Wirtschaft und Finanzen

Startschuss für ein transatlantisches Handelsabkommen?

Startschuss für ein transatlantisches Handelsabkommen? Container-Umschlag Foto: Unsplash

Im Januar haben die US-Regierung und die EU-Kommission ihre Pläne für ein transatlantisches Freihandelsabkommen veröffentlicht. Die Vorstellungen liegen noch weit auseinander. Eine Analyse

Von Fabian Wendenburg

Im Juli 2018 vereinbarten US-Präsident Trump und Kommissionspräsident Juncker einen Waffenstillstand im transatlantischen Handelskonflikt. Trump sagte zu, auf Strafzölle zu verzichten. Die EU stellte in Aussicht, mehr Sojabohnen und Flüssiggas (LNG) aus den USA zu importieren. Zudem gab es die vage Vereinbarung, Zölle und weitere Handelsbarrieren abzubauen.

Im Januar 2019 haben beide Seiten diese Vereinbarung konkretisiert: Die EU-Kommission stellte am 18. Januar den Entwurf für ein Verhandlungsmandat vor, über das nun der Rat entscheiden muss. Auf Seiten der USA veröffentlichte der US-Handelsbeauftragte seine Ziele für die Verhandlungen. Ein formelles Verhandlungsmandat benötigt Präsident Trump im Gegensatz zur EU-Kommission nicht: Er verfügt nach wie vor über die Trade Promotion Authority, die 2018 verlängert wurde und die ihn zur Aufnahme von Verhandlungen unter Berücksichtigung von Notifizierungs- und Konsultationspflichten ermächtigt.

US-Vorschlag ist ambitionierter

Der auffälligste Unterschied zwischen beiden Verhandlungsvorschlägen ist ihr Ehrgeiz: Die EU-Kommission will über Industriezölle und über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen verhandeln. Bei letzterem geht es wohlgemerkt nicht um die gegenseitige Anerkennung von Standards. Ziel ist vielmehr, dass europäische Stellen wie Eichbehörden oder TÜV und Dekra künftig verbindlich prüfen könnten, ob Produkte made in Europe US-Standards entsprechen. Doppelte Zertifizierungs- oder Zulassungsverfahren könnten somit entfallen.

Der Verhandlungsvorschlag der USA ist hingegen sehr viel breiter und ehrgeiziger: Landwirtschaft, Dienstleistungen, Investitionen, digitaler Handel, der Schutz geistigen Eigentums, Regeln für staatseigene Unternehmen und vieles mehr soll laut Vorstellungen der US-Regierung auf der Agenda stehen. Überraschend ist, dass ausgerechnet die USA auch die Themen Öffentliche Auftragsvergabe und Arbeitsstandards verhandeln wollen. Denn in diesen Bereichen sehen die Europäer sich eigentlich als Musterknaben und die USA in der Bringschuld. Allerdings schränken die USA ihren Ehrgeiz gleich wieder etwas ein: Über eine Marktöffnung unterhalb der Bundesebene soll nicht gesprochen werden. Dabei finden sich gerade in den US-Bundesstaaten die größten Hürden für Unternehmen aus Europa.

Europäische Antwort auf deutsche TTIP-Debatte

Mit den beiden Bereichen Zölle und Konformitätsbewertungen verfolgt die EU-Kommission einen minimalistischen Verhandlungsansatz. Ihr Kalkül ist klar und politisch durchaus nachvollziehbar: Die großen Konfliktthemen der TTIP-Verhandlungen werden von vornherein ausgeklammert. Protest soll so gar nicht erst aufkommen: Ohne Verhandlungen über Landwirtschaft keine Debatte über Chlorhühnchen und Genfood, ohne Dienstleistungen keine Angst um Kulturförderung und Daseinsvorsorge, ohne Investitionen keine Schiedsgerichte. Der Vorschlag der EU-Kommission ist damit die europäische Antwort auf die deutsche TTIP-Debatte. Dabei geht sie sogar so weit, den bei Handelsabkommen üblichen Ansatz des „single undertaking“ zu verlassen: Statt alle Themen in einem Abkommen zu verhandeln und zu vermischen, soll es nun zwei getrennte Abkommen geben. Ein weiteres Motiv der EU-Kommission für den schlanken Ansatz könnte sein, dass ihr neben dem politischen Willen in den Mitgliedstaaten auch das Vertrauen in die jetzige US-Regierung fehlt, um gemeinsam einen großen Wurf zu wagen.

Was folgt aus dem Vorschlag der EU?

 

  • Finden USA und EU eine gemeinsame Grundlage? Entscheidend wird nun sein, ob die USA sich auf das kleine Verhandlungspaket der EU einlassen, oder ob die EU ihrerseits bereit ist, die Liste zu erweitern. Besonders strittig wird – wie so oft in der Handelspolitik – die Landwirtschaft sein. Landwirte haben in den USA politisch viel Einfluss. Denn immerhin stellen die dünnbesiedelten Agrarstaaten wie Iowa und Nebraska genauso viele Senatoren wie die bevölkerungsreichen Staaten New York und Kalifornien. Zudem sind die Agrarzölle der EU im Schnitt höher als in den USA, so dass die USA hier ein besonders großes „offensives“ Interesse haben. (Zur Wahrheit gehört allerdings, dass auch die USA in einzelnen Produktgruppen sehr hohe Zölle aufrechterhalten. So liegen die US-Zölle für einige Getränke, Molkereiprodukte und Öle bei über 100 Prozent.).
  • Beide Seiten gewinnen, die USA gewinnen aber etwas mehr. Da die EU auch bei Industriegütern im Schnitt höhere Zölle haben als die USA, profitieren die USA stärker von einem Null-Zoll-Abkommen als die EU. War dieser Befund in der TTIP-Debatte noch toxisch, sollte Europa in der neuen Zeitrechnung unter Donald Trump damit gut leben können. Denn Trump wird ein Abkommen ohnehin nur verhandeln, wenn er einen „Sieg“ und eine Verbesserung der Handelsbilanz reklamieren kann. Europa sollte ein solches Abkommen seinerseits zurecht als „win-win“ verbuchen, anstatt die Gewinne aufzurechnen.
  • Es sind wohl nur geringe Wohlstandseffekte zu erwarten. Denn alle Studien zeigen: Zollsenkungen bringen zwar Wachstum, die Musik spielt aber bei den so genannten nicht-tarifären Handelshemmnissen. Wenn die EU diesen Bereich weitgehend ausklammert, verzichtet sie auf mögliche Wohlstandseffekte. Dieser Preis wird ganz offenkundig bewusst gezahlt, um das politische Machbare zu erreichen. Ohnehin ist fraglich, ob das primäre Ziel eines Abkommens Wohlstandsgewinne sind, oder ob nicht im Vordergrund stehen sollte, einen Handelskonflikt dauerhaft zu verhindern. Die EU kündigt daher auch an, die Verhandlungen auszusetzen, falls die USA neue Strafzölle erlassen. Ein erster Stresstest könnte unmittelbar bevorstehen: Bis zum 17. Februar muss das Commerce Department darlegen, ob Zölle im Automobilsektor durch die nationale Sicherheit gerechtfertigt sein könnten. Präsident Trump könnte dann innerhalb von 90 Tagen neue Zölle auf dieser Grundlage erlassen.
  • Der Bundestag muss nicht zustimmen. Denn der Vorschlag der EU zielt eindeutig auf ein „EU-only“-Abkommen, also ein Abkommen, das nur durch die Europäischen Institutionen, nicht aber durch die nationalen Parlamente ratifiziert werden muss. Dies ist unbedingt zu begrüßen, denn nur so bleibt die EU-Handelspolitik berechenbar und verlässlich. Das Risiko einer Ablehnung durch nur ein nationales Parlament würde der EU-Handelspolitik hingegen dauerhaft schaden. CETA und die Wallonie lassen grüßen.
  • TTIP ist endgültig tot. Wer noch glaubte, TTIP könne aus dem „freezer“ geholt und weiterverhandelt werden, wird spätestens jetzt eines Besseren belehrt. In keinem der beiden Papiere ist ein Bezug zu den TTIP-Verhandlugen zu finden, nicht einmal in Form eines Verweises auf die bisher erreichten Ergebnisse. Ausgangspunkt der Gespräche ist das Treffen Trump-Juncker, nicht TTIP.

Den Ehrgeiz, die Globalisierung zu gestalten, nicht aus den Augen verlieren

So nachvollziehbar es ist, dass die EU nicht einmal den Anschein eines „TTIP 2.0“ aufkommen lassen und das Mandat an der politischen Machbarkeit orientieren will: Den Ehrgeiz, die Globalisierung mithilfe der Handelspolitik politisch zu gestalten, sollte die EU nicht völlig aufgeben. Mitgliedstaaten und Kommission sollten daher darüber diskutieren, das Mandat zu erweitern. Wichtig wäre vor allem, dass die EU und die USA gemeinsam Regeln aufstellen, die ein Gegengewicht zu China bilden können, das den Welthandel zunehmend mit seinen Regeln dominiert. Der Schutz geistigen Eigentums und der Umgang mit staatseigenen Unternehmen sollten daher auf die Verhandlungsagenda. Auch sollte geprüft werden, ob die Verhandlungen dazu genutzt werden können, sich auf Grundpfeiler einer überfälligen Reform der Welthandelsorganisation (WTO) zu einigen. Dies hatten Trump und Juncker in ihrem Treffen im Juli bereits vereinbart. So könnten die EU und die USA dem Welthandel ihren Stempel aufdrücken und Führung in einer zunehmend führungslosen Weltwirtschaft übernehmen.

Fabian Wendenburg ist stellvertretender Geschäftsführer der Familienbetriebe Land und Forst. Zuvor war er stellvertretender Leiter der Abteilung Strategische Planung und Koordination des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Wendenburg ist Young Leader Alumnus von 2013.

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