Unterwegs in Trumps Amerika

„Unter Trump tanzte uns niemand auf der Nase herum“

Von Martin Klingst

Foto: Katharina Draheim

Das ebenerdige Farmhaus der Bartels samt ochsenblutrot gestrichener Scheune steht in einem kleinen Tal in Richland County, unweit des Mississippi Rivers, im Südwesten des US-Bundesstaats Wisconsin. Grüne Hügel, reißende Bäche, Wälder voller Eichen- und Ahornbäume – eine Landschaft wie gemalt.

Kay und Dick Bartels sind Bauern. Oder besser gesagt: Sie waren Bauern. Seit etlichen Jahren sind sie im Ruhestand. Kay Bartels ist 72, ihr Mann Dick 76 Jahre alt. Sie kommen gut zurecht mit ihrer Rente und dem zusätzlichen Geld, das sie mit der Verpachtung ihrer Felder verdienen. Dick Bartels, ein kräftiger, bärtiger Mann, arbeitete 42 Jahre lang als Käsemacher in einer großen Molkerei. Seine Festanstellung garantierte der Familie eine gute Krankenversicherung, sein regelmäßiges Einkommen sorgte dafür, dass immer genug Essen auf dem Tisch stand.

Derweil bewirtschafte Kay Bartels, eine stämmige Frau mit einem gewinnenden Lächeln, den Hof und zog die vier Kinder, drei Söhne und eine Tochter, groß. 21 Milchkühe hatten die Bartels zum Schluss. Als Kay Bartels die 50 überschritt, war sie ausgebrannt. Außer Landwirtschaft hatte sie nichts gelernt, aber sie ist sehr geschickt, konnte Drähte wickeln und heuerte bei einer Firma an, die Motoren prüft. Dort blieb sie, bis sie 60 war. Die Bartels sind stolz auf das, was sie geschaffen haben. Alle Kinder wohnen in der Nähe und haben gute Jobs. Die Enkel sind oft zu Besuch und tollen über die Wiesen und Felder.

Das erste Mal traf ich die Bartels im Frühjahr 2018, als ich sie für mein bei Reclam erschienenes Buch „Trumps Amerika. Reise in ein weißes Land“ interviewte. Kay Bartels sagte damals, weil die Demokraten sich für „die hart arbeitenden Menschen“ einsetzten, wählten ihre Eltern stets die Demokraten. Also machte auch Kay Bartels lange Zeit ihr Kreuz bei ihnen. Da ihr Mann Dick als Käsemacher in der Gewerkschaft war, kam für ihn früher ebenfalls keine andere Partei in Frage. Doch 2016 und 2020 stimmten beide für den Republikaner Donald Trump, weil sie sich „als kleine Leute“ von den Demokraten im Stich gelassen fühlten. Bei meinem zweiten Besuch, im April 2022, sagten Kay und Dick Bartels, sie würden Trump auch ein drittes Mal wählen.

Richland County ist mitnichten ein Spiegelbild der Vereinigten Staaten. Dort leben gerade einmal 20 000 Menschen, die meisten sind Farmer, Handwerker und Arbeiter – und sie sind zu 97 Prozent weiß. Alles spricht dafür, dass die Wählerinnen und Wähler hier die Republikaner bevorzugen. Doch wie die sich in dieser Hügelwelt windenden Straßen schlagen auch die Leute von Richland County mal die eine, mal die andere Richtung ein. Und was sie für Wahlforscher besonders interessant macht: Seit 1980 stimmten sie verlässlich für den Sieger der Präsidentschaftswahl. 2008 und 2012 gewann Barack Obama, 2016 Donald Trump. 2020 jedoch wurde das Gesetz der Serie gebrochen und die Mehrheit in Richland County wählte wieder Donald Trump, obwohl der Sieger – auch im Bundesstaat Wisconsin – Joe Biden hieß.

Die Welt um die Bartels herum hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Viele Bauern sind fortgezogen, weil der Ertrag zu gering wurde oder ihre Nachkommen die Farm nicht übernehmen wollten. Zwischen die Hügel passen keine großen Felder. Die meisten Bauern halten darum, wie einst die Bartels, Kühe. Wisconsin ist Amerikas Molkerei.

Verkauft werden Haus und Hof immer öfter an die Amischen. Die Vorfahren dieser streng religiösen täuferisch-protestantischen Glaubensgemeinschaft wanderten im 18. und 19. Jahrhundert aus Süddeutschland und der Schweiz nach Amerika aus. Sie sind gute Bauern und Handwerker, führen ein genügsames Leben und lehnen die meisten modernen Techniken ab. Kay Bartels schätzt diese neuen Nachbarn sehr und lud sie vor der Corona-Pandemie regelmäßig zu ihrem jährlichen Hoffest ein.

Das folgende Gesprächsporträt ist ein Konzentrat aus den zwei Interviews, die ich mit Kay Bartels 2018 und 2022 geführt habe.

„Die Amischen sind rechtschaffene, hart arbeitende Leute. Anders als viele junge Leute halten sie nicht die Hand auf, die Amischen wollen kein Geld vom Staat. Schauen Sie sich doch mal hier um in Richland County. Die Zeitungen und Anzeigenblätter sind voll mit Stellenangeboten, mit gut bezahlten Jobs. Die Molkereien bieten bis zu 30 Dollar die Stunde, manche sogar noch mehr. Trotzdem finden sie keine Leute. Viele aus der jungen Generation möchten keine körperliche Arbeit mehr verrichten, sie wollen ihr Geld mit dem Smartphone oder Tablet verdienen.

Natürlich merke ich, wie derzeit die Inflation steigt und die Lebensmittel teurer werden. Aber wir sind sparsame Menschen und Schnäppchenjäger. Außerdem kann man hier in der Gegend nicht viel kaufen. Ein paar Kilometer weiter weg, in Richland Center, gibt es einen großen Walmart, das ist der einzige Supermarkt weit und breit. Es ist eine Schande, aber die Stadtverordneten haben offenbar keine Konkurrenz zugelassen.

Das Nötigste kaufe ich sowieso in den Läden der Amischen ein. Die haben, was wir brauchen. Manchmal gibt es Ware, die das Haltbarkeitsdatum überschritten hat, um ein, zwei Tage vielleicht. Aber das macht nichts, die Sachen sind immer noch gut. Die Amischen sind auch hervorragende Tischler und Zimmerer. Zum Beispiel unser Nachbar John, der gerade eine große Scheune für einen unserer Söhne baut.

John und seine Kinder kommen uns auch immer mal wieder besuchen, natürlich mit Pferd und Wagen, denn die Amischen fahren ja kein Auto. Weihnachten vor einem Jahr hat die Familie ein schwerer Schicksalsschlag ereilt. John transportierte Holz auf einem Gefährt, als einer seiner kleinen Söhne beim Rangieren vom Wagen fiel. John sah ihn nicht und überrollte ihn. Der Sohn war tot. Schrecklich. Wir waren auch tief betroffen.

Ich bin auf einer Farm aufgewachsen, meine Eltern hielten Milchkühe und bauten Gurken und Tabak an, richtig guten Tabak. Als ich Dick kennenlernte, absolvierte er gerade an einem College eine landwirtschaftliche Ausbildung. Wir wollten Bauern werden und kauften Land. Aber womit fängt man an? Wir wurden Rinderzüchter, aber hatten kein Glück, weil damals die Fleischpreise in den Keller rutschten. Zum Glück hatte Dick einen guten Job in der Molkerei, sodass die Haushaltskasse immer gefüllt war. Aber von seinem Gehalt allein konnten wir die Farm nicht halten, sie musste auch selbst etwas abwerfen. Also kauften wir Milchkühe. Das hat sich rentiert, wir wurden richtig gute Milchbauern.

Wir, habe ich wir gesagt? Die meiste Zeit musste ich den Hof allein bewirtschaften. Ich habe die Kühe gemolken, sie gefüttert, auf die Weide und zurück in die Scheune getrieben. Ich habe die Felder bestellt, das Heu gemäht – und nebenbei vier Kinder zur Welt gebracht und großgezogen. Natürlich hat mir Dick nach Kräften geholfen, aber in der Molkerei hatte er Schichtdienst, ich konnte ihn für die Hofarbeit nie fest einplanen. Doch seine feste Anstellung war ein Glück, wir waren kranken- und sozialversichert.

Als Barack Obama Präsident wurde und sein Obamacare einführte, war auch Dick anfangs dafür. Wie Obama war er der Ansicht ist, dass jeder Mensch eine bezahlbare Krankenversicherung haben sollte. 2008 habe ich auch Obama gewählt. Er versprach hope und change – und Veränderungen brauchten wir dringend. Amerika ging es wirtschaftlich verdammt schlecht, die Finanzhaie aus der Wall Streets hatten uns in den Ruin getrieben. Doch ich war schnell von Obama enttäuscht, er hielt seine Versprechen nicht. Auch hatte ich gedacht, er würde mehr für die Schwarzen tun. Doch uns und auch den Afroamerikanern ging es wirtschaftlich besser unter Trump.

Es heißt, Trumps Steuersenkungen hätten nur den Reichen genützt. Ich habe einen meiner Söhne gefragt, ob er irgendeinen Vorteil davon hat. ‚Ja, Mama‘, hat er geantwortet. Er ist Elektriker und hat nun mehr Gehalt auf seinem Lohnzettel. ‚Bloße Brotkrumen‘ nannte das die Demokratin Nancy Pelosi, die derzeitige Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus. Die hat gut reden, sie ist ja Multimillionärin.

Es stört mich, dass Politiker, wenn sie irgendwann ihr Amt niederlegen, reich werden. Ja, ja, ich weiß, auch Trump ist sehr reich. Aber nicht wegen der Politik. Trump ist vielleicht auf andere Weise krumm, fast jeder, der so vermögend wird, hat hier und da dunkle Sachen gemacht. Aber Trump hat seinen Reichtum nicht mit der Politik verdient.

Trump hat sich auf jeden Fall für uns kleine Leute interessiert. Für viele Demokraten sind wir bloße rednecks, ungebildetes Landvolk, das man getrost vergessen kann. Mir gefällt, dass er geradeheraus und unverschnörkelt redet, so wie der Menschenschlag hier in Richland County. Und dass er vor niemandem kuscht. Euch Europäer, euch Deutsche hat er doch auch dazu gebracht, ein bisschen mehr Geld in die NATO-Kasse einzuzahlen.

Apropos Ukraine, irgendetwas ist da meiner Meinung nach komisch mit diesem Krieg. Ich kann es nicht belegen, dafür bin ich nicht klug genug, aber mein Gefühl sagt mir, irgendetwas stimmt nicht. Ist die Ukraine vielleicht auch ein schmutziges Land?

Ja, ja, ich höre Ihren Einwand, Sie sagen, allein Putin sei der Aggressor und drohe dem Westen sogar mit der Atombombe. Aber glauben Sie nicht, dass sich Putin ebenso vor einer nuklearen Eskalation fürchtet? Mit Verlaub, der Kerl hat davor doch genauso große Angst. Ich bin überzeugt, wenn Trump noch im Weißen Haus säße, wäre der Krieg nicht passiert. Trump wusste, wie man Putin unter Kontrolle hält, auch den anderen Kerl in Nordkorea und bestimmt auch den in China. Damals war die Weltlage nicht so angespannt wie jetzt unter dem demokratischen Präsident Joe Biden.

Unter Trump tanzte uns niemand auf der Nase herum und wir Amerikaner waren energieunabhängig. Überall wurde Gas und Öl gefördert, auch in Alaska. Biden hat jedoch viele Projekte gestoppt, das ist schlecht für uns und unsere Wirtschaft. Aber besser fürs Klima, sagen Sie? Wir wissen doch inzwischen, wie man saubere Kohle und sauberes Öl produziert.

Natürlich verändert sich das Klima, das merken wir auch hier in unserem kleinen Tal, es ist trockener geworden. Letztes Jahr im Sommer hatten wir hier in Wisconsin einen heftigen Tornado. Er fegte durch ein Tal, in dem meine Schwester wohnt, stürmte über den nächsten Hügel und zerstörte das Haus meines Bruders. Das war schlimm. Aber wir tun hier in Wisconsin auch viel fürs Klima. Auf dem Grundstück unseres einen Sohnes sind viele Eschen eingegangen, nun will er 11 000 neue Bäume pflanzen, hauptsächlich Eichen und Kiefern, das ist doch was.

Mir gefällt auch, dass Trump die Mauer weitergebaut hat. Oft wird behauptet, wer das gutheißt, sei ein Rassist. Was für ein Quatsch. Mir sind Einwanderer willkommen, jedenfalls wenn sie legal nach Amerika gelangen. Ich liebe Mexiko und war bis vor Kurzem noch fast jedes Jahr dort. Aber wenn Bürgermeister der Demokratischen Partei Städte wie Chicago, New York oder Los Angeles zum Schutzgebiet für illegale Einwanderer erklären, bleibt mir die Spucke weg. Ich bin in dem Bewusstsein großgeworden, dass alle Menschen die Gesetze achten müssen und dass die Demokraten für Recht und Ordnung eintreten. Nicht wir kleinen Leute aus dem Mittleren Westen haben der Demokratischen Partei den Rücken gekehrt. Nein, umgekehrt: Die Demokraten haben uns verlassen.

Sie sagen, vor vier Jahren, als wir uns das erste Mal getroffen haben, hätte ich gesagt, ich habe Trump gewählt, obwohl er mir als Mensch nicht sonderlich sympathisch sei? Möglich. Jetzt mag ich ihn aber.

Lesen Sie die Einleitung zur Reihe „Unterwegs in Trumps Amerika“ hier.

Martin Klingst ist Senior Expert & Nonresident Author bei der Atlantik-Brücke. Zuvor war er unter anderem Leiter des Politikressorts, USA-Korrespondent und Politischer Korrespondent bei der ZEIT. Im Bundespräsidialamt leitete er anschließend die Abteilung Strategische Kommunikation und Reden. Beim German Marshall Fund of the United States ist Martin Klingst Visiting Fellow. Mehr Informationen über Martin Klingst und seine Arbeit finden Sie auf seiner Website.

Die Beiträge unserer Gastautorinnen und -autoren geben deren Meinung wieder und nicht notwendigerweise den Standpunkt der Atlantik-Brücke.

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