Reagieren auf globale Veränderungen
Das 4. Transatlantic Forum on Geoeconomics fand am 30. September 2025 in Brüssel statt – zu einer Zeit steigender globaler Spannungen und wirtschaftlicher Unsicherheiten. Es unterstrich die dringende Notwendigkeit verstärkter NATO-Verpflichtungen, steigender europäischer Verteidigungsausgaben und einer erneuerten US-EU-Partnerschaft in Handel und KI-Technologie.
In diesem Jahr haben die Atlantik-Brücke und der Atlantic Council das 4. Transatlantic Forum on Geoeconomics in Brüssel – im Zentrum der europäischen Politik – ausgerichtet. Die Gespräche konzentrierten sich auf die transatlantische Partnerschaft, die eskalierenden geopolitischen Spannungen und die wachsende wirtschaftliche Volatilität. Die Agenda basierte maßgeblich auf hochkarätigen Gesprächen, insbesondere mit dem US-Botschafter bei der NATO, Matthew Whitaker, und dem EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič, die beide mit Offenheit und differenziertem Blick auf ihre Fachgebiete beeindruckten.
„Amerika wird jeden Zentimeter des Territoriums der Allianz schützen.“
Botschafter Matthew Whitaker sendete ein deutliches Signal des anhaltenden amerikanischen Engagements für die kollektive Verteidigung der NATO und bestand darauf, dass „jeder Zentimeter“ des NATO-Gebiets geschützt werde. Er schilderte, wie eine nachhaltige diplomatische Einbindung Präsident Trump zu einer starken Unterstützung der ukrainischen Souveränität bewegt habe. Ein einheitliches Auftreten sei nötig, um Moskau echte Kosten aufzuerlegen. Jüngste russische Drohnenvorstöße in den NATO-Luftraum über Polen und die baltischen Staaten zeigten einerseits die anhaltenden Bedrohungen, andererseits aber auch die Reaktionsfähigkeit und Abschreckungskapazität der Allianz. Whitaker äußerte jedoch Frustration darüber, dass einige europäische Verbündete mit den Verteidigungsausgaben „hinterherhinken“ und warnte, dass das Verfehlen der neu gesetzten 5-Prozent-BIP-Marke Glaubwürdigkeit und Abschreckung schwächen könnte. Für Whitaker ist eine sichere Allianz untrennbar mit einer ausgewogenen Lastenverteilung verbunden – ein Ziel, das im „Haager Verteidigungsversprechen“ verankert ist, aber Wachsamkeit erfordert, um jährlich substanzielle Steigerungen sicherzustellen.
„Ein Innovationsklima zu fördern ist der Schlüssel sowohl für wirtschaftliche als auch für sicherheitspolitische Resilienz.“
Auf europäischer Seite reflektierte EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič über eine grundlegende Transformation: Europa, so argumentierte er, sei als Friedensprojekt gestartet, müsse nun aber seine Sicherheits- und Verteidigungspolitik angesichts rasanter geopolitischer Veränderungen neu bewerten. Er betonte die Bedeutung der USA als strategischen Partner, nicht nur durch erhöhte Verteidigungsinvestitionen, sondern auch durch Attraktivitätssteigerung des europäischen Verteidigungssektors für Investoren. Šefčovič stimmte Whitakers Einschätzung zu, dass ohne nachhaltiges Wirtschaftswachstum ein Staat nicht 5 Prozent seines BIP in Verteidigung investieren könne – und dass die Förderung eines Klimas für Innovation wesentlich für wirtschaftliche und sicherheitspolitische Widerstandskraft sei.
Des Weiteren drehte sich die Diskussion beim Transatlantic Forum um Handel und Zölle. Die Diskutanten waren sich einig, dass der gegenwärtige Moment der Beginn eines „neuen Handelskapitels“ sei, geprägt von anhaltender Unsicherheit und drastischen Verschiebungen im globalen Warenverkehr. Neue US-Zölle würden Europa zwingen, seine Lieferketten zu überdenken. Außerdem müsse Europa sich gut überlegen, wieviel von seiner Stahlindustrie nach China abwandern dürfe. Anahita Thoms, Partner, Head of Germany’s International Trade Practice, Baker McKenzie, stellte klar, dass „Zölle schmerzen, aber Unsicherheit zerstört“ und dass eine Rückkehr zur alten globalen Handelsordnung nicht zu erwarten sei. Stattdessen müsse Europa seine Handelsbeziehungen diversifizieren, etwa durch neue Abkommen mit Mercosur, und zugleich die transatlantische Wirtschaftsbeziehung stabilisieren und vertiefen, betonten die Panelist*innen.
„Die tiefe parteipolitische Spaltung ist eine reale innere Bedrohung für die Stellung des US-Dollars.“
Eine andere lebhafte Diskussion beleuchtete die globale Stellung des US-Dollars. Sowohl amerikanische als auch europäische Speaker betonten, dass die Vorherrschaft des US-Dollars durch interne ideologische Grabenkämpfe in den USA bedroht sei. „Wir wissen nicht genau, wann der Niedergang des US-Dollars begann“, sagte Selesha Mohsin, leitende Washington-Korrespondentin bei Bloomberg. Die „tiefe parteipolitische Spaltung“ stelle eine reale interne Bedrohung für die Position des US-Dollars dar. Dies habe eine umfassendere europäische Neubewertung von Zahlungssystemen und eine Suche nach größerer finanzieller Souveränität ausgelöst, mit Forderungen nach neuen Plattformen, die weniger anfällig für externe Schocks seien.
„Europa ist die einzige Weltregion, in der die Energienachfrage gesunken ist – ein Zeichen der Deindustrialisierung.“
Das Transatlantic Forum diskutierte auch über Europas sinkende Energienachfrage. Andrew Puzder, der neue US-Botschafter bei der EU, erklärte: „Europa ist die einzige Weltregion, in der die Energienachfrage gesunken ist – ein Zeichen der Deindustrialisierung.“ Dieses Phänomen müsse angegangen werden, um eine langfristige Erosion der industriellen Basis Europas zu verhindern und die Energiesicherheit zu gewährleisten.
„Das Rennen um die KI wird durch Kapital und Talent entschieden.“
Anschließend wurde auf der Konferenz über künstliche Intelligenz und digitale Wettbewerbsfähigkeit gesprochen. Europas immer größer werdender Rückstand bei der Einführung generativer KI wurde als Herausforderung und Aufforderung zum Handeln betrachtet. „Nur 37 Prozent der deutschen Unternehmen nutzen generative KI“, sagte Michael Hüther, Direktor und Mitglied des Präsidiums am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). „KI ist wichtig für Deutschlands Rückkehr zu mittlerem Wirtschaftswachstum“, betonte er. Jens Wiese, geschäftsführender Gesellschafter bei Leitmotif, ergänzte: „Das Rennen um KI wird durch Kapital und Talent entschieden. Europäische Unternehmen täten gut daran, ihre transatlantischen Beziehungen nicht zu gefährden, indem sie verstärkt nach KI-Chancen in China suchen.“
Die Redner*innen des Forums waren sich einig, dass das Schließen dieser Lücke pragmatische Regulierung, Kapitalinvestitionen und vor allem das Festhalten an der transatlantischen Partnerschaft erfordert. Abkürzungen durch Zusammenarbeit mit anderen Akteuren wie etwa China sei nicht der richtige Weg. Gegenwärtig verfüge nur die USA über die Größenordnung und Dynamik, die es braucht, um im Bereich KI führend zu sein – ein deutlicher Hinweis auf die Grenzen Europas aufgrund fragmentierter Finanzmärkte.
Das Fazit des vierten Transatlantic Forum war eindeutig: Die Herausforderungen von Sicherheit, wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und Resilienz können nur durch eine erneuerte transatlantische Solidarität bewältigt werden – verankert in gemeinsamen Werten und konkreten Investitionen auf beiden Seiten des Atlantiks.
Sehen Sie hier die Aufzeichnung des Forums: