Allgemein

Konferenz spricht Probleme im Jubiläumsjahr offen an

Konferenz spricht Probleme im Jubiläumsjahr offen an German American Conference of the Atlantik Brücke in Berlin, 16/17.5.2017; Copyright Jan Zappner / Raum11

Hunderte von Mitgliedern der Atlantik-Brücke und des American Council on Germany haben sich anderthalb Tage Zeit genommen, um auf ihrer gemeinsamen Deutsch-Amerikanischen Konferenz den intensiven Austausch zu drängenden Fragen der transatlantischen Beziehungen zu suchen. Während der Konferenz, die in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt stattfand, orientierten sich die Teilnehmer an dem übergeordneten Kompass, den der Titel der Zusammenkunft als Ziel vorgab: „Finding Common Ground: Confronting Challenges and Setting Priorities for Europe and the United States“. Nachdem die Vorsitzenden der Atlantik-Brücke und des American Council on Germany, Friedrich Merz und Botschafter Robert M. Kimmitt, die Gäste im Weltsaal des Auswärtigen Amts im 65. Jahr des Bestehens der Schwesterorganisationen begrüßt und auf die Tagung eingestimmt hatten, lieferte die erste transatlantische Grundsatzrede von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel einen unmittelbaren Höhepunkt.

Gabriel sprach sich dafür aus, das transatlantische Verhältnis mit höchstem Engagement, mit Mut und Optimismus zu erneuern und zu vertiefen. Derzeit werde die Welt neu vermessen: Asiatische Staaten würden weiterhin auf hohem Niveau wirtschaftlich wachsen, Lateinamerika poche auf mehr internationalen Einfluss, und der afrikanische Kontinent werde das Jahrhundert prägen. „Europäer und Amerikaner stehen vor der Entscheidung: Wollen wir die Weltordnung mit ihrer liberalen und regelbasierten Wertegemeinschaft fit machen für das 21. Jahrhundert?“, sagte Deutschlands Chefdiplomat. In der seit einiger Zeit geführten Debatte über den Umgang mit dem 2-Prozent-Ziel der NATO-Mitgliedstaaten plädierte Gabriel dafür, die Diplomatie zu stärken und deren vielfältigen Initiativen in die Verteidigungsetats aufzunehmen. Mit Blick auf das europäisch-amerikanische Binnenverhältnis nahm er die EU in die Pflicht. „Europa muss selbst Initiative übernehmen. Wir Europäer brauchen eine gemeinsame Stimme und müssen uns von der Vorstellung emanzipieren, dass die USA immer dann eingreifen, wenn es ernst wird in der Welt“, forderte Gabriel. Generell müsse die Europäische Union mehr zur Sicherheit auf ihrem eigenen Kontinent beitragen.

Gabriel: Marshall-Plan im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankert

Die Deutsch-Amerikanische Konferenz fand nur wenige Wochen vor dem 70. Jahrestag eines für die transatlantischen Beziehungen fundamentalen Ereignisses statt – der berühmten Marshall-Plan-Rede am 5. Juni 1947. An jenem Tag legte der damalige US-Außenminister George C. Marshall im Innenhof der Harvard-University vor Absolventen dar, wie Europa aus eigenem Antrieb und mit amerikanischer Hilfe nach Ende des Zweiten Weltkrieges erneuert werden sollte. „Der Marshall-Plan ist positiv im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankert. Umso wichtiger ist es, gelegentlich daran zu erinnern, dass die europäische Wiedervereinigung letztendlich amerikanische Mütter und Väter hatte“, betonte Gabriel. Das Vermächtnis des politischen Kerns des Marshall-Plans besteht nach Ansicht des Ministers aus folgenden nach wie vor relevanten Elementen: die Bereitschaft der USA, Deutschland in die internationale Staatengemeinschaft aufzunehmen; die Wiederaufbauhilfe für Deutschland im Bewusstsein, dass ökonomische Stabilität für politischen Zusammenhalt und Frieden sorgt; die Basis für ein tragfähiges internationales Bündnis; das Interesse, die Widerstände innerhalb Europas zu überwinden, um damit Europa zu einem Wertepartner für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte zu machen. „Der Plan entsprang kühl abgewogener, interessengeleiteter US-Politik“, stellte Gabriel klar. Im Kern symbolisiere die transatlantische Partnerschaft, dass aus langfristiger Kooperation beständiger Nutzen für beide Seiten erwachse.

Das anschließende Panel widmete sich ebenfalls der bleibenden Bedeutung des Marshall-Plans. „Marshall war nach der persönlich erlebten Erfahrung von zwei Weltkriegen völlig klar, dass sich die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht wiederholen darf“, sagte der frühere US-Botschafter bei der NATO, Douglas Lute, an Moderatorin Alison Smale von der New York Times und das Publikum gerichtet. Marshall habe die Integration der USA und Europas als beste Lösung angesehen, führte Lute aus. Der ehemalige polnische Botschafter in der Bundesrepublik, Janusz Reiter, stimmte dem zu und forderte, dass die Erinnerung an den Marshall-Plan gerade in Europa nicht verblassen dürfe. „Die USA haben dazu beigetragen, ein internes Gleichgewicht in Europa zwischen den paar großen Staaten und den vielen kleineren Ländern zu schaffen“, erklärte Reiter. Eine deutsche Perspektive nahm Georg Mascolo ein. Der Leiter des investigativen Rechercheverbundes von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR betonte: „An entscheidenden Wegmarken unserer Geschichte war Amerika der beste Freund, den sich Deutschland nur wünschen konnte.“

Reiter: Europa sollte Interessen mit Werten in Einklang bringen

Heute steht das transatlantische Bündnis unter anderem vor der Herausforderung, seine Institutionen zu reformieren. Lute bekräftigte, dass insbesondere die NATO auf der Basis liberaler Werte gegründet worden sei. Doch eine solche Institution habe wie einige andere Einrichtungen mittlerweile ein schwerwiegendes Problem, das der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan unlängst treffend mit den Worten beschrieben habe: „Institutionen denken, sie sind zu groß, um zu versagen. Bürger denken, Institutionen sind zu klein, um etwas zu verändern.“ Ohne sofort den Anspruch einer Lösung dafür zu erheben, empfahl Reiter der EU, ihre Interessen und Macht mit ihren Werten in Einklang zu bringen. Dies gelte etwa für die Türkeifrage und den afrikanischen Kontinent, der einen strategischen Plan brauche.

Am Abend des ersten Konferenztages war vor allem die deutsche Delegation im Jahr der Bundestagswahl 2017 sehr daran interessiert, die Gedanken einer der Schlüsselfiguren der Demokratischen Partei in den USA nach deren Niederlage zu hören. Donna Brazile, die frühere stellvertretende Vorsitzende des Democratic National Committee, sprach über die aktuelle Lage der Demokraten. Brazile, die bereits zehn Präsidentschaftswahlkampagnen aus nächster Nähe verfolgte, resümierte: „Man wird sich an 2016 als den Wahlkampf erinnern, in dem sich Regeln verändert haben. Es war in jeder Hinsicht eine Abwärtsspirale.“ Zur Wahl gestanden hätten zwei Kandidaten, die niemand gewollt habe, denen niemand vertraut habe. Die manifeste Unzufriedenheit in der US-Bevölkerung habe sich an Zahlen ablesen lassen können: Sechs Prozent wählten die kleinen Drittparteien – so viel wie seit 1992 nicht mehr. Nur 137,5 Millionen US-Amerikaner nahmen an der Wahl teil; 90 Millionen machten keinen Gebrauch von ihrem Wahlrecht.

Brazile: Arroganter Umgang der Demokraten mit der „blauen Wand“

Brazile präsentierte ihre sechs wichtigsten Schlussfolgerungen aus der Präsidentschaftswahl 2016 für die Demokratische Partei. Erstens hätten zwei populistische Kandidaten auf der linken wie rechten Seite des politischen Spektrums die Wahl extrem beeinflusst: Bernie Sanders und Donald Trump. Zweitens seien die Demokraten arrogant mit ihrer „blauen Wand“ umgegangen, also mit jenen 18 Bundesstaaten, die lange fest demokratisch gewählt haben. Die Partei habe sich zu wenig mit ihren Botschaften an die dort lebenden Bürger gewandt und sich nicht hinreichend mit deren Nöten auseinandergesetzt. So lasse sich erklären, dass Michigan, Wisconsin und Pennsylvania allesamt für Trump gestimmt haben. Drittens seien die Anhänger von Sanders davon ausgegangen, dass dieser von der Parteiführung aus dem parteiinternen Rennen mit Hillary Clinton ausgeschlossen wurde. Dies habe Clinton geschadet. Viertens sei Clinton als Kandidatin der Wall Street und des Washingtoner Establishments gesehen worden. Die fünfte Erkenntnis berge eine immense Überraschung: „Clinton schnitt schwach bei Millennials, weißen gebildeten Frauen, Latinos und Afro-Amerikanern ab.“ Und schließlich habe sechstens Clintons E-Mail-Affäre die Partei Stimmen gekostet. Insbesondere der Brief von FBI-Chef James Comey über angeblich neue kritische Mails auf Clintons Privatserver kurz vor dem Wahltag habe der Kampagne Momentum entzogen.

„Das transatlantische Verhältnis wurde auch durch den Einsatz von politischen Nichtregierungsorganisationen aufgebaut.“ Mit diesen Worten begrüßte Kent Logsdon, Chargé d’Affaires ad interim der US-Botschaft in Berlin, die Konferenzteilnehmer am Morgen des zweiten Tages im Europasaal. Zuvor hatte der Koordinator für die transatlantische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, Jürgen Hardt, einführende Worte gesprochen.

Werz: Ansehen der USA in der Welt hat unter Trump gelitten

Hat US-Präsident Trump eine außenpolitische Doktrin? Dieser Frage gingen in einem von Jacob Heilbrunn, Herausgeber von The National Interest, moderierten Gespräch der Geschäftsführer des McCain Institute, Botschafter Kurt Volker, und Michael Werz nach, der als Senior Fellow beim Thinktank Center for American Progress tätig ist. Trump sei sehr interessengeleitet in seinem Einsatz für die Belange der USA, bemerkte Volker. „Es lässt sich kein Unterschied zur Politik seines Vorgängers Barack Obama feststellen. Nur die Rhetorik ist aggressiver“, ergänzte er. Auf diesen Punkt entgegnete Werz: „Die komplexe Architektur des internationalen Regelwerks wird mit einer vergifteten Rhetorik in Frage gestellt. Das Ansehen der USA in der Welt hat unter Trump bereits gelitten.“ Werz hielt fest, dass Amerika für die globale Sicherheit und Stabilität absolut unersetzlich sei. Jedoch müsse die Regierung ihre außenpolitischen Interessen der Öffentlichkeit besser vermitteln.

Wenige Wochen vor dem G20-Gipfel in Hamburg unter deutschem Vorsitz beschäftigte sich das Anschluss-Panel mit Fragen der Finanzmarktregulierung, des Wachstums, öffentlicher Schulden und des Freihandels. Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Jens Spahn, machte gegenüber Moderatorin Heather Long von CNN Money deutlich, dass die G20 für ihn die „effektivste globale Plattform zur Finanzmarktregulierung“ darstellten. Die Bundesrepublik wolle die Resilienz der globalen Wirtschaft stärken, eine nachhaltige Entwicklung in Afrika über die Beteiligung privater Unternehmen fördern und digitale Finanzdienstleistungen dabei unterstützen, gesellschaftliche Inklusion zu ermöglichen und Bankgeschäfte zu beschleunigen. Spahn gab zu, dass die Staaten der G20 ein Wachstumsproblem hätten und mahnte an, eine Umgebung zu erzeugen, die Investitionen und Unternehmensgründungen stimuliert.

Spahn: Schulden können nur durch Strukturreformen abgebaut werden

Das nicht zu unterschätzende Problem der staatlichen Schulden werde nicht ernst genug behandelt, sagte Amar Bhidé, Thomas Schmidheiny Professor an der Fletcher School of Law and Diplomacy der Tufts University. Seine Kritik zielte insbesondere auf die Niedrigzinspolitik und das „Quantitative Easing“ der Europäischen Zentralbank ab: „Die EZB verhält sich wie jemand, der einem Betrunkenen mehr Alkohol gibt.“ Spahn nahm dagegen die Einzelstaaten für sich genommen in die Pflicht: „Hohe öffentliche Schulden können nur durch strukturelle Reformen abgebaut werden.“

Das vorläufige Scheitern des amerikanisch-europäischen Freihandelsabkommens TTIP wirkte auch in dieser Diskussion nach. James Roberts, Research Fellow der Heritage Foundation, erklärte dies mit Schwierigkeiten im Bereich der regulatorischen Kooperation. Die EU hätte mit ihren Forderungen in mehreren Sektoren nicht für gleiche und somit faire Wettbewerbsbedingungen gesorgt. Roberts empfahl den beiden Verhandlungspartnern, ein enger gefasstes Handels- und Investitionsabkommen abzuschließen, das sich auf Zölle von null Prozent und einigen wichtigen gegenseitigen Anerkennungen von Standards zum Beispiel in der Pharmabranche und der Automobilindustrie konzentriere.

Coats: Gegenseitiges Vertrauen von essenzieller Bedeutung

Wesentlich weiter fortgeschritten ist hingegen die Kooperation Europas und Amerikas, was die Bekämpfung des internationalen, insbesondere islamistischen Terrorismus angeht. In einem Vortrag und anschließenden Gespräch mit Tina Hassel, Chefin des Hauptstadtbüros der ARD, sagte Hans-Georg Engelke, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern: „Die USA sind Deutschlands wichtigster Partner in der geheimdienstlichen Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus, vor allem in der Vereitelung geplanter Anschläge.“ Da offene, freiheitliche Gesellschaften allerdings immer verletzlich blieben, komme der Prävention große Bedeutung zu. Der Fokus müsse auf gelingender Integration und der Förderung aktiven gesellschaftlichen Engagements für den wehrhaften Rechtsstaat liegen, bemerkte Engelke.

Es war dem hochrangigsten amerikanischen Vertreter der Konferenz vorbehalten, die US-Perspektive zu diesem Themenkomplex aufzuzeigen: Daniel Coats, der an seinem zweiten Arbeitstag als US-Botschafter in Deutschland den 11. September 2001 diesseits des Atlantiks miterlebte und nun Geheimdienstdirektor der Vereinigten Staaten ist. Im Gespräch mit dem Internationalen Korrespondenten der ZEIT, Matthias Naß, betonte Coats den essenziellen Wert von gegenseitigem Vertrauen in den sicherheitspolitischen Beziehungen. Aus seinem jüngst dem US-Kongress vorgelegten Bericht zur weltweiten Bedrohungslage hob der Geheimdienstdirektor folgende Punkte hervor: Terrorismus sei im Moment geografisch sehr verschieden ausgeprägt; der Iran bleibe der größte Sponsor des internationalen Terrorismus; der „Islamische Staat“ werde das Internet noch stärker nutzen, um Geld einzutreiben und Propaganda zu verbreiten; Nordkoreas Nuklearprogramm entwickle sich zu einer zunehmend ernsten Gefahr; Europa bleibe verwundbar für terroristische Angriffe.

Hamilton: Europa driftet international ab, wird grau und unbedeutend

Das anschließende Panel setzte sich mit einer sich wandelnden Weltordnung sowie der Rolle Russlands darin auseinander. Die Grünen-Obfrau im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages, Marieluise Beck, forderte gegenüber Moderator Christian Thiels von der ARD, dass sich die USA stärker in der Ukraine einsetzen sollten, da seit der russischen Intervention ein politisches Vakuum in diesem Land herrsche. Susan Glasser, Chief International Affairs Columnist bei Politico, bezweifelte in ihrer Replik, dass dies möglich ist: „Das Weiße Haus ist nicht vorbereitet, hat kein Personal und erst recht keinen Konsens für die speziellen Beziehungen zu Russland.“ Im Gegensatz dazu verortete Daniel Hamilton Probleme in Bezug auf internationales Engagement vielmehr in Europa als in Amerika. Der Geschäftsführer des Center for Transatlantic Relations der School for Advanced International Studies an der Johns Hopkins University stellte fest: „Europa driftet ab von internationalen Themen, wird grau und unbedeutend auf der globalen Bühne.“ Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, warnte angesichts dieser Situation davor, dass sich „der Westen auf dem Rückzug befindet“. Denn Russland und China nutzten dies aus und hielten sich nicht an die westlich geprägten Regeln.

Politische Polarisierungen und deren Folgen für gewachsene Demokratien standen im Zentrum des abschließenden Panels der Konferenz. James Bell, Vizepräsident für Global Strategy am Pew Research Center, lieferte dem Publikum und Moderator Gregor Peter Schmitz von der Wirtschaftswoche einen Einblick in drei zu beobachtende Trends, die sowohl für Europa als auch die USA gelten. Erstens sorgten Terrorismus, ökonomische Globalisierung und die fortschreitende Digitalisierung bei vielen Menschen für ein Gefühl von Kontrollverlust in ihrem alltäglichen Leben. Zweitens gehe die Zuversicht in die Kompetenz von Institutionen verloren – sie befände sich sogar auf einem Tiefpunkt. Dies führe drittens zu Radikalisierungen und politischer Lagerbildung. Dabei wünschten sich viele Bürger nach wie vor politische Kompromisse, die ihr Leben verbessern. Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, forderte Deutsche und Europäer auf, aus den Erfahrungen der US-Präsidentschaftswahl 2016 die richtigen Schlüsse zu ziehen: „Die Demokraten haben zu wenig Empathie für die Sorgen der vielen abgehängten Menschen gezeigt. Und das gesamte Establishment hat komplett versagt, was den Respekt gegenüber jedem Bürger betrifft.“

Bleiben Sie auf dem Laufenden und abonnieren Sie unsere Newsletter RECAP & INSIGHTS.