Außen- und Sicherheitspolitik

Transatlantisch? Traut Euch!

Für eine Neue Übereinkunft zwischen Deutschland und Amerika

Dieser Text ist eine Handlungsempfehlung an die Bundesregierung und den Bundestag mit dem Ziel, die transatlantischen Beziehungen zu stärken. Der Text spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder, deren Namen Sie am Ende des Textes finden.

Hier geht es zur Website der Initiative.

Die Erosion der transatlantischen Beziehungen ist eine strategische Krise für Deutschland. Die Trump-Jahre haben sowohl die Verwundbarkeit Deutschlands als auch die Unverzichtbarkeit des Bündnisses der Demokratien offenbart. Ohne dieses Bündnis lässt sich weder ein stabiles Europa bauen, noch die internationale Ordnung gestalten.

Mit dem neuen Präsidenten Joe Biden bietet sich die einzigartige Chance, diese Krise zu überwinden und das westliche Bündnis so zu erneuern, dass es weit über die nächsten vier Jahre trägt. Dazu sollte die Bundesregierung unverzüglich auf die künftige amerikanische Regierung zugehen und eine Neue Übereinkunft treffen.

Diese Übereinkunft muss gemeinsame Ziele und Maßnahmen bestimmen. Und zwar so, dass Deutschland und Amerika ihre Verantwortung für den Zusammenhalt und die Gestaltungskraft der Gemeinschaft liberaler Demokratien insgesamt annehmen. Insbesondere muss über Amerikas Rolle und Präsenz in Europa und Deutschland neue Einigkeit erzielt und diese Abmachung über die Amtszeit des künftigen Präsidenten hinaus gesichert werden. Zudem bedürfen Menschheitsgeißeln wie die Corona-Pandemie und die Erderwärmung dringend gemeinsamer Lösungen. Auch muss die Zusammenarbeit auf eine neue generationelle und zivilgesellschaftliche Basis gestellt werden.
Jetzt ist der Moment, um zu handeln. Die Bundesrepublik braucht dazu Führung, politischen Willen, Ideen und einen Plan – ausgehend von dem vitalen Interesse Deutschlands, dass Amerika eine europäische Macht bleibt.

Und zwar nicht allein, weil die Bundesrepublik nur bedingt verteidigungsbereit ist und sogar zusammen mit den europäischen Partnern nur auf sehr lange Sicht eigenständig verteidigungsfähig werden könnte. Sondern auch wegen der oft übersehenen zweiten wichtigen Rolle Amerikas: als Rückversicherer der europäischen Einigung und damit als Friedensbewahrer Europas.

Nach Jahrhunderten europäischer Kriege galt das größte Misstrauen eines jeden Staates allzu oft dem eigenen Nachbarn. Erst amerikanische Präsenz und amerikanisches Engagement haben die geopolitische Konkurrenz auf dem europäischen Kontinent eingehegt; und die amerikanische Garantie bleibt bis heute eine Voraussetzung der europäischen Integration.

Kein Land hat von der amerikanischen Rolle in Europa mehr profitiert als Deutschland. Wegen seiner Größe, Geschichte und Wirtschaftskraft schlagen keinem Land Europas mehr nachbarschaftliche Aufmerksamkeit, Vorbehalte und sogar Misstrauen entgegen als Deutschland. Amerikas Rückversicherung für Europas Stabilität und Einigung ist deshalb die wichtigste geostrategische Grundlage des deutschen Nachkriegsglücks. Nicht zuletzt, weil Amerika sich Europa öffnet, bleibt die deutsche Frage geschlossen.

Es hat somit den innersten Kern von Deutschlands nationalem Interesse verletzt, dass Präsident Trump die Spaltung Europas vorantrieb und das europäische Integrationsprojekt in Frage stellte. Trotz aller Appelle zur europäischen Geschlossenheit als Antwort auf Trump trat das Gegenteil ein: Die Risse quer durch den Kontinent wurden nur noch vertieft. Die erneute Offenlegung der eigenen Fragilität und Spaltbarkeit ist Europas bitterste Lehre aus der Präsidentschaft Donald Trumps.

Deshalb kommt es für Deutschland jetzt darauf an, gemeinsam mit dem künftigen Präsidenten Joe Biden und den europäischen Partnern Amerikas Rolle in Europa neu zu definieren und längerfristig zu festigen. Und dies unter dramatisch veränderten weltpolitischen Rahmenbedingungen: Deutschland wie Europa müssen erst noch damit zu leben lernen, dass nach 500 Jahren nun Ostasien das strategische Zentrum der Welt ist und nicht mehr der europäische Kontinent. Das bedeutet: Amerikas Aufmerksamkeit und Ressourceneinsatz wird nicht vornehmlich Europa gelten. Es gibt kein plausibles Szenario der europäischen Zukunft, in dem seine Nationen – Deutschland in erster Linie – nicht deutlich mehr für die Sicherheit und die Stabilität des eigenen Kontinents tun müssen.

Die entscheidende Veränderung gegenüber der Amtszeit Donald Trumps wird sein, dass dieser Prozess nun nicht länger disruptiv, ohne strategische Begründung und per Ukas aus Washington stattfindet. Vielmehr werden Deutschland und Europa einen Partner an ihrer Seite wissen, der die neue transatlantische Aufgaben- und Verantwortungsbalance gemeinsam mit den Europäern entwickeln wird. Denn Amerika selbst wird langfristig nur durch die enge Zusammenarbeit mit einem stabilen, demokratischen, prosperierenden und gemeinsam handlungsfähigen Europa die eigene Weltmachtrolle erhalten können – genauso wie Europa die gemeinsame Handlungsfähigkeit nur erhalten und ausbauen kann, wenn sie transatlantisch abgesichert ist. Europäische Idee und atlantische Orientierung gehören deshalb zusammen, auch in Zukunft.

Die Bundesregierung könnte es sich einfach machen und in den Gestus einer abwartenden Kooperationsbereitschaft verfallen. Sie würde sich dann schlicht in jene Agenda einbringen, die der neue Präsident vorgibt. Das ist nicht falsch, denn große Teile von Bidens Programm klingen, als seien sie in Berlin erdacht worden: Pariser Klimaziele verfolgen und verschärfen, Rüstungskontrollinitiativen starten, Iran-Verhandlungen wieder aufnehmen, die Verteidigung der Demokratie neuerlich in den Mittelpunkt der Außenpolitik rücken.

Aber Abwarten und dann Mitmachen ist nicht genug. Deutschland muss nun selbst aktiv werden und, in Abstimmung mit den europäischen Partnern, schnell ein Ideenpaket vorlegen, das auf den Kern der transatlantischen Übereinkunft zielt und sie zukunftsfest macht. Die Zeitspanne für Gespräche über die Neuausrichtung ist erschreckend kurz. Es wird Monate dauern, bis Joe Biden seine wichtigsten Mitarbeiter ernannt und vom Senat bestätigt haben wird. Bald danach beginnt in Deutschland der Bundestagswahlkampf. 2022 wird in Frankreich ein neuer Präsident oder eine Präsidentin gewählt. In den Vereinigten Staaten sind im selben Jahr wieder Kongresswahlen. Zwischen all diesen Ereignissen müssen die Zeitfenster gefunden werden, in denen konkrete Vereinbarungen zu erzielen sind.

Das Ideenpaket der Bundesregierung sollte fünf Themen enthalten, die für die zukünftige Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten entscheidend sein werden: Klima, NATO, China, Handel und Technologie.

  • Klima: Eine klimapolitische Annäherung ist absehbar und verspricht schnellen transatlantischen Mehrwert – sofern sie klug gesteuert wird. Amerikas neue Ambition sollten Deutschland und Europa mit eigenen Anstrengungen beantworten und so klimapolitisch eine Neue Übereinkunft begründen. Nach Amerikas Wiedereintritt in das Pariser Klimaabkommen muss die transatlantische Koordination auf den Glasgower Klimagipfel zielen. Eine Vielzahl gemeinsamer Initiativen sollte den ökologischen Strukturwandel befördern, von einer europäisch-amerikanischen Clean Energy Bank bis zu einer transatlantischen Batterieallianz.
  • NATO: Wenn sich Amerikas strategischer Schwerpunkt nach Fernost verlagert, wird das zu einer Neubestimmung der Rollen- und Lastenteilung zwischen Amerika und seinen europäischen Verbündeten führen. Die transatlantische Sicherheitspartnerschaft braucht eine Neue Übereinkunft: Amerikas erneuertes Engagement für die NATO muss verbunden werden mit einem deutlich höheren Beitrag der Verbündeten, vor allem Deutschlands, für die Verteidigung Europas. Damit geht eine ambitionierte Fähigkeits- und Ausgabenplanung einher.
  • China: Der archimedische Punkt der künftigen transatlantischen Beziehungen wird die China-Politik sein. Auch hier braucht es eine Neue Übereinkunft. Beide Seiten müssen sich der Vorstellung annähern, wenn auch von unterschiedlichen Ausgangspunkten, dass es keine wirtschaftliche Entkopplung von China geben sollte, der Handel mit China aber technologischen und sicherheitspolitischen Vorbehalten unterliegt. Gemeinsam sollten die transatlantischen Partner in ihrer China-Politik menschenrechtspolitische mit ordnungspolitischen Überzeugungen verknüpfen.
  • Handel: Die Bundesregierung sollte zusammen mit der EU-Kommission darauf drängen, dass die USA ihre Blockade des Berufungsgremiums im Streitschlichtungsausschuss der Welthandelsorganisation aufgeben. Im Gegenzug geht die Europäische Union auf amerikanische Vorstellungen zur Reform der Welthandelsorganisation weiter ein. Mit dieser Neuen Übereinkunft wird ein potentes Instrument schrittweise geschärft, um gemeinsam gegen das chinesische Unterlaufen der internationalen Handelsordnung und ihrer Prinzipien vorgehen zu können.
  • Technologie: Europa und Amerika verschenken ihre Chance, die Zukunft zu gestalten, weil sie in Fragen der Digitalpolitik und neuer Technologien unzureichend zusammenarbeiten. Dabei geht es um den Schutz der gemeinsamen Werte offener Gesellschaften gegenüber chinesischem Führungsanspruch. Deswegen sollten EU und USA rasch Einigkeit über den transatlantischen Datenaustausch erzielen, gemeinsame Leitlinien zum Umgang mit Fake News und Propaganda vereinbaren und die Regulierung von Künstlicher Intelligenz harmonisieren.

Zusammen genommen können diese Maßnahmen (Details unten) bewirken, dass das transatlantische Verhältnis den weltpolitischen Veränderungen angepasst und damit zukunftsfähig gemacht wird.

Die Neue Übereinkunft wird aber nur tragfähig sein, wenn sie die neuen zivilgesellschaftlichen Entwicklungen in unseren Ländern erkennt und berücksichtigt. Gerade junge Menschen und vielfältige Minderheiten (die in ihrer Summe gerade in den Vereinigten Staaten schon mehrheitsfähig sind) haben in den vergangenen Jahren neue Bewegungen gegründet und Energien entfaltet, die Amerika nachhaltig verändern werden. Ungeachtet einzelner Positionen repräsentieren diese Bewegungen in ihrer emanzipatorischen Ausprägung das Herz dessen, was Amerika schon immer attraktiv und stark gemacht hat – die ständige, umkämpfte Annäherung an ein demokratisches Ideal.

In Deutschland und Europa sind solche Bewegungen – beispielsweise zur Bekämpfung des Klimawandels und der Überwindung von Rassismus und Sexismus, aber auch mit Blick auf Themen wie den Wandel der Arbeitswelt – anschlussfähig. Vor allem weisen sie weit über die bestehenden, „klassischen“ transatlantischen Eliten, die vor allem handels- und sicherheitspolitisch geprägt sind, hinaus und ergänzen diese. Politik und Zivilgesellschaft in Deutschland sollten daher verstärkte Anstrengungen unternehmen, solche neuen, zukunftsweisenden Querverbindungen zu schlagen.

Die Annäherung an jüngere, diversere und weniger „klassische“ Akteure wird die transatlantische Erzählung fortschreiben. Das ist nötig, weil die Erinnerung an die Befreiung von der Herrschaft der Nationalsozialisten, die Erzählung von der Dankbarkeit über schützende, unterstützende Begleitung in Richtung Wohlstand, Demokratie und Einheit nicht mehr genügt. Die nach 1980 Geborenen haben ein ganz anderes, aber nicht weniger zutreffendes Amerika-Bild als ihre Vorgänger. Und umgekehrt wandelt sich auch das Deutschland-Bild in Amerika – vornehmlich in Richtung schwindender Kenntnis und schwindenden Interesses.

Grundlage dieser neuen transatlantischen Erzählung sollte die Solidarität unter Demokratien sein. Das Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortung für die Menschenrechte, daheim wie weltweit, wie sie unter den aufklärerischen Bedingungen von individueller Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, und demokratischen Wahlen am ehesten gelebt werden kann. Und das Bewusstsein, dass eine Ordnung auf der Basis westlicher und universeller Werte nicht vom Himmel fällt, sondern von Menschen geschaffen und stets gegen innere und äußere Kräfte verteidigt und aufs Neue gewonnen werden muss. Das ist es, was die Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks verbindet, heute und in Zukunft.

Während die hier vorgeschlagene Agenda großenteils nicht im Handumdrehen umgesetzt werden kann, braucht der neue Präsident zugleich schnelle Erfolge. Er muss seinen Wählern zeigen, dass Kooperation bessere Ergebnisse zeitigt als Konfrontation mit den eigenen Alliierten. Aus dem Teufelskreis der vergangenen vier Jahre sollte eine Engelsspirale werden.

Einer der Gründe für Bidens Wahlsieg war die globale Pandemie und die Unzufriedenheit vieler Wähler mit der Reaktion der amtierenden amerikanischen Regierung auf den Ausbruch der neuartigen Viruskrankheit Covid-19. Biden wird zeigen wollen und müssen, dass internationale Zusammenarbeit die Pandemie und ihre (auch sozialen) Folgen besser bekämpft als Isolationismus und Impfstoff-Nationalismus. Dabei kann die Bundesregierung Biden helfen, und sie sollte es schon aus eigenem Interesse tun. Aber sie muss zügig handeln. Gleich nach der Amtseinführung sollte sie – gemeinsam mit der britischen Präsidentschaft – eine G-7 Initiative zur internationalen Zusammenarbeit bei der Pandemie-Bekämpfung starten. Um ihre Reichweite zu erhöhen, sollte sie auch von der italienischen G-20 Präsidentschaft aufgegriffen und weiterverfolgt werden.

Dies wäre eine Art Startrampe für Deutschland, um die tägliche intensive Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten neu auszuprobieren, einzuüben und ihre Nützlichkeit unter Beweis zu stellen.

Eine G-7-Initiative zur internationalen Pandemie-Bekämpfung ist bis heute nicht möglich, weil die Regierung Trump darauf besteht, Covid-19 „Wuhan-Virus“ zu nennen. Der Streit um den Namen der Krankheit steht symbolisch für ein tiefer sitzendes Problem: Die G-7 befinden sich in einer Art Winterschlaf, weil die gegenwärtige US-Regierung ein globales Koordinierungsgremium in den vergangenen Jahren nicht für notwendig und sinnvoll hielt; und zwar besonders deshalb nicht, wie es Präsident Trump ausdrückte, weil nicht die mächtigsten Industrieländer vertreten sind, sondern nur die größten industriellen Demokratien.

Der neue Präsident hat erklärt, er wolle die Wertegemeinschaft der westlichen Staaten stärken. Es sollte auch im deutschen Interesse sein, die G-7 als wichtiges Abstimmungs-Format der „Global Governance“ aufzuwerten, um rund um diesen Kern internationale Kooperation zu ermöglichen. Amerikas symbolische Rückkehr zum Multilateralismus mittels der G-7 kann ermöglichen, dass der Impfstoff-Nationalismus zugunsten eines erneuerten Verständnisses von globalen öffentlichen Gütern überwunden wird. Gerade jetzt ist die Bereitstellung öffentlicher Güter, die allen Bewohnern der Welt zugutekommen können, nicht optional, sondern unerlässlich, um die Pandemie wirksam bekämpfen zu können. Die Zusammenarbeit kann dann in einer weiteren Phase in die bislang fehlende Abstimmung wirtschaftlicher Maßnahmen zu Krisenbekämpfung führen. Es sind also zunächst globalpolitische Kollateralnutzen, die eine G-7-Initiative zur Koordination der Pandemie-Bekämpfung so attraktiv machen.

Das wichtigste Ziel der G-7 sollte es sein, dafür zu sorgen, dass die nächste Pandemie die Welt nicht wieder unvorbereitet trifft. Deshalb gilt es, weitere Staaten dafür zu gewinnen, ein System der globalen Infektions-Früherkennung und -beobachtung sowie Pandemie-Reaktion aufzubauen, vergleichbar dem Tsunami-Frühwarnsystem, das nach der gigantischen Flutwelle von 2004 rund um den Indischen Ozean entstand. Dazu würde auch zählen, die bluetooth-basierte Sammlung und KI-gestützte Analyse anonymisierter Kontakt-Daten (heute: „Corona-App“) für die freiwillige Anwendung in den G-7-Staaten weiter zu entwickeln, um künftige Infektionskrankheiten besser verstehen und eindämmen zu können.

Die G-7 sollten darauf hinwirken, dass die wichtigsten Industriestaaten gemeinsame Handlungs-Protokolle und -Doktrinen („Pandemic Playbook“) für den Fall des Ausbruchs eines Virus verabschieden, gemeinsam medizinische Eingreifteams bilden und sich in der Weltgesundheitsorganisation für eine „responsibility to report“ als Teil eines Frühwarnsystems für Pandemien einsetzen. Gemeinsame Bevorratung oder zumindest die wechselseitige Information über die Bevorratung wesentlicher medizinischer Schutzgüter und Medizin ist ebenfalls anzustreben. Auch hier bedarf es der Koordinierung mit den G-20.

Die Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Firmen und staatlichen Forschungseinrichtungen sollte so verbessert werden, dass die gemeinsame Entwicklung von Impfstoffen möglich wird.

Gerade aus der Sicht des neuen US-Präsidenten muss die internationale Zusammenarbeit auch sofortige Ergebnisse zeitigen. Deshalb könnten die G-7 vereinbaren, Export-Verbote, Zölle, nicht-tarifäre Handelshindernisse und nationale Kaufvorschriften für medizinische Güter und Ausrüstungsteile aufzuheben, was einen neuen Impuls für das WTO-Arzneimittelabkommen setzen würde. Die neue US-Regierung sollte selbst aktiv werden, indem sie der Impfstoffplattform Covax beitritt, damit Impfstoffe, auch und gerade für Covid-19, für alle Länder zugänglich und bezahlbar werden und ein Verteilungsnetzwerk für neue Impfstoffe aufgebaut werden kann.

Der Wiedereintritt der Vereinigten Staaten in die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wäre ein weiterer wichtiger Schritt. Er böte die Möglichkeit, sich im Rahmen der G-7 auf gemeinsame Reformziele für die Organisation zu verabreden. Das amerikanische Bekenntnis zu Covax und der WTO wären ein Signal, dass die neue US-Regierung den Multilateralismus ernst nimmt – und auch seine Vorteile wieder in Anspruch nimmt.

Effektiver Klimaschutz gehört ins Zentrum einer modernen transatlantischen Agenda. Dies ist eine Investition in die Zukunft und zugleich eine Investition in eine transatlantische Annäherung, die schnellen Mehrwert verspricht. Denn der künftige US-Präsident hat ein ehrgeiziges Programm vorgelegt, das Klimapolitik mit sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Stärkung verbindet.

Nur eine ambitionierte Klimaaußenpolitik Deutschlands ist eine angemessene Antwort auf die weitreichenden Pläne der neuen amerikanischen Regierung. Die Jo-Jo-Effekte der Vergangenheit, in denen auf internationalem Parkett amerika-freundliche Kompromisse ausgehandelt wurden, nur um wenig später in den Vereinigten Staaten innenpolitisch zu scheitern, wird die Biden-Regierung zu vermeiden suchen, indem sie klimapolitische Glaubwürdigkeit nach außen mit grünem Wachstum im Inland verknüpft.

Die Signale aus Washington sind eindeutig. Sie müssen nun von deutscher und europäischer Seite aufgenommen und mit eigenen Ideen und Ressourcen vorangetrieben werden. Die Rückkehr der Vereinigten Staaten in das Pariser Klimaabkommen birgt die Chance, gemeinsam an einem internationalen regulatorischen Rahmen zu arbeiten, der von der verbindlichen Bewertung von Klima-Risiken auf den Finanzmärkten bis zur Investitionssicherheit für Erneuerbare Energien reicht. Ein gemeinsames Vorgehen sichert die Dekarbonisierungsziele sowohl gegenüber der fossilen Förderpolitik der OPEC-Staaten als auch dem Energiehunger der chinesischen Wirtschaft.

Die EU-Kommission hat sich mit dem Green Deal und dem 2020 im Europaparlament verabschiedeten Klimaschutzgesetz Ziele gesetzt, die mit den amerikanischen Vorstellungen weitgehend kompatibel sind: Beide streben Klimaneutralität der gesamten Wirtschaft bis 2050 an.

Die EU und die USA können diese Ziele leichter erreichen und zu einer wirkungsvollen globalen Klimapolitik beitragen, wenn sie gemeinsam agieren. Es gibt viele Felder, auf denen eine verstärkte Kooperation möglich und nötig ist.

Ein strukturierter Austausch über diese gemeinsame Politik schafft Verlässlichkeit. Entsprechende Foren müssen wiederbelebt oder neu geschaffen werden. So sollte der US-EU-Energierat für einen hochrangigen Austausch zu Fragen der Energie-Infrastruktur, der Cybersicherheit im Energie- und Klimaschutzbereich und der Entwicklung von Offshore-Wind-Anlagen genutzt werden. Denkbar wäre auch, eine EU-US-Clean Energy Bank einzurichten, um so eine nachhaltige transatlantische Strukturpolitik zu fördern.

Trotz der Blockade durch die Regierung Trump haben sich unterhalb der Bundesebene in den vergangenen Jahren nützliche Formate des transatlantischen Austauschs und der Zusammenarbeit etabliert. Zur langfristigen Absicherung der klimapolitischen Transformation sollten diese Foren weiter gestärkt werden. Das gilt für die bereits bestehende „Transatlantische Klimabrücke“ ebenso wie für Netzwerke, etwa die von Baden-Württemberg und Kalifornien begründete „Under2Coalition“ der Regionen oder das Städtenetzwerk „C40Cities“.

Viele klimafreundliche Technologien erfordern den Einsatz von seltenen Rohstoffen, die vielfach in China lagern. Um geostrategische Abhängigkeit zu reduzieren, wird eine transatlantische Strategie für den Aufbau resilienter Lieferketten und Produktionszyklen benötigt, beispielsweise im Rahmen einer transatlantischen Batterieallianz.

Der ökologische Strukturwandel ist ohne Zusammenarbeit bei Forschung und Entwicklung schwer zu schaffen. Es bieten sich – nach dem Vorbild der Zusammenarbeit von BioNTech und Pfizer am Corona-Impfstoff – viele Möglichkeiten, Entwicklungsprojekte bis hin zur Marktreife kooperativ und gezielt zu unterstützen, etwa sogenannte „smart grids“, Klima-Forecast-Systeme und Anwendungen Künstlicher Intelligenz im Klimaschutz.

Eine Lenkungswirkung könnte entstehen, wenn es gelingt, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten klimapolitische und menschenrechtliche Standards im Welthandel und bei internationalen Infrastrukturprojekten zu etablieren. Das schließt eine Debatte über entsprechende Regeln im Rahmen der WTO ebenso ein wie gemeinsame Mindeststandards für die Konnektivitäts-Strategie der EU und die Blue-Dot-Initiative der USA. Eine Einigung wäre auch im Verhältnis zu China von strategischer Bedeutung.

Sobald verlässliche Dialogstrukturen etabliert sind und Vertrauen neu geschaffen ist, können auch kontroverse Fragen beraten werden. Die Ankündigung der EU-Kommission, eine CO-2-Grenzsteuer einzuführen, hat in Washington Unruhe ausgelöst. Eine wichtige Aufgabe wird es sein, diesen zentralen Baustein des Green Deals kooperativ mit den USA zu gestalten und zu einem wirksamen Instrument gegen Klimadumping durch andere, weniger am Klimaschutz interessierte Akteure zu machen.

Es wird ein wichtiges Signal sein, wenn die Vereinigten Staaten unter neuer Führung sowie Deutschland und die Europäische Union ambitionierte Ziele für die internationale Klimakonferenz in Glasgow vereinbaren. Dazu zählen Zusagen zur Finanzierung für die ärmsten Länder. Auch die national festgelegten Beiträge Deutschlands und der Vereinigten Staaten müssen mit glaubwürdigen Fahrplänen verbunden sein. Benötigt werden auch transatlantische Zusagen für die globale Klimafinanzierung. So kann die Glasgower Konferenz zugleich dem Klimaschutz und den transatlantischen Beziehungen dienen.

Das Sicherheitsbündnis ist der Glutkern der transatlantischen Partnerschaft. Deutschland und Europa können ihre Sicherheit und Verteidigung ohne die amerikanische Beistandsgarantie, wie sie in Artikel 5 des NATO-Vertrages verankert ist, nicht gewährleisten. Die Konfliktstrategie Russlands und sein wachsendes militärisches Potential verlangen amerikanisches Gegengewicht. Die USA haben im Zuge zweier Weltkriege gelernt, dass ihr elementares Interesse an einem stabilen, nicht von einer Macht dominierten Europa die militärische Präsenz auf dem Alten Kontinent erfordert – und dass Verbündete hilfreich sind, um die liberale internationale Ordnung aufrechtzuerhalten.

Die Krise der vergangenen Jahre bestand vor allem darin, dass Zweifel wuchsen, ob die strategischen Grundannahmen über Wesen und Wert der Sicherheitspartnerschaft noch auf beiden Seiten des Atlantiks geteilt werden. Die Zweifel wurden nicht nur von der harschen Rhetorik und den Alleingängen von Präsident Trump genährt, sondern auch von deutschen Versäumnissen: dem Mangel an Verlässlichkeit (Abrücken von der 2%-Zusage), an strategischer Kohärenz (Nordstream 2) und an Initiative (Stabilisierung Mittelmeerraum).

Nun bietet sich Deutschland die Chance, gemeinsam mit Präsident Biden und den anderen Verbündeten die NATO als wichtigste Institution der transatlantischen Partnerschaft zukunftsfest zu machen. Das kann nur durch eine ambitionierte Neue Übereinkunft gelingen, die im Kern besagt: Die europäischen NATO-Staaten – mit Deutschland an erster Stelle – erhöhen ihre Fähigkeiten zur konventionellen Verteidigung erheblich. Dadurch entlasten sie die USA in Europa und erleichtern es ihnen, sich auf den Indo-Pazifik zu konzentrieren und dort die Interessen der liberalen Demokratien zu schützen. Im Gegenzug bekräftigen die USA ihr Bekenntnis zur Verteidigung des gemeinsamen Bündnisgebietes und untermauern es durch ihre nukleare Schutzzusage sowie ihre dauerhafte militärische Präsenz in Europa.

Dieser Neuen Übereinkunft muss eine wesentliche Erkenntnis zugrunde liegen: Gestärkte und geeinte europäische Bündnispartner sind im Gesamtinteresse der atlantischen Allianz. Das bedeutet auch, dass Europa deutlich stärker werden muss. Europa muss als Partner der USA und tragende Säule der transatlantischen Gemeinschaft handlungsfähig sein. Nicht um Amerika loszuwerden (wie es bei manchen in der Rede von „europäischer Souveränität“ und „strategischer Autonomie“ mitschwingt), sondern im Gegenteil, um Amerika grundsätzlich in Europa zu halten – mit allen Vorteilen, die das für die politische Statik des Kontinents und damit nicht zuletzt für Deutschland bringt.

Bei der Umsetzung dieser Neuen Übereinkunft kommt Deutschland die Schlüsselrolle zu. Aufgrund seiner Größe und Kraft blicken Verbündete, Partner und Gegner vor allem auf unser Land. Es ist Deutschland, das die wesentliche Kraftanstrengung zur besseren konventionellen Verteidigungsfähigkeit der NATO in Europa erbringen muss. Das erfordert für Deutschland die beschleunigte und vollständige Umsetzung der vereinbarten NATO-Streitkräfteziele. Das setzt die substantielle Erhöhung des Verteidigungshaushaltes voraus, die Modernisierung der Beschaffungsprozesse sowie die Bereitschaft, Deutschland bei der Rüstungszusammenarbeit für seine NATO-Partnern berechenbar zu machen. Vor allem erfordert das den Konsens innerhalb der Bundesregierung, dass eine einsatzbereite Bundeswehr von höchster Priorität ist, weil sie der Diplomatie Gewicht verleiht, einen unverzichtbaren Beitrag zur transatlantischen Glaubwürdigkeit, zur Abschreckungsleistung der NATO und damit zur Freiheit und Wahrung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands erbringt.

Dazu gehört auch, dass Deutschland an der Nuklearen Teilhabe festhalten und nötige Modernisierungsschritte umsetzen muss. Der nukleare Schutzschirm der USA ist für alle nicht-nuklearen NATO-Staaten in Europa unverzichtbar. Es sollte ihn geben, solange es Nuklearwaffen gibt und die Bedrohung anhält. Nukleare Teilhabe drückt die besondere Bereitschaft zur Risiko- und Lastenteilung und zu größter Solidarität unter Verbündeten aus. Sie ist ein Kernelement der strategischen Verbindung zwischen den transatlantischen Partnern, die mit der Neuen Übereinkunft unterstrichen wird.

Eine deutlich verbesserte militärische Handlungsfähigkeit allein genügt aber nicht. Notwendig ist eine politische Kraftanstrengung: Initiativen, mit denen Deutschland seinen Beitrag zur Lastenteilung erhöhen sollte.

Das betrifft vor allem die Peripherie von EU und NATO. Vom Hohen Norden über die Ostsee, Belarus und die Ukraine, den Westbalkan und den Kaukasus bis zum Mittelmeerraum des Nahen Ostens und Nordafrikas: Überall bestehen Krisen oder gar tatsächliche Konflikte, die durch größeres Engagement, gezielteres und besser abgestimmtes Vorgehen gemildert werden könnten. Mehr deutsche Kreativität und Führungsbereitschaft würden nicht nur zu einer weiteren Entlastung Amerikas beitragen, sondern Europa sicherer machen. Hier liegt auch erhebliches Potential für ein besseres Zusammenwirken der Instrumente von EU, NATO und der einzelnen Mitgliedstaaten.

Um die Nützlichkeit der Allianz für alle Mitgliedstaaten zu erhöhen, sollte Deutschland sich dafür einsetzen, die NATO nicht nur als militärisches, sondern auch als politisches Bündnis zu stärken. Zwei Vorschläge der Reflexionsgruppe zur „NATO 2030“ um Thomas de Maizière und Wess Mitchell sind dabei besonders hervorzuheben. Zum einen sollte Deutschland den NATO-Generalsekretär darin unterstützen, das Strategische Konzept von 2010, in dem von Russland nur als Partner und von China gar nicht die Rede ist, den neuen Gegebenheiten anzupassen. Und zum anderen sollte der Nordatlantikrat zum eigentlichen Ort der politischen und strategischen Debatte der transatlantischen Partner werden – über alle regionalen und globalen Entwicklungen, die ihre gemeinsame Sicherheit betreffen. Anstatt schwierige Themen auszusparen oder in ritualisierten Formen zu ersticken, sollte der Rat zu allen sicherheitsrelevanten Fragen den offenen, auch informellen Austausch suchen. Nur so lässt sich eine bündnisgemeinsame Linie schmieden, der die Nationen politische Verbindlichkeit beimessen.

Nicht zuletzt sollte Deutschland in der NATO anregen, die Partnerschaften mit liberalen Demokratien in aller Welt, aber vor allem im Indo-Pazifik zu intensivieren. Statt eines passiven Angebots braucht die NATO maßgeschneiderte, proaktive Programme, um strategische Partner wie Australien, Japan und Südkorea enger an den Kern des Westens zu binden. Auch bei diesen Maßnahmen sollte wechselseitige Nützlichkeit angestrebt werden, nicht bloß wohlfeile Freundschaftsbekenntnisse.

In Deutschland haben zu viele zu lange die NATO als amerikanische Institution begriffen. Wir Deutsche sollten verstehen: Diese NATO ist unsere NATO; die NATO aller Mitgliedstaaten. Deutschland hat es mehr als jede andere Nation in der Hand, durch mehr Initiative und verstärkte Beiträge die Allianz so zu formen, dass sie als Glutkern des Westens weiter lodert und nachhaltige Antworten auf die sicherheitspolitischen Fragen gibt, die sich Deutschland stellen.

Die China-Politik ist der archimedische Punkt der künftigen transatlantischen Beziehungen. An ihr wird sich entscheiden, ob die Vereinigten Staaten ihre europäischen Verbündeten als nützlich und verlässlich bewerten; und von diesem Urteil wird quer durch alle transatlantischen Politikfelder die Bereitschaft der USA zum Entgegenkommen und zum Engagement abhängen.

Diese Fokussierung auf China mag man aus deutscher Perspektive als überzogen empfinden; aus der systemischen Logik der internationalen Politik heraus ist sie jedoch zwingend. Die USA, als führende Weltmacht ohnehin seit Jahren einem relativen Abstieg ausgesetzt, sehen parteiübergreifend die Volksrepublik China als strategischen Herausforderer. Wirtschaftlich, aber zunehmend auch militärisch und politisch gewinnt China an internationalem Einfluss –auf Kosten der USA und des Westens insgesamt. Denn diese machtpolitische Konkurrenz ist von einer systemisch-ideologischen Konkurrenz grundiert. Für Amerika sind Verbündete daher vor allem dann wertvoll, wenn sie in dieser Konkurrenz als liberale Demokratien eindeutig und nützlich sind.

Für Deutschland und Europa stellt sich die Frage, ob unsere Interessen vis-a-vis China die gleichen sind wie die der herausgeforderten Führungsmacht USA. Und, wenn dies nicht überall der Fall sein sollte, wie diese Interessenunterschiede im Verhältnis zum übergeordneten Interesse an einem vitalen Bündnis mit Amerika zu bewerten sind.

Vor diesem Hintergrund findet gegenwärtig in Deutschland wie ganz Europa eine Neubewertung Chinas statt. Vorbei die Zeit, als China nur als lukrativer Markt und als Handelspartner gesehen wurde. Vorbei auch die Annahme, der wirtschaftliche Aufschwung Chinas werde zu einer neuen Mittelklasse führen, die zwangsläufig und rasch politische Liberalisierung erwirkt. Stattdessen etabliert sich zunehmend ein ganzheitliches China-Bild, in dem neben den Chancen auch die Gefahren gesehen werden, die mit Chinas systemischer Herausforderung an den liberalen Westen und die regelbasierte internationale Ordnung einhergehen.

Die zahlreichen Anknüpfungspunkte für die kritischere Bewertung Chinas lassen sich mit einigen Stichworten zusammenfassen: mangelnde Fairness und Normentreue in den Wirtschafts- und Handelsbeziehungen; enger werdende Zusammenarbeit mit Russland; Bedrohung freier Handelswege im Indo-Pazifik; die Drohung, Taiwan mit Gewalt zu unterwerfen; rechtlich fragwürdiges Ausgreifen im Süd- und Ostchinesischen Meer; Untergraben der Einheit der EU durch gezielte, politisch konditionierte Investitionen in Süd- und Osteuropa; Aufbau von entwicklungspolitisch schädlichen Gläubigerbeziehungen in Lateinamerika und Afrika; massenhafte Menschenrechtsverletzungen, nicht zuletzt an der uigurischen Minderheit sowie den Bewohnern Hongkongs und Tibets.

Die Neubewertung Chinas in Deutschland führt zu einer Annäherung an das amerikanische China-Bild. Zugleich steht zu erwarten, dass sich die amerikanische China-Politik deutschen Vorstellungen annähert, indem Joe Biden sich von der konfliktfreudigen Strategie Trumps verabschiedet, eine Entkoppelung der amerikanischen und der chinesischen Wirtschaft zu betreiben. Wenn er stattdessen eine offenere Handelsbeziehung mit China sucht und Ausnahmen auf die Hochtechnologie und sicherheitsrelevante Produkte beschränkt, werden die transatlantischen Partner gegenüber China künftig viel stärker an einem Strang ziehen.

Um diesen Prozess politisch zu nutzen und zu lenken, sollte die Bundesregierung darauf drängen, das neue europäisch-amerikanische Forum zur China-Politik weiter aufzuwerten. Ziel dieses Forums sollte es sein, dass die transatlantischen Partner gegenüber China abgestimmt auftreten. Von besonderer Bedeutung sind dabei Fragen der geistigen Eigentumsrechte, des Investitionsschutzes, der Balance der Handelsströme sowie der Durchsetzung globaler Standards und Normen. Vereinbarungen wie das Europäisch-Chinesische Investitionsabkommen könnten künftig vorab und gemeinsam mit den Amerikanern daraufhin analysiert werden, welche geopolitische Bedeutung ihnen von der chinesischen Führung zugewiesen wird und ob sie dazu dienen können, einen Keil in das transatlantische Bündnis zu treiben. Um diesem Forum Gewicht zu verleihen, sollte es hochrangig geführt werden, zum Beispiel von Vizepräsidenten, nämlich der Vereinigten Staaten und der EU-Kommission.

Besonders dringlich ist die gemeinsame Bestimmung sicherheitsrelevanter Technologien und stringenter Richtlinien im Umgang mit chinesischen Käufern, Investoren und Anbietern. Hier ist es besonders erforderlich, die deutsche Betrachtung auf einen weiten Winkel zu stellen, also sehr wohl unternehmerische und technische, darüber hinaus aber auch sicherheits-, verteidigungs- und bündnispolitische Aspekte zu berücksichtigen. Deutschland sollte Kriterien vorschlagen, die in der EU und mit den USA konsensfähig sind, wie „sicherheitsrelevant“ zu definieren ist und auf welche Weise solche Technologien vor der Einflussnahme autoritärer Regime, darunter China, geschützt werden sollen. Auch darf die internationale Norm- und Standardsetzung nicht zunehmend China überlassen werden.

Grundsätzlich sollte Deutschland gemeinsam mit den USA die Wechselseitigkeit (Reziprozität) zur Richtschnur der Beziehungen mit China machen. Es ist nicht länger akzeptabel, dass China einseitig Vorzüge internationaler Regeln und Abkommen nutzt, für eigene Regelverstöße aber keine Nachteile in Kauf nehmen muss. Diese falsche Rücksichtnahme – sei es aus Angst vor eigenen wirtschaftlichen Nachteilen oder in der Hoffnung, Nachsicht werde sich positiv auf Chinas zukünftiges Verhalten auswirken – ist nicht länger tragfähig, sie ist gefährlich.

Ob es um den Marktzugang geht, den Schutz geistigen Eigentums oder den Umgang mit Journalisten und Nicht-Regierungsorganisationen: Wo China sich nicht so verhält, wie es das umgekehrt für sich selbst in Anspruch nimmt, sollten die transatlantischen Partner abgestimmte Gegenmaßnahmen ergreifen. Das wird zwar auch von ihnen einen Preis verlangen, der aber vergleichsweise klein ist gegenüber dem Preis, den ein immer mächtigeres China fordern wird, das die Regeln der internationalen Ordnung nicht akzeptiert und nicht in sie eingebunden ist.

Chinas Herausforderung gegenüber dem Westen ist nicht nur eine machtpolitische, sondern vor allem eine ideologische. Auch in Zeiten, in denen Deutschland, Europa und Amerika darum ringen, ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden, sollten die liberalen Demokratien in dieser Frage selbstbewusster sein: Die offene Gesellschaft, geprägt von Freiheit, Demokratie und Gewaltenteilung, bleibt ein Erfolgsmodell von überragender Attraktivität.

Die Attraktivität verlangt aber auch, dass die offenen Gesellschaften für ihre Überzeugungen einstehen. Deswegen sollte Deutschland in Abstimmung mit den USA seine Beziehungen zu Taiwan stärken und die massenhafte Verletzung von Freiheitsrechten, etwa in Hongkong, kritisieren. Leisetreterei in solch grundsätzlichen Fragen ist nicht etwa realpolitische Klugheit, sondern Wasser auf die Mühlen der Autoritären, die den Westen für schwach, hohl und doppelzüngig halten. Vor allem verkennt die falsche Zurückhaltung die kraftspendende Wirkung solch klarer Unterstützung auf diejenigen, die für ihre Freiheit kämpfen.

Das bedeutet auch, dass Deutschland die Beziehungen zu like-minded democracies wie Australien, Japan und Südkorea intensivieren sollte – am besten, wie im Abschnitt zur Sicherheitspolitik angeregt, über modernisierte Partnerschaftsprogramme der NATO.

China fordert Deutschland wie kein anderes Land. Es ist zugleich Partner, Konkurrent und Gegner. Die chinesische Machtpolitik ist gleichermaßen zielgerichtet wie langfristig angelegt; sie bestraft Naivität. Amerika und Europa, besonders Deutschland, brauchen einander im Umgang mit China, als wechselseitige Kraftverstärker. Das funktioniert aber nur, wenn das transatlantische Handeln, quer durch alle Politikfelder, konsequent darauf ausgerichtet ist.

Deswegen brauchen Deutschland und Amerika auch in dieser Frage eine Neue Übereinkunft: Sie beginnt mit der Einsicht, dass transatlantische China-Politik eigene Sicherheitsinteressen und Menschen- und Völkerrecht ebenso vertreten muss wie die Prinzipien des freien und fairen Handels. Nicht konfrontativer als nötig, aber doch so entschieden, dass eine gemeinsame Zukunft in Wohlstand und Selbstbestimmung möglich ist – nicht gegen, sondern mit China.

Die Handelspolitik ist einer der transatlantischen Friedhöfe der vergangenen vier Jahre. Nach Präsident Trumps Einsortierung der Europäische Union als „Handels-Gegner“, den Strafzöllen auf Stahl und Aluminium und den Drohungen von Sonder-Zöllen auf europäische Autos kann es jetzt eigentlich nur noch besser werden. Und es wird gewiss besser werden mit einem amerikanischen Präsidenten, der Europa wertschätzt, internationale Organisationen und Regeln respektiert und Amerikas Ansehen in der Welt reparieren will.

Doch nach einer erhitzten Auseinandersetzung die Temperatur zu senken, die Umgangsformen zu normalisieren und von den Exzessen der Regierungszeit Donald Trumps Abschied zu nehmen, kann kein hinreichendes Ziel für einen Neustart sein. Ein deutlich höheres Ambitionsniveau ist in der Handelspolitik (wie in vielen anderen Politikfeldern) notwendig.

Das ist leichter gefordert als getan, da die Vereinigten Staaten und die Europäische Union (der die Bundesrepublik ihre handelspolitischen Kompetenzen abgetreten hat) eine lange Geschichte von Streitigkeiten trennt, die wenig mit Donald Trump zu tun haben. Der 16 Jahre alte Konflikt um Subventionen für Boeing und Airbus ist nur einer davon. Deshalb benötigt gerade die Handelspolitik einen Plan, der einerseits ehrgeizig, andererseits so nuanciert und zielgenau ist, dass er Rücksicht nimmt auf die innenpolitischen Zwänge auf beiden Kontinenten.

Für Joe Biden stehen neue Außenhandels-Verträge nicht oben auf seiner Agenda. Im Gegenteil: Er hat sie zumindest für die ersten beiden Jahre seiner Präsidentschaft ausgeschlossen. Und er ist nicht immun gegen die protektionistische Versuchung, wie etwa seine Vorschläge zur Sicherung von internationalen Lieferketten und zu öffentlichen Ausschreibungen zeigen. Auch Biden strebt an, verarbeitendes Gewerbe zurück nach Amerika zu holen, eine Strategie, die schon unter Donald Trump nicht zum Ziel geführt hat.

Sich freiwillig eine offenkundig gescheiterte Politik anzueignen, zeugt von hohem innenpolitischem Druck. Den gibt es tatsächlich: Joe Biden hat die Wahl gewonnen, weil er Donald Trump drei Bundesstaaten des Rostgürtels abgejagt hat. Das ist ihm unter anderem deshalb gelungen, weil er sich der protektionistischen Politik Trumps angenähert hat, anstatt entschieden auf eine Strategie der Bildung und der Modernisierung der Infrastruktur zu setzen, die auch das produzierende Gewerbe vom Freihandel profitieren lassen würde. Im Übrigen hat er damit dem Druck der Gewerkschaften und des progressiven Flügels seiner eigenen Partei nachgegeben.

Es ergibt deshalb derzeit keinen Sinn, das Projekt eines transatlantischen Investitions- und Handelsabkommens (TTIP) neu aufzulegen. Dieser Versuch kann gegenwärtig nur scheitern, weil die Meinungsunterschiede, die das Projekt während der Präsidentschaft Barack Obamas zum Misserfolg machten, inzwischen nur noch gewachsen sind, besonders was Landwirtschaft und Lebensmittel-Standards betrifft. Auch steht zu befürchten, dass die politische Elite Deutschlands erneut nicht die Kraft und den Führungswillen aufbringt, wirksam für dieses Projekt zu werben. Ein wiederholtes Scheitern würde aber neuen Schaden anrichten. Das wäre schlimmer als den Versuch gar nicht erst zu wagen. Abschied zu nehmen von liebgewonnenen Präferenzen bedeutet keineswegs, Abschied zu nehmen von handelspolitischer Ambition; sondern nur, neue Pfade suchen zu müssen. Bilaterale Abkommen für einzelne Industriesektoren abzuschließen, wäre so ein Pfad.

Joe Biden, der sein politisches Leben als Schmied von Kompromissen im Senat verbracht hat, dürfte bereit sein, den Ausgleich zu suchen. Trumps Zölle auf Stahl und Aluminium basieren auf dem eigenwilligen Gedanken, der Import aus Partnerländern gefährde die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten. Zu Bidens Ziel, Allianzen zu reparieren, passen diese Zölle nicht. Auch die Drohung mit Strafzöllen auf importierte Fahrzeuge war bei Demokraten noch nie populär.

Biden wird Handelspolitik durch das Prisma der politischen und technologischen Rivalität mit China betrachten und deshalb multilaterale Zusammenarbeit in diesen Kontext sehen. Deshalb bietet sich der Europäischen Union (und damit Deutschland) die Chance, Amerika zum Partner bei dem Versuch zu machen, die Welthandelsorganisation WTO zu reformieren. Viel wäre gewonnen, wenn Amerika seine Blockade gegen die Benennung von Mitgliedern für das Berufungsgremium des Streitschlichtungsmechanismus aufgäbe und das Gremium damit wieder handlungsfähig machte.

Als Gegenleistung müsste sich die Europäische Union amerikanischen Reformvorstellungen weiter annähern, was in den vergangenen Jahren ohnehin schon vorbereitet wurde und teilweise geschehen ist. Der Streitschlichtungsmechanismus bedarf kürzerer Fristen für seine Urteile und strikterer Voraussetzungen für Berufungsverfahren, um die unakzeptabel lange Verfahrensdauer zu senken. Die Stellung der neuen WTO-Generaldirektorin könnte gestärkt werden. Nach dem Beispiel der jüngsten japanisch-amerikanisch-europäischen Vorschläge zur Verschärfung der Regeln für Industriesubventionen könnten weitere plurilaterale Abkommen zwischen gleichgesinnten Staaten mit dem Ziel angestrebt werden, Marktverzerrungen zu verhindern. Dabei müsste es um Regeln für Staatsunternehmen gehen, um Technologie-Transfer, um geistiges Eigentum und um digitalen Handel.

Das Streitschlichtungs-Gremium wieder funktionsfähig zu machen, wäre eine der Voraussetzungen, um endlich entschiedener gegen Chinas systematische und fortgesetzte Verstöße gegen die WTO-Bestimmungen vorzugehen. Die institutionen- und regelbasierte Auseinandersetzung mit dem chinesischen Verhalten könnte ein Kern der Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union werden und in einem umfassenden oder mehreren kleineren WTO-Verfahren gegen China münden, wie es seit einigen Jahren vorgeschlagen wird, aber während der Präsidentschaft Donald Trumps undenkbar war.

In dem Maße, in dem sich die Vereinigten Staaten der regelbasierten Auseinandersetzung mit chinesischen Regel-Verstößen öffnen, sollte sich die Bundesrepublik als EU-Mitglied zunehmend sensibel für amerikanische Sicherheitsvorbehalte hinsichtlich Hochtechnologie und kritischer Infrastruktur zeigen – zumal dies auch deutschen Sicherheitsinteressen dienen würde. Der Streit um Huawei als Lieferanten für das 5-G-Netz in diversen europäischen Ländern wird nur die erste von diversen Auseinandersetzungen um die angemessene Verknüpfung von Sicherheit und Freihandel sein.

Wenn Europa und Amerika hier eine gemeinsame Sprache finden, muss vermieden werden, dass bilaterale Streitigkeiten die multilaterale Übereinstimmung unterminieren. Das kann leicht geschehen, wenn Europa – auch im Namen der „strategischen Autonomie“ –protektionistische Maßnahmen erwägt. Immerhin diskutiert die Europäische Union neue Regeln zum Datenfluss, zur Besteuerung digitaler Dienstleistungen und zum Grenzausgleich für den Klimaschutz, die mit jeder amerikanischen Regierung zu Spannungen führen würden.

Neben dem Willen zur Konfliktbegrenzung wird also auch eine Positiv-Agenda gebraucht. Hier bieten sich statt einer großen Handelsvereinbarung plurilaterale sektorale Übereinkommen an, etwa zu Umweltgütern oder E-Commerce. Bilateral sollte bei Technologiefragen zusammengearbeitet werden ebenso wie bei Standardsetzung für neue Technologien. Die Idee eines Transatlantic Technology Council ist ein guter Anfang. Auch Regeln zur Exportkontrolle neuer Technologien wären ein erfolgversprechender Verhandlungsgegenstand.

Die Europäische Union, unterstützt von der Bundesrepublik, sollte sich den Vereinigten Staaten annähern, indem sie sich das amerikanische Office of Foreign Asset Control (OFAC) zum Vorbild nimmt und eine Europäische Sanktions-Behörde schafft. Sanktionen werden auf Dauer zum Werkzeugkasten ökonomischer Zwangsmittel zählen. Das gilt insbesondere für die großen Akteure der Weltpolitik, wie diverse europäische Länder in den vergangenen Jahren erfahren mussten, nicht zuletzt aufgrund chinesischer wie amerikanischer Sanktions-Drohungen mit extraterritorialer Wirkung. Die EU hat bis heute keine Mittel, darauf zu antworten oder derlei Aktivitäten von vornherein abzuschrecken. Seit kurzem gibt es dazu in verschiedenen europäischen Hauptstädten Überlegungen. Einigkeit über die anzustrebenden Instrumente ist noch herzustellen.

Eine europäische Sanktions-Behörde wäre transatlantisch vorteilhaft. Sie würde den wechselseitigen Respekt stärken. Auch müssten sich die Vereinigten Staaten nicht fürchten, Europa wäre dem Druck anderer Großmächte hilflos ausgesetzt und bedürfte einmal mehr der amerikanischen Unterstützung.

Die Handels-Agenda mit der Regierung Biden ist also anspruchsvoll und erfordert nuanciertes, gemeinschaftliches Vorgehen der Europäer zu ausgewählten Themen. Sie ist aber bei geschickter Taktfolge geeignet, den gegenwärtigen Stillstand nachhaltig zu überwinden. Und sie erfordert deutsche Initiative im europäischen Konzert.

Die rasant fortschreitende digitale Transformation hat geopolitische Bedeutung erlangt. Welche Nation technologisch führend ist und welcher politisch-rechtliche Rahmen der digitalen Kommunikation gesetzt wird, entscheidet ebenso über Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandskraft von Volkswirtschaften wie über die Ausgestaltung der Freiheits- und Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger.

Auf diesem Feld schöpfen Deutschland und Amerika ihre Möglichkeiten zur Zusammenarbeit bei weitem nicht aus. Stattdessen bestimmen eher nationale bzw. eurozentrische Töne die Debatte. Das ist zu beiderseitigem Nachteil, weil die Herausforderungen beide Partner gleichermaßen betreffen – vom transatlantischen Datenverkehr über die Regulierung von IT-Unternehmen mit dominanter Marktstellung bis zum Ausbau der 5-G-Infrastruktur; von der Regulierung von Künstlicher Intelligenz, Robotik und Plattformökonomie bis zum Umgang mit „Fake News“, Wahlmanipulationen und weiteren digitalen Sicherheitsbedrohungen durch autoritäre Regime und extremistische Akteure.

Enge transatlantische Zusammenarbeit wäre bei all diesen Themen möglich und förderlich, und sei es nur ein Austausch über best practice. Europäisch-amerikanische Konkurrenz und Abgrenzung in der Digitalpolitik schwächt hingegen beide Seiten und nutzt allenfalls China. Ja, es gibt unterschiedliche ökonomische Interessen zwischen den USA und Deutschland, auch unterschiedliche Vorstellungen von Datenschutz und Privatsphäre. Aber es sollte auf beiden Seiten viel mehr Anstrengung unternommen werden, hier Kompromisse zu finden. Angesichts der Entschlossenheit, mit der China nach technologischer Dominanz strebt, muss der (immer noch) größte Wirtschaftsraum der Welt, der transatlantische, dringend zusammenrücken, um in Zukunft nicht noch viel schmerzhaftere „Kompromisse“ diktiert zu bekommen.

Bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen digitaler Geschäftsmodelle geht es nicht allein um Wettbewerbsvorteile. Es geht auch um die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger sowie um den Schutz ihrer Grundrechte. Da sind Deutschland und Europa einerseits und Amerika andererseits natürliche Partner; die transatlantische Technologiepartnerschaft beruht daher auf gemeinsamen Werten, die es gerade gegenüber China aufrechtzuerhalten gilt.

In konkrete Schritte übersetzt heißt das: Deutschland sollte sich dafür einsetzen, dass sich die Europäische Kommission mit den USA unverzüglich über eine Neuregelung des transatlantischen Datenaustausches einigt. Seit das „Privacy Shield“-Abkommen vor dem Europäischen Gerichtshof gescheitert ist, herrscht Rechtsunsicherheit. Dies ist zum Schaden der durch die Pandemie ohnehin angeschlagenen transatlantischen Wirtschaft und sollte dringend behoben werden. Notwendig sind auch neue Regeln für den Austausch und die Speicherung von Daten, um die Rechte Einzelner zu stärken. Dieses Projekt sollte transatlantisch, nicht nur europäisch verstanden werden, um zu vermeiden, dass Europäische Souveränität in europäischen Datenprotektionismus mündet. Das widerspräche der Idee des offenen und freien Internets, die es angesichts der ohnehin fortschreitenden Fragmentierung des Netzes zu bewahren gilt. Europäischer Datenregionalismus wäre zum langfristigen Nachteil der Wirtschaft und einzelner Nutzer.

Auch sollten sich Deutschland und Amerika auf Leitlinien verständigen, wie sie mit propagandistischen Falsch-Informationen umgehen wollen, die massenhaft digital verbreitet werden und den demokratischen Zusammenhalt untergraben. Die Social Media-Unternehmen tun sich mit der angemessenen Kontrolle ihrer Inhalte bisweilen schwer. Das ist nicht verwunderlich, stehen sie doch manchmal vor quasi-hoheitlichen Aufgaben, die eines politisch-rechtlichen Orientierungsrahmens bedarf, der sich an demokratischen Grundwerten ausrichtet. Regulatoren auf beiden Seiten des Atlantiks sollten Social-Media-Unternehmen dazu bewegen, ihre Content-Management-Praxis und ihren Umgang mit problematischen Inhalten transparenter zu machen. Dies sollte zwischen den transatlantischen Partnern abgestimmt sein, um mehr Wirkung zu entfalten.

Die entscheidende Schnittstelle von Wirtschaft, Technologie und Grundrechten ist die weitere Entwicklung und Regulierung Künstlicher Intelligenz. Deutschland sollte dabei viel enger mit Amerikas zuständigen Behörden zusammenarbeiten. Ziel muss es sein, eine „vertrauenswürdige KI“ zu schaffen. Mit einem autoritären China geht das nicht. Vertrauenswürdigkeit kann nur hergestellt und durchgesetzt werden, wenn sich die transatlantischen Partner mit weiteren ähnlich gesinnten Staaten zusammentun, um einheitliche Standards und Normen zu setzen, die auch einheitlich zertifiziert werden. Eine solche Harmonisierung würde der Diskriminierung bestimmter Nutzer und weitreichenden Verletzungen der Grundrechte entgegenwirken. Sie wäre mithin ein weiteres notwendiges und gut vermittelbares Beispiel für die Nützlichkeit der transatlantischen Partnerschaft.
Weil die Netz-Infrastruktur so bedeutsam ist für die Art, wie wir in Zukunft leben, müssen Firmen wie Huawei, bei denen die Grenze zwischen unternehmerischem Handeln und dem Zugriff ihres autoritären Heimat-Staates unklar bleibt, von diesen Lebensadern freier Gesellschaften ferngehalten werden. Diese Entscheidung liegt im eigenen Interesse demokratischer Staaten.

Die transatlantische Partnerschaft bedarf der nachhaltigen Reparatur, nicht der Flickschusterei. Es genügt nicht, das Verhältnis durch nette Worte und Gesten gerade so zusammenzuleimen, dass es die nächsten Jahre übersteht. Es muss von Grund auf gestärkt und neu justiert werden, um für kommende Generationen von Deutschen, Europäern und Amerikanern ebenso Sicherheit und Selbstverwirklichung zu ermöglichen wie für vergangene.

Es irritiert, dass sich in Deutschland seit dem amerikanischen Wahltag die Ansicht verbreitet, die Unterschiede zwischen dem alten und dem neuen Präsidenten beträfen vor allem Stil und Ton. Die Notwendigkeiten der Weltpolitik, die Zwänge der amerikanischen Innenpolitik und die Erwartungen an Deutschland seien bei beiden Amtsinhabern vergleichbar. Nichts werde wie früher. Joe Biden sei wie Donald Trump, nur mit freundlicherem Lächeln und besseren Manieren.

Wer die These von den amerikanischen Präsidenten-Zwillingen ernst nimmt, wird daraus ein Argument für deutsche Passivität ableiten. Dabei stimmt das Argument nicht. Auf den NATO-kritischsten folgt der atlantischste Präsident seit langem; auf einen Isolationisten ein Internationalist; auf eine Bilateralisten ein multilateraler Institutionalist; auf einen Klima-Skeptiker ein Klima-Aktivist; auf einen, der Verbündete als Schmarotzer sieht, einer, der Alliierte als Kraftverstärker versteht; auf einen Antidemokraten ein Verteidiger der repräsentativen Demokratie; auf einen, der die liberale Weltordnung zerstören will, einer, der sie erhalten will, nur mit verkleinertem amerikanischem Fußabdruck.

Hier werden unterschiedliche Weltanschauungen sichtbar. Wer jetzt für Zusammenarbeit mit Amerika plädiert, tut dies nicht länger „trotz alledem“, sondern in der Gewissheit, aus gemeinsamer Überzeugung für gemeinsame Ziele zu streiten.

Daher muss jetzt die Grundlage einer neuen Dauerhaftigkeit gelegt werden. Wie das gelingen kann, was das vor allem von Deutschland verlangt, davon handelt dieses Papier. Es kommt aber nicht nur auf einzelne Maßnahmen an, sondern ihren kumulativen Effekt. Die neuen Initiativen sollten so gestaltet werden, dass sie zusammen Kraft entfalten, in Bevölkerungen und Parlamenten Unterstützung über Parteigrenzen hinweg generieren und dadurch schwer umkehrbar werden, so auf Dauer wirken und angesichts des hohen Preises nicht zurückgenommen werden wollen.

Natürlich gibt es kein Wundermittel, das die deutsch-amerikanische Allianz ewig halten lässt. Trump hat gezeigt, dass alles hinfällig werden kann, wenn es in den Bannstrahl politischer Zerstörungswut gerät. Aber man kann die Hürden für solche Zerstörung erhöhen; vor allem, indem der Mehrwert der Partnerschaft ständig greifbar gemacht wird – ihre ganz praktische wirtschaftliche, wissenschaftliche, sicherheitspolitische, wertebewahrende Nützlichkeit muss im Alltag der Bürgerinnen und Bürger spürbar sein.

Um das zu erreichen, sollte Deutschland seine transatlantischen Initiativen möglichst einladend gestalten, nicht ausgrenzend. Dazu gehört, den Kontakt zur jeweiligen US-Opposition zu suchen und möglichst solche Vereinbarungen zu treffen, die überparteiliche Zustimmung finden. Die parlamentarischen Beziehungen werden hier eine besondere Rolle spielen. Im Zweifelsfall ist die Konsequenz der angestrebten Überparteilichkeit, die transatlantische Agenda lieber enger zu fassen, dafür aber mehr Stabilität zu gewährleisten.

Ambitionslosigkeit ist der schlimmste Feind des transatlantischen Neubeginns. Für Deutschland nährt sich diese Gefahr nicht zuletzt aus der strategischen Entwöhnung. Der Umgang mit Präsident Trump war in gewisser Weise einfach: Man brauchte auf amerikanisches Gepolter nicht weiter einzugehen und auch keine eigenen Initiativen zu entwickeln, weil jede Kooperation mit diesem Präsidenten in der deutschen Öffentlichkeit missbilligt worden wäre – sofern er sie überhaupt angenommen hätte.

Die Entwöhnung reicht aber noch tiefer. Schon Präsident Obama hat sich über europäische Trittbrettfahrer mokiert, die insbesondere in der Sicherheitspolitik viel von Amerika erwarten und bekommen, aber selbst gerne nur möglichst spät und möglichst gering beitragen. Diese scheinbar clevere Haltung ist viel zu kurzfristig gedacht; zu viele deutsche Entscheidungsträger haben sie viel zu lange eingenommen.

Nun ist die transatlantische Partnerschaft erodiert. Sie muss aber aus mehr bestehen als der – zuletzt in ihrer Glaubwürdigkeit angekratzten – Beistandsgarantie im Verteidigungsfall. Sie muss von einem breiten Geist auf vielen gesellschaftlichen Ebenen getragen werden, von dem Verständnis, nur gemeinsam die Zukunft lebenswert gestalten zu können.

Dieser Geist entsteht nicht durch Beschwörung. Er entsteht durch Taten. Durch gemeinsame politische Projekte, die Wirkung zeigen. Die Bürgerinnen und Bürger auf beiden Seiten des Atlantiks sicherer machen, wohlhabender, selbstbestimmter. Einige dieser Projekte – und den Weg zu ihrer Konkretisierung – zeigt dieses Papier auf.

Dabei ist klar, dass solche Ergebnisse nicht ohne erheblichen Aufwand zu erreichen sind. Das transatlantische Verhältnis wird sich nicht allein durch die Vereidigung Joe Bidens nachhaltig verbessern. Es braucht auch Kreativität und Engagement auf deutscher Seite. Den Mut, neue Wege zu beschreiten. Die Kraft, sich von manch liebgewonnenem Vorteil, mancher Bequemlichkeit zu verabschieden. Gebraucht wird Entschlossenheit, um die Neue Übereinkunft Realität werden zu lassen – um jene Rahmenbedingungen zu erneuern, die unserem Land seit mehr als sieben Jahrzehnten Frieden und Wohlstand ermöglichen.

*Der Text spiegelt lediglich die Meinungen der Autoren wieder.

  • Dr. Benjamin Becker, AmerikaHaus NRW
  • Deidre Berger, Außenpolitische Beraterin
  • James Bindenagel, Center for Advanced Security, Strategy and Integration Studies, Universität Bonn
  • Heinrich Brauss, Generalleutnant a.D., Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
  • Dr. David Deißner, Atlantik-Brücke
  • Eric W. Fraunholz, Deutsch-Amerikanisches Institut Sachsen
  • Dr. Patrick Keller, Bundesakademie für Sicherheitspolitik
  • Thomas Kleine-Brockhoff, German Marshall Fund
  • Dr. Anna Kuchenbecker, European Council on Foreign Relations
  • Rüdiger Lentz, Aspen Institute Deutschland
  • Rainer Meyer zum Felde, Brigadegeneral a.D., Institut für Sicherheitspolitik Kiel
  • Dr. Stormy-Annika Mildner, Aspen Institute Deutschland
  • Lena Ringleb, German Marshall Fund
  • Andrea Rotter, Hanns-Seidel-Stiftung
  • Boris Ruge, Münchener Sicherheitskonferenz
  • Dr. Oliver Schmidt, Amerikanist und Experte für auswärtige Kulturpolitik
  • Dr. David Sirakov, Atlantische Akademie Rheinland-Pfalz
  • Dr. Constanze Stelzenmüller, Brookings Institution
  • Dr. Ellen Ueberschär, Heinrich-Böll-Stiftung

Alle Autoren geben hier allein ihre persönliche Ansicht wieder. Sie sprechen ausdrücklich nicht für die Institutionen, mit denen sie assoziiert sind.

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