Weg zum Frieden sein?

Ben Hodges: Ich bin mir nicht sicher, ob die Hamas den Friedensplan von Präsident Trump tatsächlich akzeptiert hat. Sie hat zwar der Freilassung von Geiseln zugestimmt und arbeitet daran, die sterblichen Überreste von Geiseln, die in Gefangenschaft getötet wurden oder gestorben sind, zurückzubringen. Da es noch zu viel Kampfgeschehen gibt, können wir noch nicht von einem vollständigen Waffenstillstand sprechen, der meiner Meinung nach aber Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden ist. Aber der Kern Ihrer Frage ist berechtigt.

Hard Power allein wird niemals der Weg zum Frieden sein. Hard Power oder die Androhung ihres Einsatzes ist jedoch ein unverzichtbarer Bestandteil, um Frieden zu erreichen und zu schützen, wenn sie richtig ausbalanciert wird mit diplomatischer, wirtschaftlicher und informationeller Macht. Ein Frieden in der Ukraine erfordert: eine diplomatische Anstrengung, die zu einer geeinten westlichen Antwort führt – hoffentlich mit den USA –, die Russland als Aggressor anerkennt und anerkennt, dass es im strategischen Interesse des Westens liegt, dass die Ukraine souverän bleibt und Russland gezwungen wird, sich innerhalb seiner Grenzen zu bewegen; den Einsatz der vollen wirtschaftlichen Macht des Westens, inklusive vollständiger und lückenlos durchgesetzter Sanktionen, die das Verhalten im Kreml tatsächlich verändern; die Bereitstellung aller Waffen, Munition und Fähigkeiten, ohne Einschränkungen, die die Ukraine braucht, um ihre Souveränität erfolgreich zu verteidigen – inklusive Taurus und Tomahawks.

David Ranan: Europa verlässt eine Ära hoffnungsvoller diplomatischer Friedensbemühungen und muss sich nun einer neuen Realität mit ihren eigenen Anforderungen und veränderten Prioritäten stellen. Hard power – einst geschützt unter dem Sicherheitsdach der USA, auf das man nicht mehr voll vertrauen kann – ist unter der derzeitigen US-Regierung zur europäischen Eigenverantwortung geworden. Dennoch erscheint die Vorstellung, dass hard power „der neue Weg zum Frieden“ sein könnte, zu optimistisch. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Kalte Krieg trotz aller Spannungen den Frieden erhalten hat.

Weder die Anerkennung Palästinas durch mehrere europäische Länder noch Bundeskanzler Merz’ Solidaritäsbekundung mit Israel scheinen den Verlauf des Nahostkriegs beeinflusst zu haben – den Großteil der Verdienste für das Israel-Hamas-Abkommen hat Donald Trump. Und obwohl Europa ein wichtiger Geldgeber für die Ukraine bleibt, ist das Land weiterhin stark von US-Waffen abhängig, wobei Trump es bei seinen Entscheidungen links liegen lässt. Wird Europa angesichts des Fokus auf Washington weiterhin als bedeutender Akteur in den USA und im Nahen Osten wahrgenommen?

Hodges: Ich stimme nicht zu, dass es bereits ein Israel-Hamas-Abkommen gibt, sondern nur die Rückgabe/Austausch von Geiseln und palästinensischen Inhaftierten. Für einen dauerhaften Frieden in der Region müssen die Länder des Nahen Ostens, die Türkei und Europa Teil des umfassenden Bemühens sein.

Europa hat sich nur deshalb an den Rand gedrängt, weil es das selbst zugelassen hat. Eine entschlossenere Politik, die alle Elemente nationaler Kräfte und die Kräfte der Koalition nutzt, inklusive Sanktionen und Bereitstellung von Sicherheitskräften, wird Europa einen „Sitz am Tisch“ verschaffen. Insbesondere Deutschland muss mit gutem Beispiel vorangehen, indem es demokratische und menschenrechtliche Prinzipien verteidigt und dabei ein ausgeglichenes historisches Verantwortungsempfinden wahrt. Klare Sprache und konsequentes Handeln sind erforderlich. Wir können nicht davon ausgehen, dass die USA unter dieser Regierung alles regeln werden.

Ich stimme zu, dass die Trump-Regierung viel dafür getan hat, die Region dahin zu bringen, wo sie heute ist, insbesondere in der ersten Amtszeit. Aber es wird mehr brauchen, um das Ziel eines dauerhaften Friedens zu erreichen, und das bedeutet eine Zwei-Staaten-Lösung. Europa kann hier eine Schlüsselrolle spielen.

Ranan: Während Russlands Aggression sich verschärft, sorgt sich Europa um seine eigene Sicherheit und hat ein klares Eigeninteresse daran, seine Verteidigung zu stärken und die Ukraine zu unterstützen. Es geht nicht nur darum, der Ukraine im Widerstand gegen Russland zu helfen, sondern auch eine starke Botschaft an Präsident Putin zu senden. Das ist die Essenz daran. Der Nahe Osten stellt jedoch eine deutlich komplexere Herausforderung dar. Europa hat Israel lange unterstützt – eine Position, die besonders Deutschland vertreten hat – doch dies schafft eine paradoxe Situation und wirft grundlegende Prinzipienfragen auf: Wie kann Europa sowohl Israel als Besatzungsmacht als auch die Ukraine, ein Land, das sich gegen russische Aggression verteidigt, unterstützen? Wäre Europa streng durch das Völkerrecht geleitet, würde es stattdessen die Palästinenser unterstützen, die sich seit 1967 gegen die israelische Besatzung wehren. Da Israel unter dem Schutz der USA steht, bleibt Europa hier ein sekundärer Akteur. Doch durch eine Abkehr von Deutschlands fest pro-israelischer Position könnte Europa möglicherweise an Einfluss gewinnen und eine konstruktivere Rolle im Nahost spielen.

Russlands Krieg gegen die Ukraine und die Situation im Nahen Osten dominieren derzeit die Schlagzeilen. Welche andere Krise erfährt Ihrer Meinung nach zu wenig Aufmerksamkeit?

Hodges: Die US-Regierung verlagert ihre militärischen Prioritäten offenbar weg von Europa und möglicherweise dem Indo-Pazifik nach Südamerika, insbesondere Venezuela. Ich bin nicht dagegen, entschlossene Maßnahmen gegen den Drogenfluss von Mittel- und Südamerika in die USA zu ergreifen. Jedes Jahr sterben Tausende Amerikaner an Fentanyl, das tatsächlich aus Mexiko und nicht aus Venezuela kommt. Die Angriffe auf sogenannte venezolanische Drogenboote mittels teurer Raketen lösen das Problem nicht. Diese Operationen erfolgen ohne Zusatimmung des Kongresses und ohne transparente Begründung gegenüber der amerikanischen Öffentlichkeit. Das sollte viel mehr hinterfragt werden.

Ranan: Die kombinierten Auswirkungen von Krieg und klimatisch bedingter Hungersnot in der Subsahara verursachen immenses menschliches Leid und hohe Todesraten, insbesondere bei Säuglingen. Diese Krise ist nicht nur eine tiefgreifende humanitäre Herausforderung für die westliche Welt, sondern auch ein strategisches Eigeninteresse Europas. Die Sicherstellung, dass diese Länder – deren Bürger verständlicherweise Zuflucht in Europa suchen – sichere und lebenswerte Orte werden, ist sowohl moralische Verpflichtung als auch praktische Notwendigkeit. Zwar könnte es schwierig sein, China, Russland und andere Großmächte allein im Interesse Europas zum Handeln zu bewegen, doch sollte es möglich sein, einen internationalen Pakt auf Grundlage humanitärer Verantwortung zu schmieden, der die Nationen im gemeinsamen Ziel vereint, Menschenleben zu retten.

Dieses Interview fand im Anschluss an die Veranstaltung „David & Goliath: Debating War, Peace, and the Fragility of Global Order“ der Regionalgruppe Frankfurt mit Ben Hodges (links), Generalleutnant (a. D.) der US-Armee, FBH Geostrat Consulting GmbH, und Dr. David Ranan (rechts), Politikwissenschaftler und Autor, statt.

 

Bleiben Sie auf dem Laufenden und abonnieren Sie unsere Newsletter RECAP & INSIGHTS.