Unterwegs in Trumps Amerika

„Ich habe ein Herz für die kleinen Leute“

Von Martin Klingst

Foto: Katharina Draheim

Das erste Mal begegnete ich Nancy Anderson aus Hot Springs, Arkansas, Ende 2013, von Donald Trump war damals noch keine Rede. Unser Treffen hatte einen ganz anderen Grund: Als eine der ersten Schulleiterinnen Amerikas hatte die Südstaatlerin beschlossen, sich und eine Handvoll Kollegen der Cutter-Morning-Star-Schule zu bewaffnen, um im Notfall ihre Schülerinnen und Schüler verteidigen zu können. Als ZEIT-Korrespondent in den USA wollte ich mir ein Bild davon machen.

 Ein Jahr zuvor, am 14. Dezember 2012, war ein 22-jähriger Mann 2000 Kilometer nördlich von Hot Springs, in der Stadt Newtown in Connecticut, mit einem halbautomatischen Gewehr durch eine Grundschule gestürmt. 154-mal drückte er den Abzug, zwanzig Kinder und sechs Schulangestellte starben, ehe der Attentäter sich selbst tötete. Zuvor hatte er zu Hause auch seine Mutter erschossen.

Am Tag nach dem Amoklauf lud Nancy Anderson in ihrer Schule zu einer Gedenkveranstaltung. Kinder, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer lagen sich weinend in den Armen und fragten: „Wie können wir uns besser schützen?“ In keinem anderen Land, das sich nicht in einem Krieg befindet, sterben mehr Menschen durch eine Kugel als in den Vereinigten Staaten.

Für Anderson stand die Antwort fest: „Der beste Schutz gegen einen schlechten Mensch mit einer Waffe ist ein guter Mensch mit einer Waffe“.  Die Superintendentin der Cutter-Morning-Star-Schule erklärte mir damals, für Leute wie sie, „gehören Waffen zu unserem Haushalt wie Messer und Gabel“. Ihr Vater nahm sie schon als Kind mit zur Jagd, die Eltern betrieben in einer gottverlassenen Gegend in Arkansas eine Tankstelle mit angeschlossenem Lebensmittelladen, unter der Kasse lag stets ein geladenes Gewehr.

Anfang 2013 stellte die Schulmanagerin einen Bewaffnungsantrag und ging mit einer Handvoll persönlich von ihr ausgewählter Kolleginnen und Kollegen zum Schießtraining. „Waffenträger haben eine hohe Verantwortung,“ sagte sie, „Rambo-Typen haben bei mir keine Chance.“ Anderson und die anderen aus der Schutztruppe lernten, wie man mit nur einer Hand den Revolver führt und sich im Falle einer Verletzung auf den Boden wirft und liegend aus der Hüfte zielt.

Im April 2013 erteilte der Sheriff die Erlaubnis. Doch Anderson hatte ihre Rechnung ohne den damaligen Justizminister von Arkansas gemacht, ein Demokrat. Er entzog Andersons Schule die Bewaffnungsgenehmigung mit der Begründung, Lehrer seien keine Sicherheitsleute, die Schule könne, wenn sie wolle, zu ihrem Schutz einen Polizisten oder einen privaten Wachdienst einstellen.

Die resolute Superintendentin war außer sich vor Wut und beschloss, sich zu wehren. Einen privaten Sicherheitsdienst könnten sich nur reiche Schulen leisten, gab sie bei einer Verhandlung vor dem Parlament von Arkansas zu Protokoll, sie aber leite eine arme Schule. Sei das Leben armer Kinder darum weniger wert? Andersons Worte zeigten Wirkung, die Entscheidung des Justizministers wurde revidiert, und 2015 erließ der Kongress von Arkansas sogar ein Gesetz, dass allen staatlichen Schulen die Bewaffnung besonders dafür geschulter Lehrerinnen und Lehrer erlaubt. Manche in Arkansas nennen es das „Nancy-Anderson-Gesetz“. Nach wie vor trainiert die Schulmanagerin mit ihren Kolleginnen und Kollegen mehrmals im Jahr für den Ernstfall.

 Doch heute, fast zehn Jahre später, sorgt ein festangestellter Polizist für die tägliche Sicherheit der 650 Schülerinnen und Schüler. Auf Betreiben der unermüdlichen Superintendentin hat die Cutter-Morning-Star-Schule, zu der dank Anderson inzwischen auch eine nagelneue Highschool gehört, inzwischen eine eigene Polizeistation. Und wenn der einzige uniformierte Beamte gerade nichts anderes zu tun hat, holt er einen Geschwindigkeitsmesser aus der Schulblade und bedenkt Raser vor der Schule mit einem Knöllchen. Das Geld kommt zu Andersons Bedauern allerdings nicht ihrer Schule zugute.

Sowohl 2016 als auch 2020 hat Nancy Anderson für Donald Trump gestimmt, unter anderem weil der Republikaner sich starkgemacht hat für das in der Verfassung verbriefte Recht, das auch Privatpersonen das Tragen einer Waffe erlaubt. Eine glühende Anhängerin des ehemaligen Präsidenten war die Superintendentin, wie sie mir bei meinem Besuch im April 2022 gestand, aber nie.

„Donald Trump gehört zu der Sorte von Politikern, die mir eigentlich zu laut, zu prahlerisch und zu arrogant sind. Ich war darum nie eine große Unterstützerin. Ich glaube, er ist 2020 nicht abgewählt worden, weil sich die Leute unbedingt Joe Biden als Präsident gewünscht haben, sondern weil sie Trump loswerden wollten. Ich habe Trump trotzdem wiedergewählt, denn als er im Weißen Haus saß, boomte die Wirtschaft und waren wir nicht in einen Krieg verwickelt. Unter ihm führten wir Amerikaner ein ziemlich gutes Leben, das Benzin war billig, die Gallone kostete gerade mal zwei Dollar, die Supermarktregale waren prall gefüllt, von allem war genug da.

Jetzt aber regiert der Demokrat Joe Biden, unserer Wirtschaft geht es schlecht und wir sind zumindest indirekt an einem Krieg beteiligt. Das wäre mit Trump nicht passiert. Biden ist bestimmt ein ehrenwerter Mann und ich bin überzeugt, er will aus seiner Sicht das Beste für Amerika. Ich teile nicht die Ansicht einiger Republikaner und Trump-Anhänger, dass Biden unserem Land gezielt Schaden zufügen will. Aber er macht die falsche Politik. Ich mochte auch den Demokraten Barack Obama, er war ein anständiger Mensch, aber auch ihn konnte ich wegen seiner Politik nicht wählen.

Vier von fünf Schülern bekommen bei uns ein kostenloses Mittagessen. Ich weiß, wie die Inflation unseren Familien hier in Arkansas zusetzt.

Meine allergrößte Sorge ist derzeit der Zustand unserer Wirtschaft, die Preise gehen durch die Decke. Ich bin selbst in äußerst bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, jetzt leite ich eine Schule mit vielen armen Schülern, vier von fünf bekommen bei uns ein kostenloses Mittagessen. Ich weiß, wie die Inflation unseren Familien hier in Arkansas zusetzt, ich habe nicht vergessen, woher ich komme und habe ein Herz für die kleinen Leute.

Heute bin ich eine normale Mittelklässlerin, aber selbst wir müssen den Gürtel enger schnallen. Eine Gallone Benzin kostet fast fünf Dollar, da verzichten selbst mein Mann und ich auf Urlaubsreisen. Wissen Sie, als Superintendentin habe ich wahnsinnig viel zu tun und kaum Zeit, einkaufen zu gehen. Also bestelle ich jede Woche online bei Walmart alles, was wir als Familie brauchen. Es ist fast immer dasselbe, Tomaten, Avocados, Bananen, Milch und so weiter. Ich brauche meist in der App nur den Wiederholungsknopf zu drücken, die Ware liefert uns Walmart dann nach Hause.

Vor einem halben Jahr noch habe ich für den Einkauf ungefähr 60 Dollar gezahlt, inzwischen aber kostet derselbe Kram 100 Dollar. Und immer öfter teilt mir die App bei einigen Bestellungen mit: „nicht lieferbar, nicht lieferbar, nicht lieferbar“. Dr Pepper zum Beispiel, mein Lieblingsgetränk … völlig undenkbar, dass Walmart noch vor einigen Monaten Dr Pepper ausgegangen wäre. Oder laktosefreie Milch. Ich habe neulich überall herumtelefoniert, aber nicht ein einziger Laden in unserer Gegend hatte in der Woche laktosefreie Milch. Andere vertrage ich leider nicht.

Seit Joe Biden im Weißen Haus sitzt, ist in der Wirtschaft der Wurm drin. Fahren Sie mal die paar Kilometer von hier in die Stadt Hot Springs, ein Touristenort mit heißen Quellen und Bädern. Überall hängen Stellenangebote, aber die Geschäfte finden keine Leute. Wo sind sie geblieben? Ich habe den Eindruck, dass viele Amerikaner nicht mehr arbeiten wollen.

Sie glauben das nicht? An meiner Schule kann ich ein Lied davon singen, ich finde keine Lehrer, keine Schuldirektoren, keine Krankenpfleger, keine Hausmeister, keine Leute für die Technik. Schuld daran ist meiner Meinung nach auch die Pandemie. Corona und die staatlichen Schutzmaßnahmen haben unseren Schulen das Genick gebrochen, nicht nur unseren Schulen, sondern ganz Amerika. Die Schulen zu schließen, war ein riesengroßer Fehler. Schon Trump hat diesen Fehler begangen, aber unter Biden wurde alles noch viel schlimmer.

Natürlich gibt es Covid19 und darf man die Pandemie nicht auf die leichte Schulter nehmen. Aber die staatlichen Maßnahmen waren meiner Meinung nach völlig übertrieben.

Ich bin keine Verschwörungstheoretikerin. Natürlich gibt es Covid19 und darf man die Pandemie nicht auf die leichte Schulter nehmen. Aber die staatlichen Maßnahmen, die Schul- und Geschäftsschließungen, die Maskenpflicht, die Abstandsregelungen, all das war meiner Meinung nach völlig übertrieben. Ich bin ein Freigeist, ich bin dagegen, wenn sich irgendjemand in mein Leben einmischt und mir Vorschriften macht. Fragen Sie mal meinen Mann.

Warum Corona unseren Schulen das Genick gebrochen hat? Schon vor der Pandemie hatten wir einen riesengroßen Lehrermangel, doch Corona hat uns den Rest gegeben. Viele Lehrer sind mit dem Ausbruch der Pandemie frühzeitig in Rente gegangen oder haben ihren Beruf an den Nagel gehängt. Manche hatten Angst, sich anzustecken, anderen waren die schulischen Belastungen zu groß. In der Tat hat der Stress in der Coronazeit überhandgenommen. Und das bei der dürftigen Bezahlung; das Anfangsgehalt eines Lehrers liegt hier in Cutter-Morning-Star bei gerade einmal 36 000 Dollar im Jahr.

Vergangenes Jahr hatten wir drei freie Stellen, ich habe mich auf den Kopf gestellt, um sie zu besetzen. Das war früher völlig anders. Als ich vor 15 Jahren in der Schulverwaltung begann und eine Lehrerin für die 4. Klasse brauchte, trudelten 150 Bewerbungen ein, 10 kamen in die engere Auswahl, alle waren exzellent. Das war einmal.

Aber das Problem habe ich nicht nur mit Lehrkräften. Ich brauche dringend eine Krankenschwester und hatte kürzlich gerade einmal drei Bewerberinnen. Die erste, die den Zuschlag bekam, erschien nicht und hielt es nicht einmal für nötig, abzusagen. Die zweite arbeitete drei Tage und war danach verschwunden. Als ich sie anrief, meinte sie nur, sie habe Schwierigkeiten mit ihrem Mann und könne darum nicht mehr kommen. Die dritte tauchte noch nicht einmal zum Jobinterview auf. Das ist doch unglaublich, das ist mir in meiner über 25-jährigen Berufstätigkeit noch nie passiert; ich sage Ihnen, die Leute wollen nicht arbeiten.

Die Belastung unter Lehrern ist wirklich verdammt hoch, so viel wie in diesen Coronajahren haben wir noch nie gearbeitet.

Klar, die Belastung ist wirklich verdammt hoch, so viel wie in diesen Coronajahren haben wir noch nie gearbeitet. Das hat seinen Preis, auch ich spüre das. Im vergangenen Jahr habe ich vor lauter Stress einen Herzinfarkt erlitten. Das Schlamassel begann mit der Schulschließung im Frühjahr 2020. Für drei Monate mussten wir komplett dichtmachen. Zum Glück hatten wir vorbereitetes Lehrmaterial in unserem Schulschrank. Das benutzen wir immer, wenn im Winter wegen heftigen Schneefalls für ein paar Tage der Unterricht ausfällt. Es sind aber nur Wiederholungsübungen, kein neuer Wissensstoff.

Der anschließende Sommer war irre hart, wir mussten uns für das nächste Schuljahr auf digitalen Unterricht umstellen, denn nicht sehr viele Kinder würden in die Schule kommen, sondern wegen der unsicheren Corona-Lage zu Hause bleiben. Wissen Sie, die meisten unserer Schülerinnen und Schüler kommen aus armen Familien, Bildung steht bei ihnen nicht oben auf der Tagesordnung. Und natürlich haben viele keinen Internetzugang zu Hause, am Anfang waren es fast 40 Prozent. Zum Glück konnten wir allen ein Tablet zur Verfügung stellen, und natürlich haben wir so viele Hotspots wie möglich eingerichtet, auch auf unserem Schulparkplatz. So konnten sich die Kinder oder deren Eltern das Unterrichtsmaterial herunterladen.

Meine Lehrerinnen und Lehrer haben in dieser Zeit wirklich Übermenschliches geleistet. Manche Eltern erwarteten von ihnen, dass sie rund um die Uhr zur Verfügung standen, dass sie auch noch spät abends, nachdem die Eltern von der Arbeit zurück waren und gegessen hatten, Nachfragen beantworteten. Ich hatte Lehrer, die vor Erschöpfung kaum noch aus den Augen gucken konnten. Da musste ich zu ihrem Schutz die Reißleine ziehen und habe angeordnet, dass sich meine Lehrerinnen und Lehrer werktags nur noch zwischen 8 und 17 Uhr bereithalten.

Sie können sich gar nicht vorstellen, was hier in Cutter-Morning-Star los war. Wie gesagt, viele unserer Familien sind sehr knapp bei Kasse, und leider kümmern sich manche Eltern auch nicht um ihre Söhne und Töchter. Hier in der Schule bekommen die Kinder zu essen, Frühstück, Mittagessen und Snacks. Doch wenn sie zu Hause bleiben, werden sie oft nicht versorgt. Das wollten wir verhindern und haben Lebensmittelpakete geschnürt und ihnen geschickt.

Natürlich kam es in der häuslichen Enge auch öfter zu Gewalt. Alle hatten großen Stress. Die Kinder konnten nicht zur Schule, sich nicht mit ihren Freunden treffen, die Eltern hatten große Angst, ihre Arbeit zu verlieren. Einmal rief mich ein Lehrer spät abends an und berichtete atemlos, er habe gerade die Polizei zu einer seiner Schülerinnen geschickt. In einer E-Mail hatte sie ihm mitgeteilt, dass ihr Stiefvater sie fast zu Tode prügele. Wahrscheinlich wäre sie gestorben, hätte mein Lehrer nicht noch spätabends in seine Mails geschaut. Das Mädchen kam ins Krankenhaus, ihr Stiefvater ins Gefängnis.

Corona hat uns dramatisch vor Augen geführt, wie wichtig für unsere Kinder der Schulalltag, das tägliche Gerüst und die Gegenwart der Lehrerinnen und Lehrer sind.

Die Schulschließung, die ewig langen Quarantänezeiten, die Möglichkeit, über ein Jahr lang zu Hause zu bleiben und nur digital zu lernen – all das waren schlimme Fehler, die unter Präsident Biden leider weiter zugenommen haben. Corona hat uns dramatisch vor Augen geführt, wie wichtig für unsere Kinder der Schulalltag, das tägliche Gerüst und die Gegenwart der Lehrerinnen und Lehrer sind. Manche preisen ja in höchsten Tönen die Vorteile des digitalen Unterrichts. Meine Erfahrung aber sagt: Nichts geht über die tägliche reale Begegnung, die Präsenz in einer Klasse. Ich habe Schüler, die haben daheim zwei Jahre so gut wie nichts gelernt, sind weit, weit zurückgefallen. Es gibt Viertklässler, die nicht einmal lesen können.

Aber es geht mir nicht nur ums Lernen, ums Nachholen von Unterrichtsstoff. Seit alle Kinder wieder zurück in der Schule sind, machen wir krasse Erfahrungen. Eigentlich ist dieses Rückkehrjahr von allen Coronajahren das schwierigste. Viele Schülerinnen und Schüler haben verlernt, miteinander angemessen umzugehen; Streit, Vandalismus, Ausraster haben zugenommen. Wir haben einen Schüler, eigentlich ein netter Junge mit guten Eltern, der hat vor ein paar Monaten Mitschülern erzählt, sie sollten am nächsten Tag besser zu Hause bleiben, er werde mit einer Waffe zur Schule kommen und um sich schießen. Ein Mädchen hörte das zufällig und berichtete es am Abend ihrer Großmutter. Die alarmierte am nächsten Morgen um halb sieben meine Schule, weiß Gott, warum erst so spät.

Ich war gerade auf einer Konferenz in Florida, als mich mein Büro anrief. Natürlich ging die ganze Schule in Lockdown, waren mein Polizeibeamter und meine bewaffnete Lehrergruppe im Einsatz und rückte die Polizei an. Doch aufgrund der Beschreibung des Mädchens wurde erst ein falscher Schüler verdächtigt. Wir holten das Mädchen, die natürlich zu Hause geblieben war, ab und sie konnte anhand von Kameraaufnahmen den richtigen Schüler identifizieren. Der hatte seine Drohung vom Vortag nicht ernst gemeint, aber wir mussten sie selbstverständlich ernstnehmen.

Die Coronazeit, die Isolierung und der häusliche Stress sind nicht spurlos an den Kindern vorbeigegangen. Übrigens nicht nur an meinen Schülern, sondern auch an meinen Angestellten.

Der Schüler wurde vom Unterricht suspendiert, musste die Schule wechseln und steht vor Gericht. Er ist wirklich ein guter Junge, weiß der Teufel, was er sich dabei gedacht hat. Ich weiß nicht, ob das auch auf ihn zutrifft, aber die Coronazeit, die Isolierung und der häusliche Stress sind nicht spurlos an den Kindern vorbeigegangen. Übrigens nicht nur an meinen Schülern, sondern auch an meinen Angestellten. Es ist das erste Mal in meinem Berufsleben, dass einige meiner erwachsenen Leute in der Schule derart miteinander in Streit geraten sind, dass ich dazwischengehen musste. Ich glaube, dass diejenigen, die diese Corona-Maßnahmen erlassen haben, sich diese Folgen nicht vor Augen geführt haben.

Schon im vergangenen Sommer, bevor alle Kinder zurück in die Schule kamen, habe ich mich um Unterstützung für psychologisches Training gekümmert. Alle meine Lehrerinnen und Lehrer wurden geschult. Wir haben auch einen sogenannten „Wohlfühl-Tag“ eingeführt, an dem wir darüber sprechen, wie man am besten den eigenen Stress abbaut. Jeder erzählt von seinen Erfahrungen. Da gibt es ganz unterschiedliche Wege, manchen hilft es, Plätzchen zu backen, anderen, Sport zu treiben oder ein Buch zu lesen.

Es gibt keinen, der sagt, er habe kein Problem, alles sei in bester Ordnung. Erstaunlicherweise – oder vielleicht ist das auch gar nicht so erstaunlich – litt kaum jemand unter schulischem Druck, unter der Furcht, den Anschluss zu verlieren oder die Prüfung nicht zu bestehen. Die meisten belastete der häusliche Streit, die Angst, wie zum Beispiel ein Kind erzählte, dass am Abend wieder der betrunkene Onkel Joe vorbeikommt und den Vater verprügelt. Ich habe viele erschütternde Geschichten gehört.

Natürlich habe ich meinen Schülerinnen und Schülern auch von meinen emotionalen Belastungen berichtet und was ich tue, um meinen Stress zu bewältigen. Ich setze mich dann in mein Auto, kurbele die Fenster runter, fahre über die Landstraße und singe, so laut ich kann Country-Songs. Dann komme ich mir vor wie Shania Twain, obwohl ich überhaupt nicht singen kann. Ich sage meinen Schülerinnen und Schülern, dass psychisches Leid wie eine körperliche Erkrankung ist und man etwas dagegen tun kann. Niemand muss sich schämen, wenn er deswegen eine Ärztin oder einen Psychologen aufsucht.

Ob ich Donald Trump noch einmal wählen würde? Ich hoffe, bei der nächsten Präsidentschaftswahl gibt es eine bessere Option.

Ich hoffe, es kommen wieder bessere Zeiten. Im nächsten Schuljahr bieten wir hier in Cutter-Morning-Star für Elft- und Zwölftklässler einen neuen Unterrichtskurs an. Das war meine Idee. Zwei Jahre können sie lernen, wie man Lehrer oder Lehrerin wird. Mit dem Zertifikat dürfen sie dann nach ihrem Highschool-Abschluss an meiner Schule als Assistenzlehrer arbeiten und können nebenbei online an einem College studieren, ihren Bachelor machen, um ein richtiger Lehrer zu werden.

Ich hoffe, mit dieser Möglichkeit mehr Nachwuchs für unsere Schulen zu requirieren. Vielen jungen Lehrerinnen und Lehrern mangelt es doch an Praxiserfahrung, und wenn sie plötzlich das erste Mal vor einer Klasse stehen müssen, bekommen sie einen Schock. Hoffentlich finde ich neben der ganzen Verwaltungstätigkeit ein bisschen Zeit, um in diesem neuen Kurs mit zu unterrichten. Das würde mir Spaß machen, denn vor meiner Pensionierung möchte ich gerne noch eine wirklich große Erfolgsgeschichte erleben. Die Tätigkeit eines Lehrers, finde ich, gehört trotz aller Belastung nach wie vor zu den schönsten Berufen der Welt.

Ob ich Donald Trump noch einmal wählen würde? Ich hoffe, bei der nächsten Präsidentschaftswahl gibt es eine bessere Option.“

Lesen Sie die Einleitung zur Reihe „Unterwegs in Trumps Amerika“ hier.

Martin Klingst ist Senior Expert & Nonresident Author bei der Atlantik-Brücke. Zuvor war er unter anderem Leiter des Politikressorts, USA-Korrespondent und Politischer Korrespondent bei der ZEIT. Im Bundespräsidialamt leitete er anschließend die Abteilung Strategische Kommunikation und Reden. Beim German Marshall Fund of the United States ist Martin Klingst Visiting Fellow. Mehr Informationen über Martin Klingst und seine Arbeit finden Sie auf seiner Website.

Die Beiträge unserer Gastautorinnen und -autoren geben deren Meinung wieder und nicht notwendigerweise den Standpunkt der Atlantik-Brücke.

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