„Die Weichen für eine zeitgemäße NATO-Allianz sind gestellt“

Unsere Geschäftsführerin Julia Friedlander sprach beim Berliner Bankensymposium (25.09.2025) über Amerikas unbequeme Wahrheiten, neue Regeln für den globalen Handel und Deutschlands künftige Rolle in der NATO.
Von Julia Friedlander
Vor knapp zwei Wochen wurde ich bei einer Podiumsdiskussion gefragt, ob Trump gut oder schlecht für Europa sei. Ich ging auf die Provokation ein und sagte eindeutig „Ja“. Nachdem das Publikum die obligatorischen Zwischenrufe gemacht hatte, haben alle meine Mitdiskutanten, von denen keiner ein Fan des US-Präsidenten ist, mir rhetorisch Rückendeckung gegeben. Warum? Zwei Stunden später erzählte ich meinem Schwiegervater, einem eingeschworenen Westberliner Pazifisten, bei unserem üblichen Sonntagskaffee und Kuchen von dieser Dynamik, und seine Antwort lautete: „Damit wir den Hintern hochkriegen!“
Wir sind auf dem Weg zu einer neuen Allianz, die weder auf einseitiger Abhängigkeit von amerikanischen Verteidigungsdominanz noch auf der Aufrechterhaltung der WTO-Handelsregeln basiert, sondern auf sich gegenseitig verstärkenden Fähigkeiten und Möglichkeiten im Handel und in der Verteidigung. Ich sage nicht, dass der Weg dorthin einfach sein wird. Ich werde im Laufe dieses Vortrags noch einige Dinge beklagen, aber ich bleibe meinem Optimismus treu.
Eine überfällige Auflösung der Komfortzone
Die Atlantik-Brücke wurde nicht von einer Gruppe blauäugiger Romantiker gegründet, sondern von einigen unerschrockenen deutschen Juden, die nach dem Krieg in ihre Heimat zurückkehrten. Deutschland lag in Trümmern, und der einzige Weg zurück zu Wachstum und Wohlstand bestand darin, sich eng an die Besatzungsmacht, den Hegemon, zu binden. Es gab keine andere vernünftige geopolitische Alternative, als den weiteren Einfluss der Sowjetunion zu riskieren.
Unsere Gründer trugen maßgeblich dazu bei, die Truman-Regierung davon zu überzeugen, Westdeutschland den Marshall-Plan zu gewähren und die neue Bundesrepublik nur wenige Jahre später in die NATO aufzunehmen. Das war gute Realpolitik. Nach der Wiedervereinigung verloren solche Verhältnisse jedoch zunehmend an Bedeutung. Doch diese Dynamik, in der sich die USA als Weltpolizist fühlen und Europa weiterhin lenken, weil es sich gut anfühlte, während Europa die Früchte der Abhängigkeit in Sicherheitsfragen und die Unabhängigkeit in der freien Wirtschaft genießen konnte, auch weil es sich so gut anfühlte, bedeutete, dass niemand es wagte, diese Abhängigkeit zu durchbrechen.
Als Deutschland zum drittgrößten Wirtschaftssystem der Welt aufstieg und die Europäische Union konsolidierte, wurden die EU eine Handels- und Regulierungsmacht und die Welt multipolar – und zwar viel schneller, als den US-Politikern bewusst war. Institutionen wie die Vereinten Nationen und die WTO, die Amerika nach seinem Vorbild als multilaterale Institutionen geschaffen hatte, damit sie in seinem Sinne handeln, handelten plötzlich nicht mehr in diesem Sinne. Aber die USA bezahlten weiterhin die Rechnung für diese Institutionen, kauften sich die Loyalität, die es in vielen Fällen nicht mehr gab, oder nahmen die Rolle der USA als wohlwollender Geldgeber als selbstverständlich hin.
Die meisten europäischen Politiker bezeichnen die EU in öffentlichen Reden in erster Linie als ein Friedensprojekt. Oder sie kritisieren die Bürokratie, obwohl sie insbesondere seit dem Vertrag von Lissabon sehr wohl wissen, dass es sich um einen Mechanismus handelt, um global zu konkurrieren – auch mit dieser mutmaßlich wohltätigen Hegemonialmacht auf der anderen Seite des Atlantiks. Deshalb sagt Trump im Übrigen, dass „die EU gegründet wurde, um die Vereinigten Staaten auszunehmen.“
Wirtschaftsliberale in Amerika wie ich haben die EU immer bejubelt – wir wollen überall starke, hochentwickelte Märkte, die zu einer allgemeinen Steigerung des Wohlstands der Bürger führen. Aber die neuen Eliten in Amerika sagen: Nicht so schnell! Wie können sie es wagen, unsere Unternehmen zu regulieren? Wir haben Europa schließlich seit 80 Jahren davor bewahrt, von Russland aufgefressen zu werden?
Amerikas unbequeme Wahrheiten
Als die USA noch eine unangefochtene Hegemonialmacht waren, spielte all dies keine so große Rolle. Jetzt aber muss sich das Land mit seinem eigenen Verlust an Wirtschaftsmacht abfinden, und es tut dies auf eher unelegante Weise. Glauben Sie mir also, wenn ich sage: Die Zoll-Erpressung der Trump-Regierung ist kein Zeichen amerikanischer Stärke, sondern ein Zeichen amerikanischer Schwäche.
Da die internationalen Institutionen nicht die Ergebnisse liefern werden, die der amerikanischen Regierung gefallen, wird das Land auf die nächstbeste Lösung zurückgreifen – und darin ist Trump ein Experte: Er identifiziert Schwachstellen, bei denen ihm ein unverhältnismäßiger Einfluss gelingt, und nutzt sie aus. Das kann man aber nur ein- oder zweimal machen, danach hat der Drache sein Feuer verschossen. Bedenken Sie, dass die EU in ihren jüngsten Verhandlungen mit den USA zwar bei den Zöllen nachgegeben, aber an ihren heiligsten Vorschriften festgehalten hat, nämlich dort, wo sie einen strategischen Vorteil hat, in den Bereichen Landwirtschaft und Daten.
Warum hat die US-Regierung das Verteidigungsministerium in Kriegsministerium umbenannt? Als ich das las, musste ich ehrlich gesagt lachen: Wie unselbstbewusst kann man wirken? Braucht Amerika wirklich diese Selbstbestätigung, dass wir einen Krieg führen können? Muss Pete Hesgeth, der aktuelle Verteidigungsminister, uns alle seine Kriegstattoos zeigen, um uns zu beweisen, dass er ein Krieger ist? Das ist wie ein Signal an China, dass wir uns bedroht fühlen.
Diese Selbstvertrauenskrise passt gut zu Trumpland. Sie entspricht seiner Neigung, die Weltwirtschaft wie einen Auftragnehmer für ein Casino in Atlantic City zu behandeln, ich glaube jedoch nicht, dass es prädestiniert war, dass seine persönlichen Taktiken eine breitere Anziehungskraft gewinnen würden. Derzeit gibt es wenig Widerstand gegen sein „Dealmaking“, da mehrere US-Administrations versucht haben, die Vorherrschaft Amerikas mit anderen Mitteln aufrechtzuerhalten – mit gemischten Ergebnissen.
Was China betrifft, so versuchte sowohl die erste Trump-Regierung, der auch ich angehörte, als auch später die Biden-Regierung, auf das große amerikanische Zelt zu setzen – Near-Shoring und Ally-Shoring kritischer Industrien, bei denen die Grenze zwischen ziviler und militärischer Nutzung bestenfalls undefiniert bleibt.
„Die Zoll-Erpressung der Trump-Regierung ist kein Zeichen amerikanischer Stärke, sondern ein Zeichen amerikanischer Schwäche.“
Das prominenteste Beispiel war die regierungsweite Regulierungsinitiative in Form von Exportkontrollen und Investitionsbeschränkungen, mit der Chinas Entwicklung fortschrittlicher Chips verlangsamt werden sollte – genau die Chips, die Pekings Aggression gegen Taiwan erleichtern würden. Sie erinnern sich sicherlich an Bidens Druckmittel gegenüber ASML in den Niederlanden und TSMC in Taiwan, um deren Exporte nach China einzudämmen. Dies führte zu komplizierten Compliance-Problemen, einer massiven Umgehung durch Drittländer und einer Verdopplung der eigenen Forschungs- und Entwicklungsbemühungen Chinas, was schließlich in der Veröffentlichung von DeepSeek gipfelte. Strategisch gesehen war es einen Versuch wert, aber nur wenige Jahre später sehen wir, wie naiv solche Maßnahmen sind oder dass wir einfach zu spät dran waren.
Die Biden-Regierung versuchte sogar, einen „Gipfel der Demokratien“ zu organisieren, mit denen wir im Idealfall unsere Wirtschaft „alliancieren“ würden. Das Ganze wurde zu einem spektakulären Misserfolg, da die USA unseren standhaften, in Sachen Demokratie jedoch unvollkommenen NATO-Verbündeten Polen unter Kaczyński einluden, Ungarn hingegen nicht. Ich glaube, das war das letzte Mal, dass die USA darüber entschieden hat, wer zu so einer Party kommen darf.
Letzte Woche hielt eine Gruppe von Think-Tank-Mitgliedern aus Washington meinem Team einen Vortrag. Sie erklärten uns, dass wir Südafrika an den Verbund aus China, Russland und Iran „verlieren.” Sie hatten sicherlich Recht und haben damit einen beunruhigenden politischen Trend identifiziert. Sie taten dies jedoch durch die traditionelle Brille von Gut und Böse. Das setzt voraus, dass diese Länder die Welt in einer solchen Dichotomie zu verstehen wissen und dass die USA überhaupt die Autorität haben, die Aufteilung vorzunehmen.
Neue „Regeln“
Vor diesem Hintergrund verspürt man eine seltsame Erleichterung angesichts des amerikanischen Transaktionalismus. Die amerikanische Rhetorik, die militärische Interventionen im Namen der Demokratie rechtfertigt, und sogar die Einzigartigkeit unseres eigenen politischen Experiments preist, ist zu einer hohlen, fast schon augenverdrehenden Rhetorik verkommen. Wenn Sie wie ich zur Millennial-Generation gehören, werden Sie wahrscheinlich auf die Finanzkrisen verweisen, durch die das Einkommens- und Sparpotenzial einer ganzen Generation zunichte gemacht wurde und durch die Millionen von Familienhäusern zwangsversteigert wurden, während die Banken gerettet wurden. Oder sie bemerken, dass Ihre Generation zwei endlose Kriege geführt hat, die mit dem Rückzug der Amerikaner endeten.
Angesichts der schmerzlich spürbaren Kluft zwischen Arm und Reich, der Inflation und den Zinssätzen, die abwechselnd die Arbeiterklasse und die Mittelschicht treffen, fragen sich viele: Ist es das, was die Amerikaner als außergewöhnlich bezeichnen? In diesem Zusammenhang ist es nur ehrlich, wenn Amerika sagt: Wir legen unsere Karten auf den Tisch, wenn Ihr auch eure offenlegt.
Aussagekräftig ist auch Amerikas Drift zum staatlich gelenkten Kapitalismus. Europäische Unternehmen können darin einen seltsamen Trost finden, dass Trumps Erpressungstaktiken nicht nur ausländische Partner treffen. Auch im Inland gibt es viele Transaktionsgeschäfte zu tätigen. Es ist beispiellos, dass ein amerikanischer Präsident „Golden Shares” verlangt, um eine ausländische Übernahme zu genehmigen oder eine staatliche Subvention zu verlängern, wie im Fall von Nippon Steel und Intel, oder einen Anteil am Gewinn zu verlangen, um die Exportlizenz von NVIDIA nach China zu genehmigen.
Die Regierung droht auch Unternehmen, die Fabriken im Mittleren Westen schließen, mit verschiedenen Strafen. Der unter der Biden-Regierung verabschiedete parteiübergreifende „Chips and Science Act” bot Steueranreize und Darlehen für Chiphersteller, die in den Vereinigten Staaten produzierten und Arbeitsplätze schufen. Das war das Zuckerbrot. Trump versucht es mit der Peitsche.
In Trumps Welt laufen Unternehmen Gefahr, in die Vetternwirtschaft und einen Treuekult abzugleiten. Trumps Definition von legal und illegal ist, was er sich erlauben kann und was nicht. Und wer eine Bitte mit Lobpreisungen verbindet, bekommt in der Regel grünes Licht. Wenn wir eine Art – verzeihen Sie mir den Vergleich – europäischer Verstaatlichung ausprobieren, indem wir Anteile an ausgewählten problembehafteten Branchen übernehmen, dann wünsche ich mir auf jeden Fall einen besseren Anführer für Amerika.
„Der globale Handel erweist sich als überraschend widerstandsfähig, die Nachfrage ist robust und die Kunden sind bereit, einen gewissen Preisaufschlag zu akzeptieren.“
Ehrlich gesagt hätte ich nie erwartet, dass es derart viele inhaltliche Übereinstimmungen zwischen Trump und Biden geben könnte. Dieses Phänomen lässt sich allerdings gut mit der politischen Hufeisentheorie erklären. Einige von Bidens linksgerichteten Handelsberatern begrüßen Trumps Maßnahmen – nicht den Mann, sondern die Maßnahmen. Warum? Trump beruft sich auf den staatlich gelenkten Kapitalismus, um Mängel in strategischen Sektoren zu erklären, in denen marktorientierte Entscheidungen zu Ergebnissen geführt haben, die nicht mit den Beschäftigungszielen oder der nationalen Sicherheit in Einklang stehen. Ich habe lange argumentiert, dass die Grenze zwischen nationaler Sicherheit und Wirtschaftspolitik künstlich gezogen wurde. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz stellte in seiner Eröffnungsrede zur diesjährigen Botschafterkonferenz fest, dass es keine Grenze zwischen Außen- und Innenpolitik gibt.
Während wir uns mit der neuen Industriepolitik der westlichen Welt auseinandersetzen, versuchen Handelsökonomen herauszufinden, welche mittel- oder langfristigen Auswirkungen die Flutwelle der Marktstörungen – Krieg in der Ukraine, Corona, chinesisches Dumping, Trump – auf die Lieferketten hat. Einige meiner Freunde entwickeln genau zu diesem Zweck Tools für künstliche Intelligenz, denn die Vielzahl der Faktoren übersteigt die Möglichkeiten von Excel-Tabellen bei Weitem.
In mancher Hinsicht erweist sich der globale Handel als überraschend widerstandsfähig, die Nachfrage ist robust und die Kunden sind bereit, einen gewissen Preisaufschlag zu akzeptieren. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine Anpassungen gegeben hat. Versorgungssicherheit, politische Unruhen und Bedenken hinsichtlich des Transports haben zu einer Regionalisierung der Märkte geführt. Entlang der Küsten des Indischen Ozeans, in Südostasien und im Nahen Osten entstehen begrenzte Ad-hoc-Handelsabkommen. Vermutlich fällt keines dieser Mini-Abkommen unter die Meistbegünstigungsklausel der WTO. Sie ähneln vielmehr denen der Seidenstraße.
Entsteht hier gerade ein neuer Rahmen für globale Handelsregeln? Die jüngeren Annäherungen zwischen China, Japan und Südkorea zeigen, wie gemeinsame wirtschaftliche Interessen unabhängig von geopolitischen Dissonanzen zur Entwicklung neuer Handelsstandards beitragen können. Der positive Aspekt wäre, dass sich im Laufe der Zeit eine neue Version der Meistbegünstigungsklausel entwickelt, die nicht auf Preismaximierung, sondern auf Modellen basiert, die es den Ländern ermöglichen, bestimmte heimische Märkte zu schützen. Eine WTO von heute, nicht aus den 80ern.
Es gibt sicherlich Bereiche, in denen das Gesetz des Dschungels und Ad-hoc-Abkommen den Markt dominieren werden, bis neue, nichtstaatliche Börsen zur Regulierung der globalen Preise eingerichtet sind. Beispielsweise wird der Kampf um kritische Mineralien zu einmaligen Vereinbarungen mit China oder zu unternehmensbasierten Vereinbarungen mit Ländern wie dem Kongo und Südafrika führen, es sei denn, ressourcenreiche Demokratien wie Kanada und Australien entwickeln neben den Vereinigten Staaten einen ausgeklügelten Markt- und Preismechanismus. Solche Mechanismen existieren bereits für die Diamantenindustrie sowie für Öl und Getreide.
Vielleicht tragen diese neuen Zweckbündnisse dazu bei, physische Konflikte zu entschärfen. Lassen Sie uns optimistisch bleiben! Es ist wichtig, in der aktuellen Situation nicht nur Problemfelder zu flicken, sondern auch nach vorne zu denken.
Europas Gangwechsel
Europa könnte sogar noch von den amerikanischen Zöllen profitieren, wenn sie in ihrer derzeitigen Form bestehen bleiben, aber dies erfordert umfangreiche interne Reformen und nicht nur neue Handelsabkommen. Dennoch darf die EU nicht die Augen davor verschließen, dass eine globale Regionalisierung stattfindet, und ihre eigenen Maßnahmen verweigern.
Deutschland hat gerade Kanada „entdeckt“, als wären die riesigen natürlichen Ressourcen und der fortschrittliche Fertigungssektor des Landes seit diesem Januar wie Pilze aus dem Boden geschossen. Jedes Mal, wenn ich sehe, wie ein Minister in ein Flugzeug steigt, um Handelsverhandlungen mit einem anderen Teil der Welt aufzunehmen, muss ich ein wenig den Kopf schütteln. Mercosur ist großartig, ebenso wie eine vertiefte Partnerschaft mit Indonesien. Aber es kann doch nicht einfacher sein, ein Handelsabkommen mit einem Land auf der anderen Seite der Welt abzuschließen, als Hindernisse innerhalb des Binnenmarktes der Europäischen Union abzubauen.
Man kann nicht einfach nach anderen Kunden suchen und hoffen, dass die externe Nachfrage die Lücke noch schließt. Das ist nur ein Notbehelf und verschiebt die unvermeidliche Umstrukturierung der europäischen Institutionen, die unter anderen globalen Umständen geschaffen wurden. Wenn Mario Draghi Recht hat und 40 Prozent des europäischen BIP durch interne Handelshemmnisse verloren gehen, dann handelt es sich jetzt um vorsätzliche Fahrlässigkeit.
Wir befinden uns hier auf einem Bankensymposium, daher möchte ich noch einmal auf das Thema Kapitalmärkte zu sprechen kommen. Wann kommt der Schockmoment, der endlich einen Kompromiss auslöst? Die Integration der Kapitalmärkte ist nicht nur ein Wachstumsmotor für Unternehmen und Finanzinstitute, der es ermöglicht, dass der immense Reichtum in Deutschland direkt zum Wirtschaftswachstum beiträgt. Kann man wirklich behaupten, dass europäische Staats- und Regierungschefs wegen unterschiedlicher Insolvenzregeln gezwungen sind, entweder ihre Start-ups an Amerika zu verkaufen oder eine problematische Steuerabhängigkeit aufrechtzuerhalten, nur um die Altersvorsorge der Bürger zu sichern?
„Die Rüstungsindustrie entwickelt sich rasch zum neuen Aushängeschild der europäischen Industrie und zum Rettungsanker für die Deindustrialisierung.“
Es handelt sich nicht nur um ein Thema für die „Eliten“, wie oft behauptet wird. Angesichts der derzeit tobenden Debatte über die Rentenreform haben Politiker die Möglichkeit, dies als eine Frage der Altersversorgung neu zu formulieren. Wenn Sie sich heutzutage Podcasts anhören, werden Sie möglicherweise von einer Werbung für Aktienhandelsplattformen unterbrochen, die über eine Lizenz der litauischen oder irischen Zentralbank Zugang zu den US-Märkten bieten. Die Nachfrage ist offensichtlich vorhanden – warum müssen wir uns auf solche Umgehungslösungen verlassen? Versicherungsanbieter berichten mir, dass Kunden in Scharen zu ihnen strömen, um marktbasierte Rentenversicherungen abzuschließen. Hat der Durchschnittsdeutsche wirklich so viel Angst?
Die Rüstungsindustrie entwickelt sich rasch zum neuen Aushängeschild der europäischen Industrie und zum Rettungsanker für die Deindustrialisierung. Wir alle haben die Schlagzeilen über die Übernahme von Automobilwerken durch Rheinmetall gelesen. Aber wenn man einen militärisch-industriellen Komplex im Wesentlichen von Grund auf neu aufbaut, gibt es Möglichkeiten, Fallstricke zu vermeiden, die die US-Verteidigungsindustrie ineffizient machen – ich spreche von endlosen Ebenen von Auftragnehmern, Subunternehmern und Beratern, langen Wartezeiten und Preisexplosionen, die sich aus einem Oligopol von Anbietern und einem Monopson-Verbraucher, nämlich dem Staat, ergeben.
Die Finanzindustrie hat den Ruf gehört und entwickelt rasch Investmentportfolios, die auf Verteidigung und Infrastruktur abzielen. Angesichts des Interesses von Family Offices und Private Equity an neuen Technologien wie Drohnen und künstlicher Intelligenz können private Akteure hoffentlich Anreize schaffen, um Kosten- und Produktionsüberschreitungen zu vermeiden.
Polen hat gerade mit unglaublich teurem Material die preiswerten Drohnen abgeschossen, die Russland provokativ in den NATO-Luftraum geflogen hat, und damit bewiesen, dass das Bündnis auf den konventionellen Krieg von gestern vorbereitet ist, nicht aber auf den von heute. Und der europäische Verteidigungsmarkt ist nach wie vor ein Wirrwarr aus nationalen Interessen und mangelnder Koordination – welches Land kann welche Fähigkeiten bereitstellen und welches Unternehmen wird dies tun? Wie bauen wir neue Militärkonsortien auf? Ich hoffe, dass die Finanzindustrie, die von Natur aus transnational ist, einen Rahmen bieten kann, der dazu beiträgt, Politiker und Auftragnehmer zusammenzubringen, denn Ministerien leben naturgemäß in Silos und können nur selten über den Tellerrand hinausblicken.
Fazit: Die neue Allianz
Die Weichen für eine zeitgemäße NATO-Allianz sind gestellt. Dies ist kein einfacher Moment. Zwei Gründungsprinzipien der Bundesrepublik werden bis ins Mark erschüttert. Das erste ist die Hegemonie der Vereinigten Staaten, das zweite die Loyalität gegenüber dem Staat Israel. Wie wird dieses Land auf das streitbare, Deal-orientierte Amerika reagieren, das nicht in einem normativen Universum agiert und sich nicht dafür einsetzt, eine „internationale, auf Regeln basierende Ordnung” nach seinem Vorbild aufrechtzuerhalten? Und wie wird Deutschland wirklich reagieren, wenn Israel, wie es derzeit sehr wahrscheinlich scheint, die Westbank und kurz darauf vielleicht auch den Gazastreifen annektiert?
Friedrich Merz hat diese Woche nicht an der UN-Generalversammlung teilgenommen, um innenpolitische Themen anzugehen. Aber seine europäischen Partner sind dort und erkennen einen palästinensischen Staat an, während zwei Ankerstaaten der deutschen Außenpolitik der Nachkriegszeit sich zu zweit zusammenschließen und dem europäischen Ansatz vehement widersprechen.
Deutschland ist der Kern dieser Gleichung. In der Nachkriegszeit und sogar nach der Wiedervereinigung blieben die USA und andere NATO-Verbündete gegenüber der Stärke Deutschlands misstrauisch. Dieses Misstrauen und die Lehren aus der Geschichte prägten verständlicherweise das Bildungssystem und die öffentliche Wahrnehmung der Rolle des Landes in der Welt. Aber irgendwann änderte sich diese Einschätzung für die Partner Deutschlands. Wann war das? Ich denke, der Wendepunkt war ironischerweise die Enthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat im März 2011, bei der Abstimmung über die Militäroperation in Libyen gegen das Gaddafi-Regime.
Das war der Beginn meiner beruflichen Laufbahn, und seitdem kann ich mich an keine Gespräche innerhalb der US-Regierung erinnern, in denen es darum ging, Deutschland klein zu halten – ganz im Gegenteil. Aus der Enttäuschung der Amerikaner wurden Erwartungen. Deutschlands Verzicht auf Verantwortung war zu seiner größten Belastung auf der transatlantischen Bühne geworden. Deutschland hielt jedoch an der ursprünglichen Erzählung fest, vielleicht weil sie eigennützig war oder weil sie noch nie so klar dargelegt worden war wie jetzt durch Russland.
Wenn Deutschland sich entschlossen von diesen alten Abhängigkeiten lösen kann, Schritt für Schritt, dann verlieren wir auch einen Teil unserer Ressentiments gegenüber Amerika, selbst gegenüber Trumps Amerika.
Amerika ist kein Phänomen, es ist ein Land, und es steckt in Schwierigkeiten. Ich hoffe, dass Europa durch die Mitgestaltung eines neuen Gleichgewichts in unserer multipolaren Welt dazu beitragen kann, Amerika aus seiner gegenwärtigen Orientierungslosigkeit herauszuhelfen.
Vielen Dank für Ihre Zeit! Ich freue mich darauf, dieses Thema weiter mit Ihnen zu diskutieren.