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TTIP-Podiumsdiskussion mit Friedrich Merz

Die Podiumsdiskussion der Atlantik-Brücke zum Thema „TTIP – eine unendliche Geschichte oder die letzte Chance für einen Abschluss?“ im Würth Haus Berlin hat etwa 70 Mitglieder, Young Leaders-Alumni und Gäste gleichermaßen zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den Verhandlungen um die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft animiert. Auf dem Panel schilderten Friedrich Merz, Vorsitzender der Atlantik-Brücke e.V., Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands e.V. (vzbv), sowie Daniel Caspary, MdEP (EVP), Koordinator der Fraktion im Ausschuss für Internationalen Handel im Europäischen Parlament, ihre Sicht der Dinge wenige Tage vor der 14. Verhandlungsrunde. Alexander Neubacher, Wirtschaftsreporter im Spiegel-Hauptstadtbüro, fungierte als Moderator. Im Folgenden dokumentieren wir den Verlauf der Diskussion anhand der wichtigsten Aussagen des Abends:

„Die heutige Entscheidung der EU-Kommission, über das kanadisch-europäische Freihandelsabkommen Ceta ohne die Beteiligung der nationalen Parlamente abstimmen zu lassen, führt mitten in unser Thema. Manche nennen diese Entscheidung eine Provokation, manche eine Besinnung.“ Friedrich Merz

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„Ich war im vergangenen Oktober als Beobachter bei einer Großdemonstration in Berlin mit 150.000 Teilnehmern zwischen Hauptbahnhof, Bundeskanzleramt und Siegessäule. Die Demonstranten forderten: ‚Stop TTIP‘. Sie wurden darin von einem breiten Bündnis unterstützt. So waren dort nicht nur deutsche Gewerkschaften versammelt, sondern auch Pegida, die NPD und sogar bulgarische Ultranationalisten. Dieses breite Bündnis vom äußeren linken bis zum äußeren rechten politischen Spektrum gegen den Westen und den Kapitalismus hat mich erschrocken. Jedoch sind sicher nicht alle Argumente der Gegner aus der Luft gegriffen.“ Alexander Neubacher

„Der vzbv hat die Großdemonstration nicht unterstützt, auch weil er steuerfinanziert ist. Aber vor allem haben wir uns gefragt, ob wir gegen fairen Freihandel mit guten Regeln sein können. Wir haben klar gesagt: ‚nein‘. Entscheidend ist dann, die Anwendungsbereiche von TTIP zu analysieren. Die gegenseitige Anerkennung von Standards könnte teilweise gut funktionieren. Was dagegen die regulatorische Kooperation und die Schiedsgerichte angeht, sind wir kritischer.“ Klaus Müller

„Ich frage mich: Haben wir nicht schon einen Zustand der Vernetzung in die globale Wertschöpfungskette erreicht, in dem unser Wohlstand als selbstverständlich hingenommen wird?“ Daniel Caspary

„Ich war ziemlich überrascht, dass ein Handelsvertrag Gegenstand eines öffentlichen Streits wird. Klar ist allerdings auch: Die EU-Kommission hätte ihr Verhandlungsmandat von vornherein veröffentlichen müssen, um der Legendenbildung, den Verschwörungstheorien und den falschen Behauptungen über TTIP vorzubeugen.“ Friedrich Merz

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„Wenn auch die Systematik und die politische Begleitung beim Europäischen Binnenmarkt anders war, sprechen wir bei TTIP im Grunde über eine Übertragung des Binnenmarktprinzips auf den transatlantischen Wirtschaftsraum. Es geht also darum, ob wir Europäer mit den Amerikanern zusammen die Regeln des globalen Handels bestimmen oder ob wir diesen Prozess den Asiaten überlassen wollen.“ Friedrich Merz

„Die Chinesen übernehmen tatsächlich schon jetzt nicht mehr automatisch unsere europäischen Vorgaben. Insbesondere die Entscheidung für den Brexit kann uns nur dazu motivieren, Ceta schnell zu ratifizieren und TTIP zügig abzuschließen. Das britische Votum nimmt uns mit Sicherheit zehn Jahre an europäischer Geltung auf globaler Ebene.“ Daniel Caspary

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„Grundsätzlich gilt bei TTIP, dass es in den Vereinigten Staaten und in der Europäischen Union andere Schutzphilosophien bei einigen Standards gibt. Aber das Nachsorgeprinzip der USA ist nicht per se schlechter als das europäische Vorsorgeprinzip.“ Klaus Müller

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„Das Legal Scrubbing, also die Rechtsförmlichkeitsprüfung, hat bei Ceta im Bereich der Schiedsgerichte zu deutlichen Verbesserungen geführt. Der prozedurale Bereich hin zu Berufsrichtern und zu zwei Instanzenzügen ist im Vorstoß von EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström bemerkenswert gut gelungen. Materiell gesehen, ist ein Schiedsgericht aber nur dann sinnvoll einzusetzen, wenn ein ausländischer Investor gegenüber einem inländischen diskriminiert wird. Daher braucht es zwischen zwei hochentwickelten Rechtssystemen keine Schiedsgerichte.“ Klaus Müller

„Ich bedauere, dass Schiedsgerichte in die Schusslinie öffentlicher Kritik geraten sind. Da schwingt die Vorstellung mit, es müsse ein staatliches Gerichtsmonopol geben. Das gibt es jedoch nicht. Im Völkerrecht hat niemand diesen Fakt bislang in Frage gestellt. Im Fall einer Enteignung muss das Prinzip des Schiedsgerichts greifen: Wenn wir die Diskriminierung von ausländischen Investoren gegenüber inländischen prinzipiell ernst nehmen, definiert die Enteignung genau den materiellen Bereich von Schiedsgerichten, um den es auch bei TTIP geht.“ Friedrich Merz

„Ich verstehe die Aufregung um den Investitionsschutz nicht. Bis heute gab es keinen einzigen Fall, in dem die Bundesrepublik verurteilt wurde.“ Daniel Caspary

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„Abkommen sind gut, wenn sie umfassend gestaltet sind. US-Großkonzerne sollten nicht glücklich sein, während der deutsche Mittelstand gleichzeitig in die Röhre guckt.“ Daniel Caspary

„Ich wage zu prophezeien: Wenn die Verhandler meilenweit auseinanderliegen, ist der umfassende Ansatz von TTIP im Herbst 2016 mit Blick auf einen Abschluss nicht haltbar. Als jemand, der nicht ein Scheitern sehen möchte, wäre aber die weitgehende Senkung von Zöllen und Steuern etwa im Maschinenbau oder in der Automobilindustrie doch schon mal ein starker Schritt.“ Klaus Müller

„Die Sache wird jetzt zeitkritisch. Am 8. November finden die US-Wahlen statt, am 20. Januar 2017 wird der 45. Präsident ins Amt eingeführt. In Deutschland sind 2017 Bundestagswahlen und in Frankreich Präsidentschaftswahlen. Wenn sich das Zeitfenster für einen Abschluss von TTIP sowohl in den USA als auch in der EU schließt, sollte man das nehmen, was man bekommen kann. Die Wirkung eines gescheiterten Abkommens wäre fatal. Wenn sich herausstellt, dass die USA und Europa nicht mehr partnerschaftsfähig und einigungsfähig sind, wäre das hochproblematisch.“ Friedrich Merz

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„Juristisch gesehen, liegt die Handelszuständigkeit bei der Europäischen Union. Es ist ärgerlich, wenn der Europäische Rat bestimmte Handelsabkommen als gemischt ansieht. Wir können uns den Aufwand von europäischen Wahlen sparen, wenn nur dann etwas als europäisch gut gilt, wenn alle nationalen Parlamente beteiligt sind. Wie sollen wir da von internationalen Partnern ernst genommen werden? Wir halten uns ständig nicht an unsere europäischen Regeln.“ Daniel Caspary

„Meine Argumentation ist nicht juristisch. Es wäre ein politischer Fehler, zum jetzigen Zeitpunkt rund um die Brexit-Debatte die nationalen Parlamente nicht über Ceta abstimmen zu lassen. Eine solche Entscheidung wäre Wasser auf die Mühlen derjenigen, die Ceta und TTIP ohnehin schon ablehnen. Für mich ist Ceta ein gemischtes Abkommen – TTIP auch.“ Klaus Müller

„Wenn Ceta ein gemischtes Abkommen ist, zieht sich die Ratifizierung über viele Jahre hin. ‚Viel Erfolg‘, wünsche ich.“ Daniel Caspary

„Nur in der Währungspolitik und der Handelspolitik hat die EU uneingeschränkte Kompetenz. Wir haben viel zu früh mit der Diskussion über gemischte Abkommen begonnen. Jetzt in der wohl größten Krise der europäischen Nachkriegszeit ist die Aussage des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker hochbrisant. Allerdings ist Europa eine Rechtsgemeinschaft, wir brauchen eine Rückkehr zum Recht, um die politische Mitte zu stabilisieren.“ Friedrich Merz

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„Die Gegner des transatlantischen Freihandelsabkommens haben ihre Kampagne sehr smart aufgestellt. Man muss erst einmal darauf kommen, einen Glaskasten vor dem Bundestag hochzuziehen.“ Alexander Neubacher

„Zur Demokratie gehört so viel Transparenz wie möglich. Die vorhandene Transparenz muss man aber auch nutzen. Und irgendwo brauchen die Verhandler natürlich auch Vertraulichkeit, denn es gibt einen Punkt, an dem die Durchsetzungsfähigkeit von Abkommen gefährdet ist.“ Daniel Caspary

„Handelsabkommen, die globale Standards im Arbeitnehmerschutz und Verbraucherschutz setzen sollen, sollten nicht in geheimen Delegationen verhandelt werden. Die beteiligten Parlamente müssten bei Handelskommen neuer Prägung wie TTIP Zwischenergebnisse beraten.“ Klaus Müller

„Der Ruf nach vollständiger Transparenz erklärt sich durch das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber unseren Institutionen. Ich bin kein Freund von völliger Transparenz. Die EU-Kommission braucht am Ende der Verhandlungen ein Votum des EU-Parlaments. Dazwischen muss sie ausloten dürfen, was möglich ist und was nicht. Gegenüber unseren amerikanischen Freunden plädiere ich dafür, dies selbstbewusst zu tun. Denn es geht im Kern bei TTIP um die strategische Bündnisfähigkeit zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika.“ Friedrich Merz

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