Gesellschaft

Kanadas neuer Blick auf die USA

Kanadas neuer Blick auf die USA Foto: steve-barb-sande_unsplash

Die Beziehungen zwischen Kanada und den USA sind durch Trumps Handelskrieg, Beleidigungen und Annexionsgelüste zerrüttet. Unser Autor hat sich in Kanada umgesehen, wie sich der Blick auf den Nachbarn seither verändert hat.

Von Gerd Braune, Ottawa

„We miss you“, sagt Maggie Hassan, demokratische US-Senatorin von New Hampshire. „ihr fehlt uns“. Sie wendet sich an die Kanadierinnen und Kanadier, die in diesen Tagen alles ihnen Mögliche tun, um ihre Abneigung gegen die USA zu artikulieren: Vom Boykott von US-Produkten in Supermärkten bis hin zum Verzicht auf Reisen in die USA für Einkäufe oder Urlaub. New Hampshire ist einer der Grenzstaaten im Nordosten der USA, die unter den Animositäten zwischen den einst so eng befreundeten Nachbarländern leiden. Sie wisse, dass die gegenwärtige „Instabilität in unseren Beziehungen“ Kanadier veranlasst hat, Reisen zu beliebten Tourismuszielen in den USA abzusagen. „Aber wir hoffen, dass ihr zurückkehrt.“

Von Freundschaft und Vertrauen zwischen den USA und Kanada kann in diesen Monaten seit Donald Trumps zweiter Amtseinführung nicht die Rede sein. Als Ontarios konservativer Premier Doug Ford anordnete, dass aus den Regalen des Liquor Control Board of Ontario (LCBO) Wein und Whisky aus den USA verschwinden sollten, erntete er dafür Applaus. So denkt auch Sergii, der sich die Auswahl an Ontario-Wein in einem LCBO-Laden in Ottawa ansieht. „Wir unterstützen unsere Weinbaubetriebe, Brauereien und Destillerien. Die Regale sind voll“ – auch ohne US-Produkte.

„Die Geografie hat uns zu Nachbarn gemacht, Geschichte machte uns zu Freunden, Wirtschaft machte uns zu Partnern“ (John F. Kennedy)

Die Geografie hat uns zu Nachbarn gemacht, Geschichte machte uns zu Freunden, Wirtschaft machte uns zu Partnern – so hatte John F. Kennedy die US-Kanada-Beziehungen in seiner Rede im kanadischen Parlament 1961 beschrieben. Das ist Vergangenheit, vergangenes Jahrtausend. Trumps Gerede von Kanada als dem 51. Bundesstaat der USA und seine Herabwürdigung des bis März amtierenden Premierministers Justin Trudeau zum „Governor“ hat in Kanada Verärgerung und Wut ausgelöst. Der Newsletter Intelligencer des Magazins New York notiert: „Die Kanadier sind wütend. Trump erreichte, was einst unmöglich schien: Unsere nördlichen Nachbarn haben sich gegen uns vereint.“

Resentiments herrschen beiderseits der Grenze

Diese Verärgerung dokumentieren die Statistiken für grenzüberschreitende Reisen von Kanadierinnen und Kanadiern seit Anfang des Jahres. Im Mai 2025 wurden 32 Prozent Reisen weniger gezählt als im Vorjahr. Es war der fünfte Monat mit rückläufigen Zahlen in Folge, während die Zahl kanadischer Reisen nach Übersee fast neun Prozent höher war als im Mai 2024. Dies spüren vor allem US-Staaten nahe der Grenze zu Kanada. Allerdings reisen auch weniger US-Amerikaner nach Kanada. Resentiments herrschen beiderseits der Grenze. In Kanada spürt das die Niagara-Region, der Schwund bei US-Touristen wird allerdings offenbar durch höhere Besucherzahlen aus Übersee ausgeglichen.

Viele Kanadier, urteilt die Zeitung Globe and Mail, empfänden einen Grenzübertritt zu den USA als Bedrohung ihrer Rechte und Würde. Für sie sei es nicht mehr „selbstverständlich, dass ihr Nachbar im Süden ein Land der Rechtsstaatlichkeit ist“. Die Boykotte der Kanadier bestärken Trump offenbar in seiner Einschätzung Kanadas als „nasty“, also scheußlich oder unangenehm. Das sagte US-Botschafter Pete Hoekstra bei einer Konferenz im US-Bundesstaat Washington. Dies sende keine „positiven Signale, dass Kanada die USA gut behandelt“, lamentierte er. British Columbias Premier David Eby kommentierte dies mit den Worten, die meisten Kanadier seien stolz darauf als „nasty“ bezeichnet zu werden, wenn sie für ihre Souveränität und Volkswirtschaft einträten.

Die Attacken Trumps haben in Kanada nationale Gefühle wie noch nie ausgelöst

Die Attacken Trumps und sein Handelskrieg mit hohen Zöllen auf Automobile und Metalle wie Stahl und Aluminium haben in Kanada nationale Gefühle wie noch nie ausgelöst. Verbunden mit dem im März vollzogenen Rücktritt von Trudeau hatten sie zu einer Wiederbelebung der totgeglaubten Liberalen Partei und zum Aufstieg des früheren Notenbankchefs Mark Carney zum Regierungschef geführt. Mit seinem Versprechen, Trump Kontra zu bieten, und der Kampagne „Elbows up“ und „Gloves off“, Begriffe, die für Härte im kanadischen Nationalsport Eishockey stehen, führte er seine Liberale Partei in den vorgezogenen Neuwahlen Ende April zur stärksten Partei und hielt sie in der Regierungsverantwortung.

Trump hat auf persönliche Attacken auf Carney verzichtet, aber nicht seinen Kurs gegenüber dem Nachbarland geändert. Gegenwärtig versucht Kanada, eine Vereinbarung mit den USA zu erreichen, um hohe Strafzölle von 35 Prozent auf Exporte in die USA, die nicht unter das Freihandelsabkommen CUSMA mit den USA und Mexiko fallen, zu verhindern. Trump hatte im Frühjahr Zölle von 25 Prozent angeordnet und Kanada hatte darauf mit Gegenzöllen von 25 Prozent auf Güter im Wert von 30 Milliarden Can-Dollar reagiert. Zum 1. August wollen die USA ihre Zölle auf 35 Prozent erhöhen. Was oft übersehen wird: der größte Teil des kanadischen Exporte in die USA könnte weiterhin von Zöllen ausgeschlossen bleiben, da sie unter die CUSMA-Regeln fallen.

„Pessimismus und Zorn“ sind die vorherrschenden Gefühle in Kanada gegenüber den USA

Dass es gelingen wird, Zölle völlig zu verhindern, glaubt auch Carney nicht. Ein in den Augen vieler Kanadier fragwürdiges Entgegenkommen hatte Carney gezeigt, als er auf Druck von Trump Anfang Juli die Digital Services Tax, die unter Trudeau beschlossen, aber noch nicht in Kraft war, zurücknahm. Wie weit Kanada mit Gegenreaktionen gehen kann, ist umstritten. Ontarios Premier Doug Ford plädiert für Härte. Er fordert, Strafzölle „Dollar für Dollar“ mit Gegenzöllen zu beantworten. „Es gibt eins, was Präsident Trump versteht. Es ist Stärke. Er wird wie ein Zementlaster über uns rollen, wenn wir eine Unze Schwäche zeigen.“ Andere Provinz-Premiers, darunter auch Eby, mahnen einen vorsichtigeren Kurs an, weil Gegenzölle immer auch Kanadas Wirtschaft schaden. Der kanadische Publizist Paul Wells sieht Kanadas „Elbows up“ schon auf Halbmast und ein Ermatten des kanadischen Enthusiasmus Härte zu demonstrieren.

„Pessimismus und Zorn“ sind nach Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Nanos Research die vorherrschenden Gefühle in Kanada gegenüber den USA. 34 Prozent beschrieben Anfang Juli ihre Gefühle gegenüber den US-Amerikanern als „pessimistisch“, 24 Prozent mit „Ärger“ (anger). 17 Prozent sind desinteressiert, nur knapp über 21 Prozent äußerten positive Gefühle wie Optimismus und Zufriedenheit.

„Vor allem das Gerede über Kanada als 51. US-Staat hat die Kanadier beleidigt“, sagt Nik Nanos, Chef des Meinungsforschungsinstituts Nanos Research und Vorsitzender der Atlantik-Brücke Canada. Es habe auch früher Differenzen gegeben, etwa in der Amtszeit von Präsident George W. Bush, aber nicht diesen Ärger. „Keine US-Administration hat so provozierende Dinge gegenüber Kanada gesagt“, sagt Nanos. Das Vertrauen zwischen beiden Staaten könne vielleicht wieder zurückkehren, „aber wie lange wird das dauern?“ Besonders angespannt war die Stimmung im Frühjahr, als „ein sehr aggressiver Trump“ Kanada mit Zöllen und Drohungen immer wieder attackierte und in Kanada unklar war, wer künftig das Land regieren wird. Jetzt unter Carney hat sich diese Spannung etwas gelegt. Zu einem gewissen Grad sind die Kanadier laut Nanos „desensitized“, abgestumpft. Denn „er (Trump) kann heute etwas sagen und am nächsten Tag etwas anderes.“

Kanada und Europa sollten ihre Beziehungen intensivieren

Auf denen Fall sieht Nanos nun die Herausforderung für Kanada und Europa, ihre Beziehungen zu intensivieren, und Kanadas Chance, die Abhängigkeit von den USA zu reduzieren. 85 Prozent sprachen sich dafür aus, Handelsbarrieren abzubauen und Kanadas Volkswirtschaft stärker mit der EU zu verbinden. „Es gibt eine starke Lizenz eine stärkere Beziehung zu Europa zu bauen“, sagt Nanos.

Brian Schmidt, Professor an der Carleton University in Ottawa, glaubt, dass Kanada darüber schockiert ist, wie sehr sich die USA gegen ihr Land gerichtet haben. „Sie versuchen vorsätzlich die kanadische Wirtschaft zu schädigen.“ Kanadier empfänden dies als Verrat angesichts der vielen Hilfen, die Kanada in den vergangenen Jahren gegeben habe. Schmidt erinnert an die kanadischen Feuerwehrleuten im Einsatz gegen Waldbrände in den USA und an die Hilfe nach den Terrorattacken vom September 2001. „Kanada war immer der Erste, der geholfen hat.“ Jetzt gebe es „eine Menge Animosität und Ärger“.

„Die Attacke mit den Reden von Kanada als 51. US-Bundesstaat hat uns völlig unvorbereitet getroffen“

Die Attacke mit den Reden von Kanada als 51. US-Bundesstaat und die Herabsetzung des Premierministers zum Governor „hat uns völlig unvorbereitet getroffen“. Zwischen den USA und Kanada bestehe angesichts des Größenunterschieds der Volkswirtschaften eine „asymetrische Beziehung“. „Trump sieht unsere Verwundbarkeit.“ Die USA sieht Schmidt auf einem Weg hin „zu einer Art faschistischen autoritären Staat“.

Einer, der in dieser Zeit der Trump-Attacken ein Signal setzen will, ist der deutschstämmige Chocolatier Heinrich Stubbe in Ottawa – mit Schokolade. „Kanada ist nicht zu verkaufen“ ist auf dunklen Schokoladetafeln mit weißer Schokolade geschrieben, oder „Elbows up“. „Ich musste etwas machen“, sagt er. Die Parolen zur Unterstützung von Kanada sprechen allen aus der Seele. „Dies sind Stellungnahmen, mit der sich alle, die Kanada lieben, identifizieren können.“ Er bietet die politische Schokolade in den offiziellen Landessprachen Englisch und Französisch sowie in Deutsch, Spanisch und Mandarin an. Stubbe will das süße kulinarische Bekenntnis zu Kanada im Sortiment halten, bis Trump „weg ist“.

Gerd Braune lebt seit 1997 in der kanadischen Hauptstadt Ottawa, um über das riesige Land in Nordamerika zu berichten. Braune studierte Politik- und Rechtswissenschaft in Trier und arbeitete danach für die Nachrichtenagentur AP als Hessen- und Rheinland-Pfalz-Korrespondent und von 1992 bis 1997 als Nachrichtenredakteur bei der Frankfurter Rundschau.

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