Außen- und Sicherheitspolitik

„Wer auch gewählt wird, besser wird es erstmal nicht“

Eine Bestandsaufnahme ein Jahr vor der US-Präsidentschaftswahl
„Wer auch gewählt wird, besser wird es erstmal nicht“ Martin Bialecki Foto: DGAP

Die folgende Analyse wurde von Martin Bialecki, Chefredakteur der Zeitschrift Internationale Politik (IP), anlässlich des Frankfurt Luncheon der Atlantik-Brücke gehalten. Vor seiner Tätigkeit für die IP war Martin Bialecki langjähriger Büroleiter und Korrespondent Nordamerika für die dpa.

Heute in einem Jahr um diese Zeit haben wir es schon hinter uns. Am 3. November 2020 wird in den USA Donald Trump wiedergewählt. Oder es wird seine Nachfolgerin bzw. sein Nachfolger bestimmt. Wirft man einen Blick zum Beispiel in die Prognosen der Wettbüros, ist die Sache recht klar: four more years.

Ich habe einige Jahre in den USA verbracht: Von 2015 bis 2018 war ich dort Büroleiter der Deutschen Presse-Agentur dpa mit Sitz in Washington DC. Ich verfolge auch seit meiner Rückkehr das Geschehen mit größtem Interesse, beruflich wie privat. Ich habe in meinen Jahren in den USA sehr viel gelernt; dazu gehörte vor allem: Sei vorsichtig mit allen Prognosen. Ich gestehe, dass ich mich oft geirrt habe in diesen Jahren. Ich habe vermeintlich sichere Einschätzungen solange in Analysen gegossen, bis mir irgendwann klar wurde, dass das nicht geht; dass die Wirklichkeit sie wiederlegt hat, dass wir vorsichtig sein müssen, wenn es darum geht, in der Ära Trump Vorhersagen zu treffen.

Prognosen sind Annahmen, die – bestenfalls – erfahrungsgesättigt auf einem Set an Vergleichbarem, Wahrscheinlichkeiten und Herleitungen beruhen. Normalerweise. Es ist aber nichts mehr normal, seitdem Donald Trump an einem lichten Junitag 2015 eine goldene Rolltreppe heruntergeschwebt kam. Man kann kaum noch etwas vergleichen, es ist alles neu, immer wieder ist es unfassbar, und viele Gesetzmäßigkeiten sind außer Kraft. Viele, aber nicht alle.

Eine Bestandsaufnahme also, ein Jahr vor der Wahl. Ich möchte das in fünf Teile gliedern:

  1. Die Lage
  2. Der Präsident
  3. Die Republikaner
  4. Die Demokraten
  5. Was sein könnte – und was nicht passieren wird.


Erstens – the lay of the land

Ich habe mich im Sommer 2018 aus den USA verabschiedet und bin mit meiner Familie zurück nach Deutschland gegangen. Ich habe sehr gerne in Amerika gelebt und gearbeitet. Ich mochte dieses Land sehr, ich habe es kreuz und quer bereist, und jedes Mal wusste ich nach einer Reise weniger, was denn das sein soll, die USA, wovon genau man dann eigentlich spricht, vom Weißen Haus oder den Küsten, von Donald Trumps Amerika oder dem, was sich viele Deutsche so zurechtgebaut haben als Idee von diesem Land. Ich bin abgereist mit dem bohrenden Gefühl, dass es vielleicht am Ende doch nicht gut gehen könnte mit diesem wunderbaren Land; und zwar dann, wenn sich diese ganze Zerrissenheit und diese permanente unfassbare Aufgeregtheit hoffentlich nicht irgendwann mal ein wenig abmildern würden.

Es sieht so aus, als sei diese Hoffnung trügerisch gewesen. Das Land ist zerrissener denn je. Es war schon immer uneiniger und diverser, als das in Europas breiter Öffentlichkeit gemeinhin ankam. Aber es gab einen Konsens, so schmal er auch immer gewesen sein mag. Diesen Konsens zerstört Donald Trump. Ich glaube, dass er auch dann anhaltend beschädigt bleiben wird, selbst wenn Trump nicht wiedergewählt wird. Es ist oder war ein Konsens über Anstand und Grenzen des Zumutbaren und darüber, dass es möglich ist, sich einer gemeinsamen Wahrheit aus verschiedenen Richtungen zumindest anzunähern.

A propos Wahrheit.

Am Anfang hat das Thema Impeachment Trump voll in die Karten gespielt, weil er es sehr gut für seine Zwecke nutzen konnte. Dann wurde er nervös. Nun wirkt es so, als sei er das nicht mehr. Trump weiß, dass seine Basis nie von ihm ablassen wird, dafür ist ihre Welt zu geschlossen. Ja, die Front seiner politischen Unterstützer zeigt manchen Riss. Wie tief diese Risse aber gehen werden und ob etwas herausbricht aus dieser Front, wir wissen es nicht, zumindest ich weiß es nicht. Die Lage ist angespannt und hektisch, bewusst polarisiert, unversöhnlich und oft hasserfüllt. In einem zeitgeschichtlichen Moment, in dem sich Achsen der Geopolitik verschieben und man sehnlichst darauf hofft, dass die USA sich transatlantisch und sicherheitspolitisch besinnen mögen, wird die letzte Supermacht der Erde auf gewisse Weise in sich selbst versinken – und Wahlkampf führen. Wir wissen nicht, wer gewinnt. Aber wir wissen, dass es furchtbar anstrengend werden wird.

Zweitens, der Präsident

Unglaublicher geht es nicht mehr, so schlimm war es noch nie, es wird immer wahnsinniger – wie oft haben wir das schon gelesen in den vergangenen bald drei Jahren. Tatsache ist allerdings, dass das oft stimmt; mittlerweile beinahe jeden Tag geschehen Dinge, die so ungeheuer sind, dass sie die vorhergehenden Ungeheuerlichkeiten einebnen; bis man irgendwann auf einer Art Müllberg an Geschehnissen steht. Ich möchte Sie nicht mit dem Versuch eines Psychogramms über Donald Trump langweilen, das liegt ja alles vor. Aber ich möchte sie auf seine Methode verweisen. Immer auf die gleiche Stelle schlagen, dorthin, wo die Reflexe sitzen. Verlässlich die Meute steuern und immer selber das Thema setzen. Ablenken, lügen, verbiegen. Immer noch lauter sein als alle anderen – bis man es nicht mehr hören kann. Das gehört zu dem, was er will. Gewöhnung, Abstumpfung durch Dauerfeuer. Dieser Mann und seine Büchsenspanner sind Meister in der Ökonomie der Aufmerksamkeit. Und viele, sehr viele Amerikaner sind dafür empfänglich. Für den Wahlausgang 2020 sind die rücksichtslose Brutalität und die hemmungslose Selbstbezogenheit dieses Präsidenten zwei unberechenbare Faktoren.

Drittens, die Republikaner

Welche Republikaner? Sie sind als eigenständige Kraft und/oder Gegengewicht beinahe verschwunden. Ich finde es bis heute schwer, das zu verstehen. Diese stolze Partei mit all ihren hehren Grundsätzen befindet sich vollständig in der Hand eines Präsidenten, dem diese Partei selbst dabei vollkommen gleichgültig ist. Wovor haben die Republikaner Angst? Vor dem Ende einer politischen Karriere? Mandatsverlust? Tweets? Die Frage ist doch auch, auf was aufgebaut werden soll, wenn Trump dereinst in den politischen Sonnenuntergang reitet; vielleicht auf einem großen Vergessen und einem kollektiven „Let’s get over it“. Warum diese gusseiserne Einigkeit der Partei für den Präsidenten so wichtig sein wird, darauf komme ich später noch darauf zu sprechen.

Schauen wir uns, viertens, die Demokraten an

Ach, die Demokraten. Seit dem Start des Vorwahlkampfes zerreißt es sie fast in der Unentschiedenheit darüber, wohin sie eigentlich wollen. Und es ist ja auch eine wirklich wahrhaftige Richtungsentscheidung: Wo sollen diese Wahlen gewonnen werden: in der Mitte, wie immer in Amerika? Oder doch links? Wie will man junge Wähler gewinnen, wenn einer der führenden Kandidaten bei der Wahl fast 78 Jahre alt sein wird, immer wieder mal Dinge vergisst und sich selbst beharrlich ein Bein stellt? Wie will man die Mitte gewinnen, wenn eine – im amerikanischen Maßstab – linke Politikerin immer mehr zulegt, die aber gleichzeitig für Trump in vielem eine Art ideale Gegenkandidatin darstellt? Ist irgendeiner oder -eine dieser Kandidatinnen und Kandidaten in der Lage, Trump zu schlagen? Einen echten Wahlkampf anzunehmen und die Mitte mitzureißen?

Was die Linke anbelangt, so könnte es sein, dass ihr gesamtes Narrativ falsch ist. Man gewinnt nicht, wenn man noch weiter nach links rückt. Nur 17 Prozent der Amerikaner sind gegen den Kapitalismus an sich. Dies ist kein linkes Land. In den wichtigsten Battleground States ist Trump jeweils mindestens in Schlagdistanz zu den Demokraten. Am weitesten ist der Abstand noch zu Jo Biden, mit Sanders ist es ein Patt, zu Warren liegt Trump bis zu sechs Punkte vorn. Soviel zur Breitenwirksamkeit linker Positionen.

Als der Wahlkampf begann, wollten bei den Demokraten mehr als 20 Menschen antreten, mittlerweile hat sich das Feld ein wenig gelichtet. Immerhin hat man sich darauf besonnen, den schärfsten Gegner nicht mehr in der eigenen Partei zu sehen, das ist aus Sicht der Demokraten und ihrer Anhänger ein Fortschritt. Was weniger klar ist: Wofür stehen die Kandidaten? Wogegen sie sind, ist klar, aber wofür? Damals war zu dieser Zeit im Wahlkampf übrigens Barack Obama schon prominentester Gegenkandidat zu Hillary Clinton. Es gibt heute aus vielen Blickwinkeln nichts Vergleichbares.

Fünftens – was sein könnte, und was nicht passieren wird

Ich habe Ihnen eingangs geschildert, warum ich verhalten bin, wenn es um Prognosen geht. Ich möchte mich deswegen nun auf einige Thesen beschränken und diese knapp begründen.

These eins: Es ist wahrscheinlicher, dass Trump wiedergewählt wird, als dass eine Demokratin oder ein Demokrat ins Weiße Haus kommt. Die Zustimmungswerte an Trumps Basis sind fast unverändert. Das Land ist extrem polarisiert. Es wird, klar, eine Entscheidung zwischen zwei Politikern werden, in einer Zeit allerdings, in der Politiker per se unbeliebt sind. Trump bleibt – erstaunlich genug – der Anti-Politiker, auch als Präsident. Für ihn ist das ein großer Vorteil. Außerdem werden Präsidenten in den USA immer dann wiedergewählt, wenn der Amtsvorgänger aus der anderen Partei kam. Zumindest war das bisher so. Dazu kommt, dass das System in den Bundesstaaten noch extremer auf Republikaner zugeschnitten ist, Stichwort Gerrymandering. Schon all das spricht für Trump.

These zwei: Trump wird 2020 noch weniger Stimmen bekommen als bei seiner Wahl. Noch weniger als republikanische Wahlverlierer wie etwa John McCain. Das wird aber deswegen nichts machen, weil dieses Wahlsystem insgesamt vollkommen kaputt ist. Letztlich werden die Ergebnisse in wohl nur vier Staaten über den gesamten Wahlausgang entscheiden. Pennsylvania, Michigan, Wisconsin und Florida, manchmal werden auch Arizona und North Carolina dazu gezählt. Vielleicht wird es am Schluss ja nur auf Wisconsin ankommen. 570 000 Einwohner, 10 Wahlmänner.

These drei: Dieser Wahlkampf wird an Lautstärke alles in den Schatten stellen. Er wird der teuerste und hässlichste werden, den dieses Land bisher erlebt hat. Trump weiß, wo die Wut sitzt. Er gilt zwar als strategische Niete, aber er kann extrem gut anzünden. Die Kampagne läuft bereits, extrem gut vorbereitet und ausgesteuert, ganz wesentlich auch über Facebook.

These vier: Von dem, was wir absehen können, kann mittlerweile wohl nur noch eine Entwicklung Trumps Sieg ernstlich gefährden. Mit nichts will der Präsident so verbunden werden wie mit einer positiven Entwicklung der Wirtschaft. Wenn die Konjunktur in den USA also runtergeht, hat Trump ein Problem. Allerdings sehen die jüngsten Daten nicht danach aus: Die Wirtschaft wächst langsamer, aber sie scheint nicht zu schrumpfen.

Was für die Demokraten ein paar Wochen lang wie Trumps sicherer Killer aussah, all die neuen Entwicklungen in Sachen Impeachment-Untersuchung, scheint Trump in Sachen Wiederwahl dagegen wenig anhaben zu können. Bei den Republikanern liegen seine Umfragewerte nach wie vor bei rund 90%, und das war nach den Enthüllungen über Trumps Politik gegenüber der Ukraine. Das kann sich für die Wiederwahl als ebenso wichtig herausstellen wie die bis dato komplett geschlossene Anti-Impeachment-Front der Republikaner im Kongress. Was aus den anstehenden öffentlichen Hearings wird, kann man nicht wissen. Aber was sollte passieren, um die für ein Impeachment nötige Mehrheit im Senat zu erreichen?

However. Wer auch immer gewählt wird, besser wird es dadurch erstmal überhaupt nicht. Der Trumpismus wird nicht vorbei sein, wenn Trump das Weiße Haus verlässt – wenn er es denn verlässt, vielleicht gräbt er sich ja ein. Das Land bleibt auch nach der Wahl oder Abwahl so tief gespalten wie nie zuvor. Wer will das heilen, wer kann das heilen?

Es gibt in Deutschland eine ebenso tiefe wie analytisch unscharfe Sehnsucht danach, dass das transatlantische Verhältnis wieder so werden möge wie früher, als alles angeblich besser war. Nur – auch eine Demokratin oder ein Demokrat im Weißen Haus stünde nicht dafür bereit, diese Sehnsucht zu erlösen. Viele Positionen der Demokraten ähneln denen Trumps: Handel, Nato , der Aufruf zur Übernahme von bedeutend mehr Verantwortung etc. Diese vermeintlich guten Zeiten, in denen Deutschland bequem andere für seine Sicherheit hat sorgen lassen und diese anderen dafür bezahlt hat, die sind vorbei.

Vorbei sind diese Zeiten allerdings auch schon heute, ein Jahr vor der Wahl. Es wäre gut, wenn Deutschland in diesen Tagen etwas hätte, was man als konsistente Außenpolitik bezeichnen kann. Es könnte dann auch diese transatlantischen Beziehungen nach Kräften so früh und so gut es geht gestalten. Es könnte mit denen Politik machen und Diplomatie betreiben, mit denen das möglich ist, und die bleiben werden; in den Staaten, unter den Gouverneuren, in den Städten.

Bedauerlicherweise hat Deutschland derzeit nichts, was man eine konsistente Außenpolitik nennen könnte – aber das ist zum einen eine andere traurige Geschichte, zum anderen war diese Bestandsaufnahme vielleicht schon ausreichend grau….

 

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