Zeit für ein transatlantisches Freihandelsabkommen 2.0?
von Fabian Wendenburg
Angesichts des Handelskonfliktes mit den USA werden die Stimmen lauter, die eine Neuauflage der Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen fordern. Die Argumentation: Mit einer Freihandelsinitiative könne man die Kritik von US-Präsident Trump an den Handelsbeziehungen zu Europa aufgreifen, die Diskussion von Strafzöllen in einen konstruktiven Dialog überführen und die Protektionismus-Spirale stoppen. Für solche Verhandlungen hatten sich zuletzt EU-Ratspräsident Donald Tusk („Wir sollten jetzt zu den Gesprächen zurückkehren“) und – etwas verhaltener- auch Bundeskanzlerin Angela Merkel („Ein Handelsabkommen ist unser Wunsch und unser Ziel“) ausgesprochen. Ähnlich hat sich auch das Handelsblatt geäußert („Die EU sollte Trump entgegenkommen und TTIP wiederbeleben“).
TTIP liegt seit der Wahl von Donald Trump auf Eis. Doch die Verhandlungen waren schon vor der US-Wahl in Schieflage geraten – auch wegen der deutschen Debatte. Weder in der Politik noch in der Öffentlichkeit war die Erwartung, TTIP könnte noch zum Erfolg werden, zuletzt groß. Besonders deutlich wurde dies, als Sigmar Gabriel als zuständiger Bundeswirtschaftsminister die Verhandlungen im August 2016 für „de facto gescheitert“ erklärt hatte – zu einem Zeitpunkt, als offiziell noch verhandelt wurde und Hillary Clinton im amerikanischen Wahlkampf weit vorne lag. Das zeigt: Der Blick auf die Verhandlungsbereitschaft der USA reicht nicht aus. Wir in Europa müssen uns zunächst selbst kritisch hinterfragen, bevor ein neuer Anlauf für ein transatlantisches Freihandelsabkommen ernsthaft gestartet werden kann.
Fünf kritische Fragen
Reden EU und USA über das gleiche, wenn sie über ein Handelsabkommen reden?
Das Ziel von Handelsabkommen ist es, Handelsbarrieren wie Zölle, Quoten und Investitionsschranken abzubauen. Abkommen öffnen Märkte oder Marktsegmente, zum Beispiel im Bereich der öffentlichen Beschaffung. Modernere Handelsabkommen enthalten zudem Verpflichtungen, bestimmte Standards im Handel einzuhalten. Das Abkommen mit Kanada (CETA) ist ein gutes Beispiel, wie der Abbau von Handelsbarrieren, Marktöffnung und die gleichzeitige Einigung auf hohe Standards gelingen können. Ein Freihandelsabkommen ist hingegen nicht dazu da, die Handelsbilanz auszugleichen – was aber das erklärte Ziel von Präsident Trump ist. Europa muss daher zunächst definieren, welche eigenen strategischen, politischen und ökonomischen Interessen wir in einem Abkommen mit den USA durchsetzen wollen und in der jetzigen Konstellation auch durchsetzen können.
Ist der politische Wille in der EU vorhanden?
Die ohnehin fragile Allianz der Freihändler ist in der EU zuletzt weiter geschrumpft: Großbritannien wird nicht mehr Teil künftiger EU-Abkommen sein. Deutschland hat sich in der Handelspolitik bedauerlicherweise als unzuverlässig und unberechenbar erwiesen. Zudem wird im frischen Koalitionsvertrag zwar das Ziel genannt, mit Staaten im asiatisch-pazifischen und im lateinamerikanischen Raum Freihandelsabkommen abzuschließen. Mit Blick auf die USA ist hingegen nur davon die Rede, die weitere Vertiefung der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen zu unterstützen. Mit der SPD, die sich in der Regierung erneuern will, wird eine Zuwendung Richtung USA vermutlich nicht einfacher. Auch von Frankreich und Italien ist in der gegenwärtigen politischen Lage keine umfassende Freihandelsinitiative zu erwarten. Der Impuls für Freihandel muss jedoch von den Mitgliedstaaten ausgehen, nicht nur von der EU-Kommission. Ein solches breites Commitment ist die unabdingbare Voraussetzung für neue Gespräche mit den USA.
Ist Europa handlungsfähig?
Der Europäische Gerichtshof hat im Mai 2017 ein Gutachten zur Kompetenzverteilung bei EU-Freihandelsabkommen vorgelegt. Demnach geht die alleinige Zuständigkeit der EU sehr weit: Lediglich Bestimmungen über die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ISDS oder ICS) und über Portfolioinvestitionen führen dazu, dass eine gemischte Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten vorliegt. Folglich könnte die EU künftig sehr weitreichende Abkommen verhandeln, die dann nur von Europäischem Rat und EU-Parlament ratifiziert werden müssten. Die Mitsprache- und Kontrollrechte der nationalen Parlamente müssten im nationalen politischen Prozess organisiert werden, eine rechtliche Ratifizierungsfunktion käme Bundestag und Bundesrat so nicht mehr zu. Fraglich ist, ob die Mitgliedstaaten in letzter Konsequenz bereit sind, sich auf dieses Verfahren einzulassen und damit die Handlungsfähigkeit der EU bei Freihandelsabkommen zu stärken – zulasten des Mitbestimmungsrechts der nationalen Parlamente.
Wie kann die kritische Öffentlichkeit von einem transatlantischen Handelsabkommen überzeugt werden?
TTIP war eines der umstrittensten politischen Projekte der jüngeren Vergangenheit, obwohl der Verhandlungspartner der in Deutschland beliebte Präsident Obama war. Warum sollte ein neues Abkommen, dieses Mal mit dem ungeliebten Präsident Trump, auf mehr Akzeptanz stoßen?
Insbesondere ist fraglich, ob die Angst vor einem Handelskonflikt reicht, um einen neuen Anlauf zu begründen. Denn das Argument, dass Handel Wachstum und Arbeitsplätze schafft, scheint in Deutschland angesichts des anhaltenden Wirtschaftsaufschwungs nicht zu verfangen. Dies ist eine der Lehren aus der TTIP-Debatte. Die Verankerung hoher Verbraucher- und Umweltstandards taugen als Argument in Verhandlungen mit der derzeitigen US-Regierung nicht. Auch die Analogie, ein Freihandelsabkommen könne zu einer Art Wirtschafts-NATO werden, hat schon in der TTIP-Debatte nicht gezogen. Denn die NATO wird hierzulande (auch) als Instrument gesehen, den amerikanischen Einfluss in Europa zu sichern, und nicht als Partnerschaft auf Augenhöhe.
Die Klammer für ein Freihandelsabkommen könnte sein, eine Alternative zum aufstrebenden China zu schaffen. China wird im eigenen Land zunehmend autoritärer und protektionistischer. Zugleich verfolgt es mit der „Belt and Road“-Initiative, mit der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) oder mit der gezielten Übernahme ausländischer Unternehmen das Ziel, ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss weltweit zu verstärken. Ein transatlantisches Freihandelsabkommen, das fast 50 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung und ein Drittel des Welthandels umfassen würde, könnte daher ein überzeugendes Gegenangebot sein, die Globalisierung mit marktwirtschaftlichen und rechtsstaatlichen Prinzipien zu gestalten.
Reden wir von einem Neustart oder von einer Fortsetzung der TTIP-Verhandlungen?
Bei den TTIP-Verhandlungen wurden bereits einige, wenige Zwischenerfolge erzielt, etwa beim Zollabbau. Soll auf diesem Verhandlungsstand aufgesetzt werden, oder geht es um einen kompletten Neustart? Die Erfahrung aus den TTIP-Verhandlungen lässt den Schluss zu, dass die Architektur der Verhandlungen grundsätzlich überdacht werden muss: Der Verhandlungsumfang sollte deutlich klarer abgesteckt sein. Ausnahmen und rote Linien müssen von Beginn an benannt werden. Sonst wird kein Vertrauen in die Verhandlungen entstehen. Das Prinzip „everything is on the table“ hat ausgedient. Das Verhandeln im Paket („nothing is agreed until everything is agreed“) ist zwar in Verhandlungen üblich und bewährt, schürt aber das Misstrauen vor einem Kuhhandel bei sensiblen Themen. Daher sollten kleinere Verhandlungspakete geschnürt werden. Klar ist: Ein neuer Name allein reicht nicht aus.
Fazit: Der Dialog mit den USA über die Handelsbeziehungen muss unbedingt fortgesetzt werden. Und ein transatlantisches Freihandelsabkommen ist ökonomisch und strategisch nach wie vor sinnvoll. Wer aber jetzt die Wiederaufnahme von Verhandlungen fordert, muss diese politisch und kommunikativ gründlich vorbereiten – auch und gerade auf Seiten Europas. Ein voreiliger Neustart wäre hingegen sehr riskant. Denn es gilt, was prominente Transatlantiker in ihrem Manifest „Trotzdem Amerika!“ festgehalten haben: Ein Scheitern dieses Projektes wäre am Ende schädlicher als ein langer Winterschlaf.
Fabian Wendenburg ist Young Leader-Alumnus der Atlantik-Brücke. Er hat die TTIP-Verhandlungen von 2013-2016 für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begleitet. Der Artikel stellt die Meinung des Autors dar.