Unterwegs in Trumps Amerika

„Die Republikaner brauchen einen Trumpismus ohne Trump“

Von Martin Klingst

Foto: Katharina Draheim

Wann immer man Francis Buckley bei ihm zu Hause in Alexandria, auf einem Hügel mit bestem Ausblick auf die gegenüberliegende Hauptstadt Washington, besucht, muss man an zwei laut bellenden Schäferhunden vorbei. Schon an der Gartenpforte warnt ein Schild die Besucher vor den fletschenden Zähnen. Doch die Hunde sehen gefährlicher aus, als sie sind. „Hunde die bellen,“ sagt Buckley, „beißen nicht.“ Ein bisschen, lacht er, treffe das auch auf Donald Trump zu.

Der 74-jährige Jura-Professor, der einst in Harvard sein Examen ablegte, in Montreal, Chicago und Paris unterrichtete, lehrt heute an der George Mason University in Arlington, im Bundesstaat Virginia, eine der renommiertesten konservativen Rechtsschulen der Vereinigten Staaten von Amerika. Sie trägt den Namen des Anfang 2016 verstorbenen Supreme-Court-Richters Antonin Scalia, einer Ikone rechter Juristen.

Schon früh hat sich Buckley zu Donald Trump bekannt. Er war einer der wenigen konservativen Intellektuellen und der Einzige an seiner Rechtsfakultät, die das taten. Viele Freunde, sagt er, habe er sich damit nicht gemacht.

Buckley war der Ansicht, Amerika brauche eine „konservative Revolution“. Und für eine wirklich grundlegende Umwälzung, sagte er in unserem ersten Interview im Frühjahr 2018, „braucht man einen furchtlosen, raubeinigen und kampfeswilligen Außenseiter im Weißen Haus. Eben einen wie Donald Trump.“ Damals recherchierte ich für Buch „Trumps Amerika. Reise in ein weißes Land“, das im Reclam-Verlag erschien. Heute, vier Jahre später, meint Buckley, Trump habe für diese Revolution durchaus wichtige Weichen gestellt, doch als Mensch habe der 45. Präsident der Vereinigten Staaten kläglich versagt. Dessen Rolle beim Sturm aufs amerikanische Kapitol am 6. Januar 2021 nennt der Rechtsgelehrte „skandalös“ und hofft, dass Trump 2024 nicht wieder antritt.

2016 noch hatte Francis Buckley, ein gebürtiger Kanadier, der erst 2014 die amerikanische Staatsbürgerschaft erwarb, Trumps Wahlkampf kräftig unterstützt. Unter anderem unterbreitete er Vorschläge, welche rechten Juristen Donald Trump im Falle seines Wahlsiegs für die vielen vakanten Stellen bei den Bundesgerichten nominieren sollte. Bei dieser Gelegenheit legte Buckley auch einen Redeentwurf über eine konservative Auslegung der Verfassung bei, der dem Wahlkampfteam sehr gefiel. Der weltgewandte Buckley wurde gefragt, ob er nicht eine außenpolitische Rede für Trump schreiben wolle. Buckley sagte zu.

Der Nachfahre von Wolga-Deutschen, dessen Großeltern mütterlicherseits in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts aus der ukrainischen Stadt Mariupol nach Kanada ausgewandert waren, plädierte zwei Jahre nach der Annexion der Krim für eine neue, versöhnliche Politik der Vereinigten Staaten gegenüber Wladimir Putin. „2016,“ sagt Buckley, „war ich noch einer der größten Pro-Russland-Leute im Team.“ Seine Sicht auf Putin und auf Donald Trump hat Francis Buckley inzwischen in einigen entscheidenden Punkten korrigiert.

„Zugegeben, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine habe ich nicht für möglich gehalten. Ich war völlig überrascht, meinte ich doch, Putin folgte einem völlig anderen politischen Kalkül. Ich dachte, schon allein um den Amerikanern, die eine russische Intervention vorausgesagt hatten, eine lange Nase zu zeigen, würde Putin seine Truppen nicht einmarschieren lassen. Auch war ich überzeugt, dass ein Krieg die NATO spalten würde. Doch das Gegenteil trat ein, die Bündnispartner sind einiger denn je. Es ist wichtig, dass die liberalen Demokratien zusammenstehen und der russischen Aggression die Stirn bieten.

Sie fragen, warum ich noch nach der Besetzung der Krim für Verhandlungen mit Putin plädiert habe? Warum ich seine Expansionsgelüste nicht schon damals gesehen und ernstgenommen habe? Es waren ganz andere Zeiten, völlig andere Voraussetzungen. Die ukrainische Revolution, die Proteste auf dem Maidan-Platz in Kiew zwischen Ende November 2013 und Februar 2014 hatten Putin große Angst eingejagt, er fürchtete, dass der Wunsch nach Freiheit und Demokratie auch sein Volk erfassen könnte. Mit seinem militärischen Muskelspiel, der Annexion der Krim, mit seiner nationalistischen, großrussischen Rhetorik, buhlte er daheim um Zustimmung und Sympathie. Das glückte ihm auch.

Wir waren nicht blauäugig, auch für uns war Putin ein Brutalinski und Verbrecher. Doch um ihn einzuhegen, dachte ich und dachten damals viele von Trumps außenpolitischen Wahlkampfberatern, müssten wir dem russischen Präsidenten etwas anbieten, eine Art Anerkennung oder Legitimität seiner Regentschaft, zum Beispiel durch einen Freundschaftsvertrag mit den Vereinigten Staaten. Übrigens waren nicht nur wir Republikaner, sondern auch viele Demokraten dieser Ansicht. So setzte die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton nach Putins Krieg gegen Georgien auf Entspannung mit Moskau und wollte die ‚Reset-Taste‘ drücken.

Bessere Beziehungen mit Russland, glaubten wir, würden uns den Rücken gegenüber der nach wie vor größten Bedrohung freihalten: China. Ja, ein solcher Friedens- und Freundschaftsvertrag mit Putin hätte wahrscheinlich die Anerkennung des russischen Anspruchs auf die Krim beinhaltet. Aber es war unter uns Konsens, mit dem Kreml nicht mehr über die Annexion der Krim zu streiten. Uns schien das die beste Vorkehrung gegenüber russischem Machtgebaren.

Warum wir Putin auf den Leim gegangen sind?

Warum wir Putin auf den Leim gegangen sind? In Deutschland und Westeuropa war man auch nicht schlauer. Und vergessen Sie bitte nicht: Das war 2016, sechs Jahre vor Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Außerdem war die Krim schon immer ein Sonderfall. Dort leben hauptsächlich Russen, in Sewastopol unterhält Russlands Marine einen wichtigen Stützpunkt, und zwischen der Halbinsel im Schwarzen Meer und Russland gibt es seit ewig gewachsene historische und kulturelle Beziehungen, auf der Krim residierten einst so bedeutende russische Schriftsteller wie Anton Tschechow. Uns war klar, dass Moskau nie und nimmer auf die Krim verzichten würde.

Übrigens, anders als die Demokraten und viele Republikaner wollte Trump nie die Welt nach dem Vorbild Amerikas neu erschaffen. Er ist ein Realist und akzeptierte, dass andere Länder andere Werte, andere Regierungsstile, ein anderes Ethos haben. Auf dieser Basis und solange sich niemand in unsere Interessen einmischt, wollte Trump gute Beziehungen pflegen. Seine Außenpolitik bedeutete die völlige Abkehr von der Strategie seines Vorvorgängers im Weißen Haus. Der Republikaner George W. Bush wollte der Welt – notfalls mit Gewalt – die amerikanischen Ideale aufzwingen. Auch der Demokrat Barack Obama war nicht viel anders. Unter ihm wurden einem so strategisch wichtigen Land wie Nigeria Hilfsgelder gestrichen, nur weil die dortige Regierung eine homophobe Politik betrieb.

Ja, Sie haben mit Ihrem Einwand Recht: Es gelang Trump nicht, die Beziehungen zu Russland auf eine neue, fruchtbare Ebene zu heben. Das lag aber nicht an ihm, sondern an den Demokraten und den Geheimdiensten, die all die Jahre ergebnislos versucht haben, dem Präsidenten irgendwelche geheimen Absprachen mit Russland nachzuweisen. Trump waren die Hände gebunden und es wurde kostbare Zeit verschwendet. Dass er allerdings Putin jüngst wegen des Einmarschs in die Ukraine als ‚Genie‘ bezeichnete, ist ein weiterer Beweis für Trumps Unfähigkeit als Politiker und zeigt einmal mehr, warum er nie wieder Präsident werden sollte.

Trump legte sich mit der herrschenden politischen Elite an.

Ich hatte 2016 große Hoffnungen auf ihn gesetzt. Donald Trump stand für eine völlig neue Art von Politik, einen Trumpismus, der ziemlich ideologiefrei sowohl stramm rechte als auch stramm linke Politik in die Schranken wies. Er legte sich mit der herrschenden politischen Elite an, ein bisschen so, wie es der französische Schriftsteller Julien Benda 1927 in seinem aufrüttelnden Essay „Der Verrat der Intellektuellen“ getan hatte.

Den Neoliberalen in seiner Partei war Trump ein Dorn im Auge, weil er das einst von den Demokraten ausgeheckte und bei den meisten Amerikanern inzwischen sehr beliebte Sozialversicherungssystem nicht antasten wollte. Und obwohl Trump gegen Obamas Gesundheitsreform war, liebäugelte er gleichwohl mit einem neuen System, das im Krankheitsfall möglichst viele Bürger kostengünstig versorgen würde. So habe ich ihn immer wieder das kanadische Gesundheitssystem loben hören. Im Gegensatz zu vielen heutigen Republikanern, die stets nur über individuelle Freiheit schwadronieren, erkannte Trump, dass die Wohlfahrt der Bürger auch eine wichtige staatliche Aufgabe ist.

Im Grunde war Trump – im ökonomischen Sinn – ein fortschrittlicher Republikaner, ganz im Sinne der früheren Präsidenten Theodore Roosevelt und Dwight Eisenhower. Letzterer hatte seiner Partei sinngemäß ins Stammbuch geschrieben: Entweder sei sie progressiv – oder gar nichts.

In gesellschaftspolitischen Fragen hingegen vertrat Trump konservative, rechte Positionen. Vielen Linken war er ein Dorn im Auge, weil er das ganze Gender- und Sozialgedöns nicht mitmachte, weil er in der unkontrollierten Einwanderung eine Gefahr für heimische Arbeitsplätze, vor allem für die gering Bezahlten sah. Der Demokratischen Partei schien das völlig Wurst zu sein, sie war über die Jahre zur Volksvertretung der Elite, der woken Großstädter mutiert. Doch mit dem Republikaner Donald Trump nahm sich endlich ein Präsident der hart arbeitenden Menschen an – und sie dankten es ihm.

Kaum eine andere Region veranschaulicht das Versagen der amerikanischen Linken besser als Harlan County, ein Armenhaus im Bundesstaat Kentucky. In den 1930er Jahren taten sich dort die Bergarbeiter zusammen und demonstrierten für bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und das Recht auf gewerkschaftliche Organisation, alles damals Uranliegen der Demokratischen Partei. Der Protest wurde blutig ausgetragen und ging als ‚Harlan County War‘ in die Geschichte der Arbeiterbewegung ein. Gut achtzig Jahre später gewann Trump diese einstige Hochburg der Demokraten mit weit über 80 Prozent. Das sagt doch schon alles.

Trump hat sich in den vier Jahren im Weißen Haus durchaus verdient gemacht

Trump hat sich in den vier Jahren im Weißen Haus durchaus verdient gemacht: keine neuen Kriege, die Aussöhnung Israels mit einer Handvoll arabischer Nachbarn, eine strenger kontrollierte Einwanderung, eine umfassende Steuerreform und einen seit 60 Jahren nicht dagewesenen wirtschaftlichen Aufschwung, der insbesondere vielen Afroamerikanern und Hispanics Jobs verschaffte.

Charakterlich war Trump als Präsident völlig ungeeignet.

Trotzdem scheiterte Trump – an seiner Partei, am fanatischen Widerstand der Demokraten und an sich selbst. Er verschreckte oder verscheuchte gute Berater und ließ sich auf inkompetente, finstere Personen ein. Charakterlich war Trump als Präsident völlig ungeeignet. Es gibt Momente, in denen sich das schlechte Wesen eines Menschen brutal offenbart. Der 6. Januar 2021 war ein solcher Augenblick. Damit meine ich weniger Trumps Aufforderung an seine Anhänger, vor dem Parlament gegen die vermeintlich ‚gestohlene‘ Wahl zu demonstrieren. Sondern dass er der Ausuferung des Protests, dem Sturm aufs Kapitol, scheinbar nicht nur mit klammheimlicher Freude zusah, sondern obendrein Öl ins Feuer goss, indem er seinen die Verfassung verteidigenden Vizepräsidenten Michael Pence in Tweets der Mutlosigkeit bezichtigte.

Im Grunde ergeht es Donald Trump wie den von Georg Wilhelm Friedrich Hegel beschriebenen tragischen Helden: Sie haben einen wichtigen Beitrag geleistet, aber werden wegen ihrer eigenen Fehlbarkeit von der Geschichte wie ein wertloser Gegenstand fallen gelassen.

Die Vereinigten Staaten waren in mancher Hinsicht schon immer unvereinigt.

Die USA sind als Land tief gespalten. Ob sich irgendwann einige Bundesstaaten aus Frust von der Nation lossagen werden? Ich habe darüber geschrieben, aber weiß es nicht. Die Vereinigten Staaten waren in mancher Hinsicht schon immer unvereinigt. An der Universität lehre ich einen Kurs über die Ursprünge der amerikanischen Verfassung, wie sie damals zustande kam. Das ist keine Geschichte über den Diskurs hochmögender Rechtstheoretiker. Da rangen sehr praktisch orientierte Leute um den Verfassungstext, sie beschimpften sich wüst, drohten einander mit Krieg oder dem Henker. Doch am Ende schlossen sie einvernehmlich einen Deal. Auch das ist Amerika.

Noch schwebt Donald Trump über den Republikanern wie der Würgeengel aus einem Film von Luis Buñuel. Doch will die Partei eine Zukunft haben, muss sie sich von ihm lossagen. Sie braucht Führungsleute, die Trump-Gegner und Trump-Anhänger in der Partei zusammenführen können und auch wieder Amerikas politische Mitte erreichen. Die Republikaner brauchen einen progressiven Konservatismus, einen Trumpismus ohne Trump.“

Lesen Sie die Einführung in die Reihe „Unterwegs in Trumps Amerika“ hier.

Martin Klingst ist Senior Expert & Nonresident Author bei der Atlantik-Brücke. Zuvor war er unter anderem Leiter des Politikressorts, USA-Korrespondent und Politischer Korrespondent bei der ZEIT. Im Bundespräsidialamt leitete er anschließend die Abteilung Strategische Kommunikation und Reden. Beim German Marshall Fund of the United States ist Martin Klingst Visiting Fellow. Mehr Informationen über Martin Klingst und seine Arbeit finden Sie auf seiner Website.

Die Beiträge unserer Gastautorinnen und -autoren geben deren Meinung wieder und nicht notwendigerweise den Standpunkt der Atlantik-Brücke.

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