Studienreisen für amerikanische Sozialkundelehrer

„Besonders beeindruckt hat mich das deutsche Bekenntnis zu kollektiver Verantwortung.“

Die deutsch-amerikanischen Beziehungen leben nicht nur von strategischen Erwägungen seitens der Politik, sondern auch von kultureller und emotionaler Verbundenheit. Im Idealfall wird der Grundstein für den interkulturellen Austausch schon früh im Leben gelegt, beispielsweise durch engagierte Lehrer. Aus diesem Grund ermöglicht die Atlantik-Brücke ausgewählten US-Lehrer*innen eine Bildungsreise nach Deutschland und, mit großzügiger Unterstützung des Sächsischen Staatsministerium für Kultus, ausgewählten ostdeutschen Lehrer*innen eine Reise in die USA. Im Juni 2025 haben wir eine Gruppe von 15 US-amerikanischen Pädagogen in Deutschland willkommen geheißen. Amy Brownlee, eine unserer Teilnehmerinnen, hat einen Bericht über die Reise verfasst, den Sie im englischen Original auf unserer englischen Website und leicht gekürzt auf deutsch hier lesen können.

von Amy Brownlee

Ich fühlte mich geehrt, als eine von fünfzehn amerikanischen Lehrer*innen aus dreizehn verschiedenen Bundesstaaten für die Teilnahme an der diesjährigen Transatlantischen Lehrer*innenreise der Atlantik-Brücke ausgewählt worden zu sein. Wir reisten vom 8. bis 16. Juni 2025 durch Deutschland und besuchten dabei die Städte München, Chemnitz, Dresden und Berlin.

Das herausragende und abwechslungsreiche Programm konzentrierte sich auf die Bereiche Bildung, Geschichte, Politik und Medien, Wirtschaft und Handel, Kultur sowie ökologische Nachhaltigkeit. Es ist zwar schwierig, die ganze Vielfalt unserer Erfahrungen wiederzugeben, aber ich möchte Ihnen die Höhepunkte, die wichtigsten Erkenntnisse und meine persönlichen Eindrücke schildern.

„Der Besuch von Schulen und die Gespräche mit deutschen Schüler*innen und Lehrer*innen waren für mich der beste Teil der Reise.“

Bildung

Der Besuch von Schulen und die Gespräche mit deutschen Schüler*innen und Lehrer*innen waren für mich der beste Teil der Reise. Die Gespräche mit den Schüler*innen und die Einblicke aus erster Hand in ihren Schulalltag ermöglichten uns eine besondere Perspektive, die gewöhnlichen Besucher*innen meist verwehrt bleibt.

Wir besuchten drei verschiedene Schulen, in denen uns Schüler*innen herumführten. Jede Schule hatte ihre eigenen Stärken: Eine Schule zeichnete sich durch projektbasiertes Lernen, Berufsorientierung, altersübergreifende Aktivitäten und Clubs aus. Eine andere Schule war stolz auf ihr historisches Gebäude und ihre fortgeschrittenen Kurse in Musik und Kunst. An einem Standort hatte eine Gruppe von Schüler*innen Stationen zu verschiedenen Aspekten des Schullebens vorbereitet.

Jeder Schulbesuch beinhaltete auch eine Diskussionsrunde. Die Schüler*innen scheuten sich nicht, schwierige Fragen zu Themen wie Waffengewalt an Schulen und dem politischen Klima unter dem derzeitigen US-Präsidenten zu stellen. Es war faszinierend, mehr über die Sichtweise der Schüler*innen auf die Vereinigten Staaten sowie über das deutsche Bildungssystem zu erfahren.

Unsere Informationsveranstaltung zum sächsischen Bildungssystem im Sächsischen Staatsministerium für Kultus bot Einblicke in die Schulstruktur mit Schwerpunkt auf beruflicher Bildung und politischer Bildung. Bei unserem Treffen an der Technischen Universität Dresden lag der Schwerpunkt auf dem Lehrer*innenausbildungsprogramm. Wir erfuhren, dass deutsche Sekundarschullehrer*innen in der Regel zwei verschiedene Fächer unterrichten und keine Fortbildungskurse besuchen müssen, um ihre Lehrbefugnis zu behalten, wie es in den USA der Fall ist. Sowohl in Deutschland als auch in Amerika herrscht derzeit Lehrer*innenmangel.

„Wir lernten, dass Deutschland in Bezug auf die Förderung von Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf hinter den Vereinigten Staaten zurückliegt.“

Und wir lernten, dass Deutschland in Bezug auf die Förderung von Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf hinter den Vereinigten Staaten zurückliegt. Während US-amerikanische Schulen Inklusion praktizieren, indem sie Schüler*innen mit besonderen Bedürfnissen in den regulären Unterricht mit ihren Altersgenossen integrieren, besuchen deutsche Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf separate Schulen.

Geschichte

Unsere Stadtrundgänge in München, Dresden und Berlin ermöglichten es uns, die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der jeweiligen Stadt zu sehen und mehr über ihre historische Bedeutung zu erfahren. Zu den Höhepunkten der Münchner Tour zum Thema Nationalsozialismus und Widerstand gehörte die Auseinandersetzung mit der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, und der Anblick von Einschusslöchern an einem Gebäude, die dort belassen wurden, um an den Krieg zu erinnern. Unser Rundgang durch Berlin gab uns einen unglaublichen Einblick in die komplizierte Geschichte Deutschlands. Durch die Gedenkstätte für die ermordeten Juden Europas zu gehen und die Stolpersteine kennenzulernen, die in 24 Ländern an Opfer des Holocaust erinnern, regte zum Nachdenken an. Ebenso beeindruckend war unsere Führung durch die Gedenkstätte Berliner Mauer, wo wir etwas über die Auswirkungen und Folgen der Berliner Mauer erfuhren. Die Führung durch das Stasi-Gefängnis gab Einblicke in das Leben unter dem DDR-Regime.

„Die Umwandlung des Lagers in einen Ort des friedlichen Gedenkens entzieht den Unterdrückern ihre Macht.“

Der Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau war eine ernüchternde und emotional herausfordernde Erfahrung. Als ich das Gelände betrat, spürte ich die Schwere der schrecklichen Grausamkeiten, die dort geschehen waren, aber als ich die von Bäumen gesäumte Allee entlang zu den Kapellen ging, überkam mich ein Gefühl der Ruhe. Die Umwandlung des Lagers in einen Ort des friedlichen Gedenkens entzieht den Unterdrückern ihre Macht und übergibt das Lager denen, die sich erinnern und schwören: „Nie wieder.“

Politik und Medien

Wir hatten mehrere informative Treffen mit Expert*innen aus den Bereichen Politik und Medien.

Bei unserem Abendessen mit zwei Universitätsforscherinnen erhielten wir einen ausgezeichneten Überblick über das politische System Deutschlands. Ich war fasziniert vom Koalitionssystem und fragte mich, ob etwas Ähnliches auch in Amerika funktionieren könnte. Unsere Besichtigung eines Bundestagsbüros und eine exklusive Führung durch das Reichstagsgebäude war eine hervorragende Ergänzung zu unserer Auseinandersetzung mit dem deutschen Regierungssystem, und unser Gespräch mit einer Stadträtin gab uns einen Einblick in die Lokalpolitik und Einwanderungsfragen.

Kate Brady gab Einblicke in ihre Arbeit als Auslands-Korrespondentin der Washington Post. Ihre Arbeit ist von entscheidender Bedeutung, da qualitativ hochwertiger Journalismus für die Demokratie unerlässlich ist und aufgrund der vermehrten Verbreitung von „Fake News“ unter Beschuss steht.

Eines der beeindruckendsten Treffen der gesamten Reise war der Besuch der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Unsere Sitzung mit Dr. Marco Overhaus und Dr. phil. Ronja Kempin konzentrierte sich auf die Beziehungen zwischen der EU und den USA. Dr. Overhaus Einschätzung der USA als „weniger verlässlichen Verbündeten“ und das Fazit, die „Demokratie in Amerika befinde sich in einer tiefen Krise“, waren alarmierend. Besorgniserregend sei insbesondere, so Dr. Overhaus und Dr. Kempin, dass Entwicklungen, die aktuell in den USA zu beobachten sind, häufig mit einer Verzögerung von fünf bis zehn Jahren auch in der EU eintreffen.

Wirtschaft und Handel

Wir erhielten eine Einführung zu Chemnitz als Kulturhauptstadt Europas 2025, und bei einer Führung durch die Feldschlösschen-Brauerei erhielten wir einen Einblick in ein erfolgreiches Unternehmen. Nachdem ich von der Stärke der deutschen Berufsausbildung erfahren hatte, war ich gespannt darauf, bei unserem Besuch in der Industrie- und Handelskammer mehr über das System zu erfahren. Wir besichtigten eine Berufsschule und trafen Schüler*innen, die in voll ausgestatteten Labors praktische Übungen absolvierten.

Dr. Nick Pruditsch, der sich auf Arbeitsmarkt- und Fachkräftethemen spezialisiert hat, erläuterte, wie die Industrie- und Handelskammer mit Unternehmen zusammenarbeitet, um den zukünftigen Bedarf an Arbeitskräften zu ermitteln, Schüler*innen mit passenden Ausbildungs- und Arbeitsplatzangeboten zu vernetzen und gezielte Schulungsmaßnahmen bereitzustellen.

„Mir fiel das Recycling auf, die häufige Nutzung von Fahrrädern und dass viele Menschen zu Fuß gingen.“

Ökologische Nachhaltigkeit

Dennis Tänzler vom Think Tank Adelphi berichtete über den geplanten Kohleausstieg bis 2038, und wir erfuhren, dass das Land aktiv alternative Energiequellen auslotet, da es kein Erdgas mehr aus Russland bezieht.

Während meines Aufenthalts in Deutschland habe ich zahlreiche Maßnahmen im Bereich der Nachhaltigkeit beobachtet. Wir sahen viele Windräder und große Flächen mit Solarpaneelen. Außerdem fiel mir das öffentliche Recycling auf, die häufige Nutzung von Fahrrädern und dass viele Menschen zu Fuß gingen, der effiziente öffentliche Nahverkehr, der sparsame Einsatz von Klimaanlagen, das Bestreben von Restaurants, weniger Abfall zu produzieren, sowie Energiesparsysteme in Hotels. Auch wenn diese Aspekte nicht Teil eines offiziellen Programms waren, haben sie mein Verständnis für Deutschlands Nachhaltigkeitsbemühungen deutlich erweitert und mich dazu inspiriert, einige dieser Praktiken auch zu Hause umzusetzen.

Auswirkungen auf den Unterricht

Ich habe mehrere Praktiken im deutschen Bildungssystem beobachtet, die auch in den USA umgesetzt werden könnten, um die Effektivität unserer Schulen zu verbessern:

  • An einer der Schulen die wir besichtigt haben erhalten Schüler*innen der Klassenstufen 1 bis 7 keine formellen Noten auf dem Zeugnis. Die Schüler*innen berichteten, dass ihnen dieses System gefällt, da es den Leistungsdruck reduziert.
  • In einem Klassenzimmer unterrichten mehrere Lehrkräfte. So entfällt der übliche Zeit- und Kostenaufwand für Dekoration und Personalisierung, wie er in den USA üblich ist – das schafft mehr Raum für den Unterricht und fördert die Work-Life-Balance.
  • Lehrer*innen verfügen über Arbeitsplätze in einem gemeinsamen Raum, was die Zusammenarbeit und Kommunikation stärkt.
  • Es gibt einen starken Fokus auf politische Bildung und dem Erkennen von Desinformation. Dieser Fokus sollte in den USA dringend ausgebaut werden.
  • An einer Schule erforschten Sechstklässler das Leben einer Person, die während des Holocausts ums Leben kam, und würdigen deren Andenken.

„Besonders beeindruckt hat mich das deutsche Bekenntnis zu kollektiver Verantwortung.“

Auswirkungen auf mein Deutschlandbild und mein Bild der transatlantischen Beziehung

Vor dieser Reise stammte mein Wissen über Deutschland hauptsächlich aus dem Geschichtsunterricht über den Zweiten Weltkrieg. Ich war tief beeindruckt von Deutschlands Widerstandskraft und der enormen Aufbauleistung nach dem Krieg sowie von den Versöhnungsbemühungen nach der Überwindung physischer und ideologischer Teilungen. Besonders beeindruckt hat mich das deutsche Bekenntnis zu kollektiver Verantwortung und einer aktiven Erinnerungskultur – in diesen Bereichen könnte die USA sich durchaus ein Beispiel nehmen.

Ich habe außerdem gelernt, dass es in Deutschland ein Gesetz gibt, das das öffentliche Zeigen von NS-Symbolen wie Flaggen oder dem Hitlergruß verbietet. Auch wenn dies persönliche Freiheiten einschränken kann, dient es dem Gemeinwohl. Die USA könnten sich diese Haltung zum Beispiel beim Thema Waffenkontrolle zu eigen machen.

Persönliche Wirkung

Diese Reise hat mir eine völlig neue Perspektive auf das moderne Deutschland eröffnet – durch die eindrucksvolle Erfahrung, eine Kultur der Resilienz, der Versöhnung und des Erinnerns kennenzulernen. Mit dem Studienaufenthalt für amerikanische Lehrkräfte ist die Atlantik-Brücke ihrem Namen gerecht geworden: Die gesamte Erfahrung hat eine starke Brücke geschlagen – zu Deutschlands Geschichte, Kultur und Gesellschaft.

Amy Brownlee ist Leseförderlehrerin („Reading teacher“) und Bibliothekarin in einem kleinen ländlichen Schulbezirk in Kansas. Sie wurde 2017 als „Kansas School Librarian of the Year“ ausgezeichnet und für ein Programm des National Endowment for the Humanities ausgewählt. Sie erhielt ein Fulbright-Hays-Stipendium, verbrachte einen Monat in Afrika mit der Non-Profit-Organisation Ethiopia Reads und war Teil der diesjährigen Kohorte der Transatlantic Study Trips for Teachers der Atlantik-Brücke.

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