Wirtschaft und Finanzen

Transatlantische Handelspolitik ist Chinapolitik

Christian W. Pfrang, Lex Kolumnist, Financial Times

Die amerikanische Regierung kritisiert das globale Handelssystem als unfair. Die aggressivste Rhetorik zielt auf China, aber auch Deutschland wurde sein Exportüberschuss vorgeworfen. Europäische Politiker und Wirtschaftsführer haben die Politik zurückgewiesen, weil das bestehende Rahmenwerk zwischenstaatliche Zusammenarbeit fördert und in den vergangenen Jahrzehnten beispielloses wirtschaftliches Wachstum begleitet hat. Notwendig ist anstelle von Empörung ein Dialog darüber, mit welchen Mitteln der Westen angesichts der Finanzmacht und der Gestaltungsambitionen der Volksrepublik auch in Zukunft seine Interessen angemessen wahren kann.

Mitte Januar übergab das Department of Commerce dem Weißen Haus die Ergebnisse einer Studie über die Relevanz von Stahlimporten für die Nationale Sicherheit der USA. Ein Gesetz aus dem Jahre 1962 erlaubt deren Beschränkung, sollten die Importe ein Sicherheitsrisiko darstellen. Die Regelung wurde bis jetzt nur sehr selten angewandt, weshalb ihr Einsatz als drastischer Schritt angesehen werden würde. Eurofer, der Wirtschaftsverband der europäischen Eisen- und Stahlindustrie, befürchtet Kollateralschäden für europäische Produzenten.

Ein Bericht der Europäischen Kommission vom Dezember ordnet China rund drei Viertel der in den zehn Jahren bis 2016 weltweit neu entstandenen Stahlproduktionskapazität zu.

Schon während der Amtszeit von Präsident Obama forderten amerikanische Regierungsvertreter China zur Reduktion von Stahlproduktionskapazitäten auf. Präsident Trump und einige seiner Berater kritisieren China viel offener. Er hat wenig Geduld für Institutionen, die seiner Meinung nach etwaigen Marktmanipulationen nichts entgegenzusetzen haben. Dazu gehört die EU — dabei leidet auch die europäische Stahlindustrie unter chinesischen Überschüssen. Ein Bericht der Europäischen Kommission vom Dezember ordnet China rund drei Viertel der in den zehn Jahren bis 2016 weltweit neu entstandenen Stahlproduktionskapazität von 925 Millionen Tonnen zu. Die in China entstandenen Überkapazitäten führt der Bericht unter anderem auf staatliche Unterstützungsmaßnahmen wie Kredite und Steuernachlässe zurück. Auch marktverzerrende Maßnahmen wie zum Beispiel Exportzölle auf Rohmaterialien, die zur Stahlproduktion notwendig sind, seien ein Faktor. Vor dem Jahreswechsel sind neue EU-Handelsschutzvorschriften in Kraft getreten, um solchen staatlichen Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Rahmenbedingungen der Welthandelsorganisation effektiver entgegentreten zu können.

Die transatlantischen Partner sollten China gemeinsam klare Signale aufzeigen, denn die Stahlkontroverse ist nur eine Facette eines tiefer liegenden Problems.

Die transatlantischen Partner sollten China gemeinsam klare Signale aufzeigen, denn die Stahlkontroverse ist nur eine Facette eines tiefer liegenden Problems. Die politische Ökonomie der Volksrepublik setzt auf Staatslenkung. Freier Handel ist aber dann für alle am nützlichsten, wenn auch der Einsatz von Ressourcen grenzübergreifend von Marktsignalen gesteuert wird. Vor dem Eintritt in die Welthandelsorganisation lag Chinas Bruttosozialprodukt ein Drittel unter dem deutschen. Chinas marktwirtschaftliche Öffnung war eine plausible Hoffnung. Im vorletzten Jahr übertraf Chinas Wirtschaftsaufkommen das deutsche um mehr als das Doppelte. Und auf dem letzten Nationalen Volkskongress im Oktober pries Präsident Xi Jinping den Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken als Modell für Entwicklungsländer.

Solcher Stolz lässt grundlegende Zugeständnisse nicht vermuten. Dennoch hat auch die chinesische Regierung Handlungsbedarf erkannt. Letztes Jahr sanken die Stahlexporte des Landes um ein Drittel. Der dreizehnte Fünfjahresplan für die Stahlindustrie sieht einen Kapazitätsabbau von bis zu 150 Millionen Tonnen bis 2020 vor. Produzenten, welche zum Beispiel Umwelt- oder Effizienzkriterien nicht genügen, sollen geschlossen werden. Sogenannte “Zombiefirmen”, die nur durch Kredite am Leben gehalten werden, sollen verschwinden. Fusionen sollen die Anzahl der Stahlunternehmen reduzieren und die Dominanz der resultierenden Unternehmen erhöhen.

Vielleicht macht diese Art von Eingriffen Chinas Handelspartnern die Planwirtschaft kurzfristig erträglicher. Angemessener ist die Einsicht, dass diese Zugeständnisse sich gut mit ambitionierten Staatszielen zur Modernisierung der chinesischen Wirtschaft vereinbaren lassen: Die Umwelt soll weniger belastet werden, Unternehmen sollen profitabler werden und sich weniger verschulden, und bis 2049 möchte China zum “Weltführer in der verarbeitenden Industrie” werden. Luftfahrt, Robotik und Elektromobilität stehen unter anderem im Fokus. Das Risiko, dass dabei langfristig Verwerfungen in diesen höherwertigen Sektoren entstehen, ist offensichtlich.

China wird unter Xi Jinping immer stärker versuchen, seine Auslegung internationaler Regeln geltend zu machen.

Ein richtiger Schritt wurde im Dezember von den Handelsvertretern der EU, der USA und Japans bei der elften Ministerkonferenz der WTO in Buenos Aires gemacht. Die drei Parteien brachten in einem Statement ihre Besorgnis über durch staatliche Förderung verursachte Überkapazitäten und andere Marktverzerrungen zum Ausdruck, für die besonders China oft kritisiert wird. China wird unter Xi Jinping immer stärker versuchen, seine Auslegung internationaler Regeln geltend zu machen. Wenn die größten Marktwirtschaften darauf keine gemeinsamen strategischen Antworten finden, lassen sie ihre Vorteile in der Partnerschaft mit China ungenutzt und riskieren langfristig wirtschaftlichen Schaden.

Christian Pfrang schreibt für die Lex Kolumne der Financial Times über Wirtschaft und Kapitalmärkte in Asien. Davor hat er zunächst an der Brown University in angewandter Mathematik promoviert und dann in New York als Derivatehändler gearbeitet.

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