Außen- und Sicherheitspolitik

Invasion im Iran

Invasion im Iran Soviet and British troops rendezvous in the desert near Quazvin, August 1941 Foto: magnumphotos.com [Public domain]

Im Zweiten Weltkrieg besetzen die USA, Großbritannien und die Sowjetunion das Land am Golf – ein riskanter Testlauf für die internationale Politik nach 1945, der bis heute nachwirkt.

Von Thomas Speckmann

Der aktuelle Konflikt der Vereinigten Staaten mit dem Iran weckt Erinnerungen an eine ganze Reihe westlicher Interventionen am Persischen Golf. An das Jahr 1953, als Washington den Putsch gegen Premierminister Mohammed Mossadegh einfädelte. An all die Krisen und Spannungen seit der Islamischen Revolution und der Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft in Teheran 1979. Oder an die westliche Unterstützung des irakischen Diktators Saddam Hussein im Krieg gegen den Iran während der Achtzigerjahre.

So gut wie unbekannt hingegen ist ein Kapitel des Zweiten Weltkriegs, das bis heute im kollektiven Gedächtnis der Iraner nachwirkt: Im August 1941 besetzten britisch-indische und sowjetische Truppen weite Gebiete des seit Kriegsbeginn neutralen Iran. Amerikanische Truppen folgten 1942. Die Intervention sollte jegliche iranische Zusammenarbeit mit Deutschland unterbinden und alliierte Hilfslieferungen über den Iran an die Sowjetunion sicherstellen. Doch sie wuchs sich schnell zu einer Besatzung des Landes aus.

Am 30. August 1941 überreichten Briten und Sowjets dem neu bestellten Premierminister Mohammad Ali Foroughi die erste von drei Noten, welche die Stationierungsgrenzen für die britisch-indischen Truppen in den südlichen und zentralen Landesteilen und für die sowjetischen Truppen im Norden beinhaltete. Am nächsten Tag forderte eine zweite gemeinsame Note die Verhaftung und Ausweitung sämtlicher Staatsangehöriger der Achsenmächte und die Freigabe aller iranischen Verbindungswege zur Nutzung durch die Alliierten. Teheran akzeptierte. Im Gegenzug sollten die Unabhängigkeit des Landes gewährleistet und die administrative, polizeiliche und militärische Hoheit der iranischen Regierung im gesamten Land geachtet werden. Die ausländischen Soldaten sollten von Kontakten mit der lokalen Bevölkerung sowie von Einmischungen in inneriranische Angelegenheiten absehen.

Was auf dem Papier zu funktionieren schien, scheiterte jedoch bald im Besatzungsalltag. Briten und Sowjets warfen der iranischen Regierung und Polizei mangelnde Bereitschaft zur Zusammenarbeit vor. Überall im Land herrschten chaotische Zustände. Der Staat schien nicht in der Lage, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Konsequenz: Auch in das bislang unbesetzte Teheran rückten alliierte Truppen ein. Der Schah dankte ab. Sein Sohn Mohammed Reza übernahm die Nachfolge. Entgegen der britischen Annahme, dass sich die Interventionskräfte nach dem Durchsetzen der alliierten Forderungen weitgehend zurückziehen könnten, zeichnete sich eine längere Besatzung ab, auch wenn in öffentlichen Darstellungen diese Bezeichnung sorgsam vermieden wurde.

Um den Transport der alliierten Hilfslieferungen für die Sowjetunion zu sichern, stationierten die USA ab Ende 1942 knapp 30.000 Soldaten und zahlreiche Regierungsberater im Iran. Dadurch stieg nicht nur die Zahl der Besatzungsmächte auf drei, sondern auch die der Komplikationen untereinander. Wie später in den befreiten Ländern Europas weigerten sich die Sowjets, den Iran als eine politische und wirtschaftliche Einheit zu betrachten. So hielten sie Nahrungsmittel aus den von ihnen besetzten nördlichen Provinzen zurück und versorgten damit nicht die Bevölkerung in den übrigen Landesteilen, sondern exportierten die Überschüsse in die Sowjetunion. In Deutschland sollte sich ab 1945 auch die Einschränkung der Freizügigkeit zwischen den Besatzungszonen durch strenge Ein- und Ausreisekontrollen wiederholen. Die Briten machten bereits im Iran die Erfahrung, dass die Zusammenarbeit mit den Sowjets auf lokaler Ebene noch schwieriger war als zwischen den Regierungschefs, Ministern und hohen Militärs.

In der zweiten Jahreshälfte 1945 traten die Differenzen dann offen zutage: Auf den Außenministerkonferenzen in London und Moskau zeichnete sich ab, dass sich die Vorstellungen der drei Alliierten kaum miteinander vereinbaren ließen und die Sowjets oft auch keine Verhandlungen oder Vereinbarungen wünschten.

Auswirkungen hatte dies nicht zuletzt auf den Iran, denn eigentlich hatte am 8. Mai 1945 die Frist für den Abzug der Alliierten begonnen: Bis spätestens sechs Monate nach Kriegsende, so hatte man es vertraglich vereinbart, sollten alle ausländischen Truppen das Land verlassen haben. Mangelnde Absprachen und gegenseitige Verdächtigungen bezüglich weiter reichender politischer Ziele im Iran führten indes zu einer Eskalation, in deren Folge die Besetzung des Landes weit länger dauerte als ursprünglich vorgesehen. Erst im Mai 1946 zogen sich die sowjetischen Truppen auf Druck der USA zurück.

Spätestens während der Verhandlungen im neu gegründeten Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von Januar bis Anfang Juni 1946 war deutlich geworden, dass die USA und die Sowjetunion zu Hauptkontrahenten in einem neuen Konflikt geworden waren. Die sogenannte Iran-Krise hatte deutliche Spuren im Verhältnis der ehemaligen Verbündeten hinterlassen: Es war die erste weltweit wahrnehmbare Verwerfung innerhalb der alten Anti-Hitler-Koalition – der Auftakt des Kalten Krieges.

Die Schatten dieser iranischen Episode reichen bis in die Gegenwart: Im März 2010 forderte der damalige iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad von Russland Kompensationszahlungen für die sowjetische Besatzung im Zweiten Weltkrieg – Teherans Antwort auf Moskaus Ankündigung, im Atomstreit „vernünftige Sanktionen“ gegen den Iran mitzutragen. Selbst im Kreml, der die Iraner jahrzehntelang unterstützt und aufgerüstet hatte, schien allmählich die Erkenntnis zu reifen, dass ein nuklear bewaffneter Iran die ohnehin fragile Machtbalance in der Region zerstören könnte.

Das Atomabkommen von 2015 brachte die Konfliktparteien einander kurzzeitig näher. Derzeit steht es vor dem Aus. Und selbst wenn es zu einer Neuverhandlung käme: Zu einer wirklichen Aussöhnung zwischen dem Iran und seinen ehemaligen Besatzungsmächten bräuchte es noch etwas ganz anderes – die Bereitschaft, sich gemeinsam der schwierigen Jahre seit 1941 zu erinnern.

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel des Autors, der am 27. Juni 2019 in der ZEIT erschienen ist

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