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„Mit den USA einen gemeinsamen Weg finden“

„Mit den USA einen gemeinsamen Weg finden“

Interview mit Volker Rühe, Bundesverteidigungsminister a.D.

Ist der Westen angesichts terroristischer Bedrohungen in Europa und den USA, aber auch angesichts der konfrontativen Haltung Russlands wieder stärker zu einer politischen Einheit zusammengewachsen?

An der Oberfläche ja, aber es ist ein Armutszeugnis, wenn wir uns nur durch unsere Gegner in unserer Gemeinsamkeit definieren. Deswegen ist es ganz entscheidend, dass wir auf Augenhöhe und mit geteilten Werten Partner auf eine andere und neue Weise sind, als wir dies im Kalten Krieg waren. Da spielt ein verlässliches Deutschland eine wichtige Rolle. Wir müssen mit den USA den gemeinsamen Weg in den globalen Wirren des 21. Jahrhunderts finden. Das ist besser, als sich nur durch die Gegner zu definieren.

Befürchten Sie langfristige Rückwirkungen des NSA-Skandals auf die Zusammenarbeit in sicherheitspolitischen Angelegenheiten?

Nein, nicht wenn man klug genug ist. Wir übersehen gelegentlich, dass 9/11 für die Amerikaner ein unglaublicher Einschnitt in die Geschichte war. Hitler-Deutschland konnte niemals New York und Washington angreifen, Gleiches gilt für das Japan des zweiten Weltkriegs. Aber Al-Qaida konnte das. Im Übrigen haben unsere Sicherheitsteams da auch eine traurige Rolle gespielt.
Solche Äußerungen wie die des CEO von Apple, der neulich in Deutschland gesagt hat, dass ihm die Datensicherheit genauso wichtig ist wie den Deutschen, zeigen uns, dass es möglich ist, wieder neue Brücken zu schlagen. Man braucht Verstand und Augenmaß auf beiden Seiten. Und das Augenmaß der Kritik ist auf unserer Seite auch nicht immer gegeben.

Aus den USA wird immer wieder die Forderung laut, dass Deutschland sich entsprechend seiner herausragenden Stellung in Europa auch in der gemeinsamen Sicherheitspolitik stärker einbringen soll. Stimmen Sie diesen Forderungen zu? Wie könnte ein größerer deutscher Beitrag aussehen?

Es wird nicht mehr von uns erwartet als von anderen wichtigen Nationen in Europa. Aber wir müssen lernen, dass wir keine Sonderrolle mehr spielen können. Das bedeutet nicht automatisch Waffenlieferungen und Aktion. Aber das, was in der Sicherheitspolitik von Ländern wie Frankreich und Großbritannien geleistet wird, das muss vergleichbar auch von Deutschland geleistet werden. Die Deutschen müssen dasselbe Risiko tragen in der Sicherheitspolitik.

Wir brauchen keine herausragende Führungsrolle in Europa. Aber wir müssen zusammen mit den großen europäischen Nationen Europa militärisch arbeitsteilig organisieren. Das setzt aber auch die die gesicherte Verfügbarkeit der deutschen Systeme voraus. Das ist genau das, womit sich die von mir geleitete Kommission des Bundestages zu Auslandseinsätzen auseinandersetzt. Es gibt in Europa keine rein nationalen Armeen mehr, die ausreichen würden, um auf Augenhöhen mit den Amerikanern eine sicherheitspolitische Partnerschaft im 21. Jahrhundert zu haben.

Sie haben sich immer wieder dafür ausgesprochen, die Kommunikation mit Russland auch angesichts der Ukraine-Krise nicht abbrechen zu lassen. Was wäre das geeignete Forum für einen Dialog des Westens mit Russland?

Wir müssen die vorhandenen Foren nutzen, aber es muss auch vertrauliche Hintergrundgespräche geben. Was mich am meisten beunruhigt hat ist, dass mir viele der Akteure in Berlin in den letzten Monaten gesagt haben, wir wissen nicht, was Putin vorhat. Es gibt viele Telefonate, aber man braucht auch vertrauliche Hintergrundgespräche um zu wissen, wie die andere Seite denkt und handelt. Offensichtlich hätte man auch schon früher erkennen können, was sich zusammenbraut.

Ich bin auch dafür, Visafreiheit für russische Schüler, Studenten und Wissenschaftler zu schaffen. Wir müssen dafür sorgen, dass die junge Generation nicht nur einseitiger Propaganda ausgesetzt ist. Da muss man dann auch mal die Sicherheitsbedenken zurücktreten lassen. Es gibt eine junge Generation in Moskau, die natürlich zum Teil von der Propaganda angesteckt ist, die aber auch eine große Sehnsucht hat, weiterhin den freien Zugang zur ganzen Welt zu haben. Die Transparenz und die Freiheit unseres Systems sollten wir dazu nutzen, dass die jungen Leute in Russland nicht unter Putin leiden. Russland ist mehr als Putin.

Und wenn Putin, wenn Russland sich nicht modernisiert, dann gibt es einen immer stärkeren Brain-Drain und insofern ist es letztlich auch im wohlverstandenen Interesse Russlands, wenn diese junge Generation die Welt kennenlernt und dadurch realisiert, wie sehr Russland zurückfällt in Bezug auf moderne Wirtschaft und Technologie und auch in Bezug auf ein attraktives politisches System. Das sollte man vorantreiben. Und wenn man diese Visafreiheit gewährt und Putin darauf nicht eingeht, dann zeigt das, dass er die junge Generation in seiner Propaganda einsperren will.

Was können die transatlantischen Partner derzeit konkret tun, um die Lage in der Ukraine zu verbessern?

Wir müssen alles tun, finanziell, aber vor allem auch durch personellen Einsatz, um die Ukraine zu einem erfolgreichen europäischen Staat zu machen. Nicht zu einem EU-Staat. Nicht zu einem Nato-Staat. Sondern zu einem erfolgreichen modernen Staat mit einem europäischen Gesicht. Da muss man sich auch persönlich engagieren. Pläne gibt es genug. Aber ein europäisches Gesicht bekommt die Ukraine nur, auch im Sinne der jungen Leute auf dem Maidan, wenn die Macht der Oligarchen zurückgedrängt wird. Die Macht der Oligarchen muss zurückgedreht werden auf das Maß der Wirtschaftsführer im Westen. Und die jungen Leute, die jetzt ins Parlament gekommen sind – da gibt es beispielsweise eine 31jährige junge Frau, die Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses ist – die brauchen Rückhalt und unsere Unterstützung. Wir brauchen junge Leute, die im Westen studiert haben, vielleicht mit Stipendienprogrammen, die in den Regierungsbürokratien beginnen können und nicht weiter abgeblockt werden, wie in der Vergangenheit.

Die Ukraine, wenn sie ein erfolgreicher europäischer Staat wird, wird in der Lage sein, auch Russland zähmen. Eine Ukraine, die ökonomisch und politisch attraktiver ist, auch für die junge Generation in Russland, die verändert Russland mehr, als es Waffen tun können. Die Währung des 21. Jahrhundert sind nicht Artillerie und Panzer, auch wenn das jetzt gelegentlich so aussieht, angesichts des Krieges im Osten der Ukraine. Es ist immer noch die Attraktivität eines politischen Systems, die entscheidend ist. Und auch die Wirtschaftskraft und die Modernität der Technologie sind die Währung des 21. Jahrhunderts. Da kann die Ukraine noch viel tun. In beiden Bereichen gibt es eigentlich niemand, der Russland als vorbildlich betrachtet. Die Ukraine steht vor gewaltigen Änderungen: Der Einfluss der Oligarchen muss zurückgedrängt werden. Die Abgeordneten müssen unabhängig sein. Wenn sie das schafft, dann wird sich die Ukraine zu einem mächtigeren Staat entwickeln, als sie es im Augenblick ist.

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