Außen- und Sicherheitspolitik

„Vielleicht das letzte Mal, dass sich die USA so um Europa kümmern“

Drei Fragen an den Atlantik-Brücke-Vorsitzenden Sigmar Gabriel
„Vielleicht das letzte Mal, dass sich die USA so um Europa kümmern“ Foto: Uli Knörzer

Im Interview spricht der Vorsitzende der Atlantik-Brücke, Sigmar Gabriel, über die angespannte Lage in der Ukraine, die Gespräche zwischen Russland und den USA in Genf, und darüber, wie Deutschland und Europa sich stärker außenpolitisch einbringen können.

1. „It’s very hard to make actual progress […] in an atmosphere of escalation and threat, with a gun pointed to Ukraine’s head,” so US-Außenminister Blinken anlässlich der Gespräche zwischen Russland und den USA in Genf. Ist es, trotz russischer Drohungen, richtig, den Dialog mit Russland zu führen?

Der amerikanische Außenminister Tony Blinken hat natürlich Recht: Was Russland derzeit tut, macht eher den Eindruck einer versuchten Erpressung als einer ernstgemeinten Verhandlung. Trotzdem gibt es keine ernsthafte Alternative dazu, miteinander zu reden. Russland muss nur wissen, dass weder die USA noch die NATO noch Europa sich von der Drohung einer militärischen Eskalation einschüchtern lassen, sondern dass in einem solchen Fall der Preis, den Russland zu zahlen hätte, das Land an den Rand des wirtschaftlichen Ruins führen würde. Um das klar zu sagen: Niemand will das! Aber zu der dringend nötigen Deeskalation müssen beide Seiten bereit sein und nicht nur der Westen. Es ist nicht die NATO, die hunderttausend Soldaten an der russischen Grenze hat aufmarschieren lassen, sondern das hat Russland gegenüber der Ukraine getan.

2. Europa blieb, ebenso wie die Ukraine, bei den Gesprächen in Genf außen vor. Was muss geschehen, damit die EU mehr außenpolitisches Gewicht bekommt?

Aus russischer Sicht ist es logisch, dass die Verhandlungen nur mit den USA geführt werden. Denn die derzeitige Sicherheitsarchitektur Europas wurde ja nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch zwischen Russland und den USA verhandelt. Und genau diese Sicherheitsarchitektur will Russland revidieren. Aus russischer Sicht sind die USA dafür der richtige Partner. Für uns Europäer ist das in mehrfacher Hinsicht ein Problem: Einerseits wird durch das Genfer Format einer Verhandlung zwischen den USA und Russland die Annahme des russischen Präsidenten Wladimir Putin bestätigt, dass man die Europäer nicht ernst nehmen muss. Für ihn wirkt es, als ob die USA das genauso sehen würden. Es zeigt sich wieder einmal, wie weit Europa davon entfernt ist, seine eigenen außenpolitischen Interessen selbst wahrzunehmen. Die ganzen Reden von europäischer Souveränität und die Forderung, dass Europa „die Sprache der Macht erlernen“ müsse, entpuppen sich derzeit als bedeutungslose Phrasen. Im Gegenteil: Europa macht gerade den Eindruck, als seien die Staats- und Regierungschefs ganz froh, dass sie nicht selbst den Konflikt mit Russland austragen müssen, weil sie in Wahrheit zu keiner gemeinsamen Haltung kommen würden. Was aber passiert eigentlich, wenn in den USA erneut ein Präsident wie Donald Trump an die Macht kommt, der die Allianz mit den Europäern geringschätzt und nicht bereit ist, in unserem Namen und in unserem Interesse zu verhandeln? Und selbst bei Joe Biden und den Demokraten könnten die derzeitigen Verhandlungen mit Russland das letzte Mal sein, dass sich die Vereinigten Staaten derart stark um Europa kümmern. Denn die USA wenden sich immer mehr dem Indo-Pazifik und der Eindämmung Chinas zu. Wir können als Europäer einfach nicht davon ausgehen, dass die schwierigen Verhandlungen immer durch die USA in unserem Interesse gelöst werden.

3. Befürchten Sie eine Eskalation der Lage? Und welchen Beitrag können Deutschland und Europa leisten, um eine weitere Zuspitzung zu verhindern?

Wer die Eskalation der Lage verhindern will, muss vor allem eines tun: zeigen, dass jede militärische Intervention für Russland einen extrem hohen Preis hätte. Nicht im militärischen, wohl aber im wirtschaftlichen Sinn.

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