Regionalgruppe Frankfurt

„Recht ist immer auch politisch. Rechtssetzung sowieso – als politisch gewollter Ordnungsrahmen“

3 Fragen an ... Sarah Tacke

Im Atlantik-Brücke-Kurzinterview im Anschluss an das Frankfurt Luncheon im Oktober 2023 spricht Dr. Sarah Tacke, Leiterin der Redaktion Recht & Justiz, ZDF – Zweites Deutsches Fernsehen, über die Politisierung des Rechtssystems in den USA und Europa. 

Das amerikanische und deutsche Rechtssystem unterscheiden sich in vielen Punkten voneinander. So werden die District Attorneys, vergleichbar mit den Staatsanwaltschaften der Bundesländer, direkt vom Volk gewählt, während Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Deutschland als weisungsgebundene Beamte den Justizminister*innen unterstehen. Worin bestehen, grob zusammengefasst, die Vorteile und Nachteile des jeweiligen Rechtssystems?

In den USA ist der „Staatsanwalt“ ein Wahl- und Karriereamt. Wer diesen Job gut macht, hat die Chance auf eine große politische Karriere bis zum Senator oder Präsidenten. Der Vorteil liegt auf der Hand: Amerikanische Staatsanwälte sind extrem ambitioniert, Skandale aufzudecken und aufzuklären. Nicht ohne Grund wurden der VW-Diesel-Abgas-Skandal und der FIFA-Korruptionsskandal zuerst in den USA angeprangert. In Deutschland hingegen heißt es, dass die Staatsanwaltschaft die objektivste Behörde der Welt sei, weil Staatsanwälte nicht nur Belastendes, sondern genauso auch entlastende Beweise zugunsten des Angeklagten zusammentragen müssen. Sie sind quasi Sachbearbeiter des Gesetzes und keine anklagenden Bluthunde wie in den USA. Für mehr Ermittlungseifer und Aufklärungsdruck sorgt sicherlich der amerikanische Weg.

Das Bundesverfassungsgericht und der Supreme Court nehmen im deutschen und amerikanischen Rechtssystem als oberste Gerichtshöfe eine besondere Rolle ein, unterscheiden sich in vielen Bereichen, z.B. Anzahl, Amtsdauer und Altersgrenze der Richter*innen, aber auch voneinander. Welche Auswirkungen haben diese Unterschiede auf die Rolle der beiden Gerichtshöfe als oberste Kontrollinstanz der exekutiven und legislativen Gewalt im jeweiligen Rechtssystem?

Gemeinsamer Nenner ist die Aufgabe, die jeweilige Verfassung, die grundlegenden Regeln des Gemeinwesens, verbindlich auszulegen, anhand der Fälle, die über die Jahrzehnte und im Fall des Supreme Court Jahrhunderte aufkommen.

Aber einen Unterscheid macht sicherlich die auf zwölf Jahre begrenzte Amtszeit am deutschen Bundesverfassungsgericht. Auch in zwölf Jahren kann ein Richter die Rechtsprechung des Gerichts zwar prägen, aber in meinen Augen kommt ein Wechsel nach dieser Zeit einer Rechtsprechung, die auch gesellschaftlichem Wandel Rechnung trägt, entgegen. Außerdem wird der Supreme Court auch durch die klare Zuordnung einzelner Richter-Persönlichkeiten zum Präsidenten, der sie ernannt hat, als noch wesentlich politischer wahrgenommen. Auch am Bundesverfassungsgericht werden die Richter von Bundestag und Bundesrat gewählt und von den unterschiedlichen Fraktionen vorgeschlagen. Die politische Ausrichtung der Richterinnen und Richter spielt dennoch eine weniger große Rolle als in den USA.

Die Distanz zu den anderen Gewalten ist Teil der Identität des Bundesverfassungsgerichts. Auch wenn Karlsruhe immer wieder vorgeworfen wird, zu viel Politik zu machen: Das Gericht betont regelmäßig den Entscheidungsspielraum der Politik, den es nicht antastet.

Richterinnen und Richter sprechen Recht auf Grundlage von Gesetzen, die Politikerinnen und Politiker verabschiedet haben. Diese Gesetze räumen Richterinnen und Richtern einen Ermessensspielraum ein. Kann Recht jemals unpolitisch sein?

Recht ist immer auch politisch. Rechtssetzung sowieso – als politisch gewollter Ordnungsrahmen. Das heißt, Politik nutzt das Recht als ein Instrument, um politische Wertentscheidungen und Gestaltungsvorhaben in die Tat umzusetzen. Rechtsauslegung durch den Richter orientiert sich zwar in erster Linie am Willen des Gesetzgebers, fragt also: Was ist der Sinn einer Norm und was bedeutet das für den Einzelfall, der entschieden werden muss. Aber genau dabei bleibt wiederum auch wieder viel Spiel. Und da kein Mensch und damit auch kein Richter völlig neutral sein kann, da wir immer die Summe unserer Erfahrungen sind, fließen auch moralische, politische, menschliche Wertvorstellungen und Prägungen des Richters mit in seine Entscheidung ein, da wo das Recht Spielräume lässt in der Rechtsauslegung.

Kritisch wird es da, wo ein Richter die Grenzen dessen, wie eine Regel, die er anwendet, verstanden und ausgelegt werden kann, überschreitet und seine eigenen politischen Vorstellungen an die Stelle der Wertungen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers setzt.

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