Digitalisierung

Das Ende der amerikanischen Gov-Tech-Symbiose

Das Ende der amerikanischen Gov-Tech-Symbiose Apple hat seinen Hauptsitz in Cupertino, Kalifornien, doch agiert längst auch "in China für China". Foto: unsplash/Carles Rabada

30 Jahre lang stimmten die Interessen von Tech-Unternehmen und US-Regierung überein. Das ist nun vorbei.

Von Ansgar Baums

Das Silicon Valley blickt in die Zukunft, nicht in den Rückspiegel. Eigentlich schade, denn Geschichte hilft, die Gegenwart zu verstehen. Im Silicon Valley wird gerne die Story des genialen Entrepreneurs erzählt, der durch “kreative Zerstörung” das digitale Zeitalter geprägt hat. In diesem Narrativ bleibt nicht viel Platz für eine Geschichtsschreibung, die eher auf strukturelle Kräfte als die messianischen Aspekte des Genie-Kultes schaut. Das führt zu drei blinden Flecken. Erstens: Als die Internet-Ökonomie durchstartete – und 1993 ihren ersten Hype-Gipfel in der “DotCom-Blase” erreichte -, war der Kalte Krieg noch nicht mal drei Jahre vorbei. Dass die technologischen Grundlagen der Internet-Ökonomie (wie Netzwerk-Protokolle und Satelliten-Technologie) auf staatlich geförderte Forschungsprogramme zurückgehen, die deutlich dem Technologie-Wettbewerb des Kalten Krieges zuzuordnen sind, war zwar offensichtlich, aber nicht Teil der offiziellen Silicon-Valley-Story. Zweitens: Ebenso wenig sind die regulatorischen Weichenstellungen, welche die Internet-Ökonomie ermöglichten, Teil des Narrativs: Ohne die Privatisierung des Telekommunikationssektors oder die Etablierung einer beschränkten Plattform-Haftung (in den USA durch den Telecommunications Reform Act 1996, in der EU durch die e-Commerce-Richtlinie 2000) gäbe es die Internet-Ökonomie nicht. Das Silicon Valley-Genie duldet keinen Nebenbuhler – schon gar nicht in Form eines Gesetzgebers.

Genie-Kult vs. Geschichte

Drittens – und vielleicht der gravierendste “blind spot” im Silicon-Valley-Selbstbildnis: Es fehlt der geopolitische Kontext. Die Internet-Ökonomie ist ein Kind des “unipolaren Moments” (Charles Krauthammer), geprägt durch die USA als einzige verbliebene Supermacht, die nach 1990 dem Liberalismus und Freihandel verschrieben ist. In den nächsten zweieinhalb Dekaden wird die amerikanische Außenpolitik mit ihrem Fokus auf Öffnung von Märkten und Abbau von Handelshemmnissen der wichtigste Verbündete amerikanischer Tech-Unternehmen. Die heutige IT-Technologie basiert weltweit auf denselben Standards – das ist alles andere als selbstverständlich – hatte es doch in der Sowjetunion (zu späte) Bestrebungen gegeben, einen eigenen “IT-Stack” zu bauen. Verkürzt könnte man also sagen, dass die Technologien des Internets im Kalten Krieg entstanden sind, die globale Expansion eines einheitlichen IT-Stacks jedoch der US-Hegemonie nach 1990 zu verdanken ist.

Tech-Unternehmen haben sich den politischen Realitäten des unipolaren Moments perfekt angepasst. Die Blaupause dazu lieferte 2006 Sam Palmisano, damaliger CEO von IBM, in einem Artikel in “Foreign Affairs”: Palmisano beschreibt das “Globally Integrated Enterprise” (GIE) – ein hyper-effizientes Netzwerk, das seine Wertschöpfungskette global optimiert hat. Für Palmisano ist das GIE die “Endstufe” in der langen Geschichte des privaten Unternehmens – quasi das privatwirtschaftliche Organisations-Äquivalent von Francis Fukuyamas Hypothese des “Endes der Geschichte”. Weil Palmisano das GIE in diesem Kontext sieht, kann er dessen Zeitgebundenheit nicht sehen: Das Ganze funktioniert nur in einem sehr spezifischen internationalen Umfeld – nämlich in einer von einer globalen Supermacht garantierten Freihandelsordnung.

Die US-Regierung ist nicht mehr bester Verbündeter von Big Tech

Sprung ins Jahr 2024: In Washington ist “Freihandel” zum Schimpfwort geworden. Präsidentschaftskandidaten überbieten sich mit Tiraden gegen die WTO und Freihandelsabkommen. Robert Lighthizer, US-Handelsbeauftragter unter Trump und womöglich Teil des Kabinetts einer zweiten Trump-Administration, veröffentlicht eine Abrechnung mit dem Titel “No Trade is Free”. Auf regulatorischer Ebene hat sich ein ganzes Arsenal an geopolitisch motivierten Handelsbeschränkungen gebildet. Exportverbote für Halbleiter und künstliche Intelligenz oder Quantencomputer stehen dabei ganz oben auf der Prioritätenliste. Die Abkehr vom Freihandel und der Fokus auf Exportkontrollen für Hightech-Produkte stehen im Kontext der geopolitischen Spannungen mit China. Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die USA eine Strategie des “Tech Containment” gegenüber China verfolgen: Statt die globale Expansion digitaler Technologien zu fördern, geht es nun darum, deren Verfügbarkeit gezielt einzuschränken. China reagiert auf dieses Tech Containment mit Investitionen in einen eigenen, von westlicher Technologie unabhängigen “IT-Stack”. Damit passen sich digitale Technologien der geopolitischen Machtstruktur an: Der unipolare Moment – und mit ihm der global einheitliche IT-Stack – sind Geschichte. Für die Tech-Branche ergibt sich damit eine grundlegend neue Situation: Die US-Regierung ist nicht mehr bester Verbündeter. Klare Interessengegensätze werden deutlich: Viele US-Unternehmen sind in China engagiert – Hightech-Unternehmen wie Qualcomm, Apple, Western Digital, Texas Instruments oder Nvidia erwirtschaften dort einen erheblichen Teil ihres Gewinns.

Dass eine globale Supermacht zunächst den Freihandel fördert, dann aber auf Protektionismus umschwenkt, um sich gegen eine aufstrebende Supermacht zu wehren, dürfte Europäern bekannt vorkommen. Ende des 19. Jahrhunderts waren es Großbritannien als etablierter Hegemon und das Deutsche Reich als Herausforderer, die nach dem gleichen Drehbuch agierten. Besonders interessant aus heutiger Sicht war dabei das sich wandelnde Verhältnis zwischen Regierung und Unternehmen: Während die deutsche Industrie und der Kaiser weitgehend die gleiche Agenda verfolgten – globale Expansion -, führte die von der britischen Regierung gegen Deutschland verhängte Handelsblockade zunehmend zu Konflikten mit der britischen Wirtschaft. Die “City of London” war weiterhin an Geschäften mit Deutschland interessiert – trotz der geopolitischen Spannungen. Die Argumente klingen vertraut: Während die Abgrenzungsbefürworter auf die Gefahren von wirtschaftlichen Abhängigkeiten hinwiesen, argumentierten die Wirtschaftsvertreter, dass gegenseitige Abhängigkeiten konflikthemmend wirken.

Reaktionen: Geopolitische Optimierung vs. Skandalisierung

Unternehmen agieren pragmatisch, nicht ideologisch. Aus Sicht der Unternehmen stellen regulatorische Eingriffe wie Exportkontrollen ein Unternehmensrisiko dar – und werden dementsprechend gemanagt. Auf taktischer Ebene werden bekannte Instrumente des unternehmerischen Risiko-Managements wie “Enterprise Risk Management” (ERM), “Business Continuity Planning” (BCP) angewandt. Auf struktureller Ebene optimieren globale Tech-Unternehmen ihre Wertschöpfungsketten unter den Voraussetzungen der geopolitischen Interferenz: Um die Anfälligkeit gegenüber Datenexportverboten zu minimieren, werden lokale IT-Infrastrukturen aufgebaut; um den gefürchteten Exportkontrollen für geistiges Eigentum zu entgehen, wird zunehmend “in China für China” geforscht und entwickelt.

Ansgar Baums

Damit bildet sich eine neue Art von Unternehmen heraus, das deutlich anders aussieht als Palmisanos  “Globally Integrated Enterprise” (GIE). Man könnte es “Geopolitical Enterprise” (GPE) nennen – ein globales Unternehmen mit “geopolitischer Schutzschicht”. Zahlreiche Konzerne wie Volkswagen, Continental oder Merck haben bereits öffentlich angekündigt, ihre China-Geschäfte innerhalb des Unternehmens abzuschirmen. Amerikanische Tech-Giganten wie Tesla oder Apple tun dies seit Jahren, sprechen aber nicht darüber. Die Apple iCloud wird in China längst bei China Telecom gehostet, inklusive Zugriff auf Verschlüsselungscodes für die chinesische Regierung.

Diese von den Unternehmen getroffenen Maßnahmen sind legal, widersprechen aber dem Geist des “Tech Containment”. “Bis vor kurzem galt: Was gut für große Tech-Unternehmen ist, ist gut für Amerika – an diese Symbiose glauben nun weder Republikaner noch Demokraten”, erzählt mir Bruce Mehlman, langjähriger Politikberater und DC-Insider, in einem Gespräch. Im US-Repräsentantenhaus agiert das “Select Committee on the Chinese Communist Party” unter ihrem Vorsitzenden Mike Gallagher als “Enforcer” und maßregelt Manager bezüglich ihrer “unpatriotischen” Aktivitäten in China. In einem Interview mit “Politico” lässt er sich mit “Machete statt Skalpell” zitieren. Gallagher stellt Unternehmen regelmäßig Patriotismus-Zeugnisse aus.

Ära des geopolitischen CEO?

Dass die zum Teil sehr persönlichen Angriffe gegen globale Unternehmen vor allem von der republikanischen Seite kommen, zeigt, wie wenige Verbündete Unternehmen in Washington noch haben. Jensen Huang, CEO von Nvidia, weist unermüdlich darauf hin, dass Exportkontrollen vor allem US-Unternehmen schaden und Chinas Entwicklung zur Technologie-Parität beschleunigen wird. Die Konsequenz: eine Vorladung in den Kongressausschuss, in dem er Nvidias “geopolitisch optimierte” Chips rechtfertigen soll. Kein Wunder, dass viele Unternehmen eher still halten – insbesondere, da das Szenario einer zweiten Trump-Amtszeit immer wahrscheinlicher wird. Wer wissen will, wie es unter Trump mit der Technologie-Außenpolitik weitergeht, sollte sich das vom konservativen Think Tank Heritage Foundation herausgegebene Buch “Mandate for Leadership” durchlesen – eine Art Grundsatzpapier für eine mögliche zweite Trump-Amtszeit. Trump selber hat im Wahlkampf bereits deutlich gemacht, dass er an seinem Handelsnationalismus festhalten will. Auf einer Veranstaltung in Durham kündigte er bereits an, Zölle auf Importe aus China zu erhöhen – auf viel Zuspruch dürfen Tech-Unternehmen also nicht vertrauen.

Der Politikberater Mehlman sieht dennoch die Unternehmen in der Bringschuld: “Auch wenn es schmerzhaft ist: Tech-Unternehmen müssen diese unintendierten Konsequenzen von Handelsprotektionismus erklären – das kann ihnen keiner abnehmen.” Tech-CEOs werden sich kaum danach sehnen, in Washington präsent zu sein – es wird aber Teil der “Job Description” sein. Beneiden sollte man den “geopolitischen CEO” darum nicht.

Ansgar Baums war Helmut-Schmidt-Fellow des German Marshall Fund of the United States 2023. Er ist zudem Mitglied der Atlantik-Brücke und berät Unternehmen zum Thema geopolitisches Risikomanagement. Derzeit arbeitet er an seinem neuen Buch „Tech Cold War“.

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