Mitgliederreise USA

Der „neue Süden“, neue Bildungswege und alte Allianzen

Delegationsreise Atlantik-Brücke 2017 nach Charlotte, NC & Washington, DC

8. bis 13. Oktober 2017

Sechs Tage lang reiste eine Delegation der Atlantik-Brücke in die USA und traf Politiker, CEOs, Journalisten und Wissenschaftler in Charlotte, North Carolina und Washington, DC, um neue Eindrücke zu gewinnen und die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten zu stärken. Dieses Jahr war es vor dem Hintergrund der neuen Prioritäten der US-Administration umso wichtiger, den Dialog fortzusetzen. Die Delegationen der Atlantik-Brücke besuchen neben Washington stets eine weitere amerikanische Stadt, um einen Blick über die Washingtoner Blase hinaus zu werfen. In diesem Jahr reiste die Gruppe nach Charlotte, das starke Handelsbeziehungen zu Deutschland unterhält, und lernte dort den „neuen Süden“ kennen. Dieser Begriff wurde ursprünglich vom Journalisten Henry W. Grady geprägt und kennzeichnete den ökonomischen Neuanfang des Südens nach dem Bürgerkrieg und dem Ende der Sklaverei. Mittlerweile bezeichnet der Begriff das erfolgreiche ökonomische Wachstum im amerikanischen Süden, dass unter anderem auch durch innovative Technologien vorangebracht wird.

  1. Hoffnung für die transatlantischen Beziehungen

„Dieser Präsident wurde gewählt, um disruptiv zu sein“ – dieser Eindruck wurde von vielen der amerikanischen Gesprächspartner im Laufe der Woche geäußert. Es wurde offensichtlich, dass das Land tief gespalten ist. Die politische Orientierung Präsident Trumps spiegelt einige der negativsten Strömungen amerikanischen politischen Denkens wider: Isolationismus, Populismus, Nativismus. Ähnliche Bewegungen sind derzeit in Europa zu beobachten. Einzigartig in der Lage in den USA ist, dass Präsident Trump als unabhängiger Präsident agiert – unabhängig von der Parteilinie, was viele Mitglieder seiner eigenen Partei verärgert. Die Tatsache, dass viele Regierungsposten noch nicht besetzt sind, erschwert die Zusammenarbeit mit transatlantischen Partnern.

„Dieser Präsident wurde gewählt, um disruptiv zu sein“ – dieser Eindruck wurde von vielen der amerikanischen Gesprächspartner im Laufe der Woche geäußert.

Und das ist gefährlich. Mehrere Regierungsbeamte für Außen- und Sicherheitspolitik hielten fest, dass Staaten mit einer nicht-westlichen Sicht auf die internationale Ordnung immer mächtiger werden (namentlich Russland und China). Eine deutsche Führungsrolle in multilateralen Organisationen wurde in den Gesprächen als äußerst positiv bewertet; mehr Engagement wünschten sich die Gesprächspartner in Mittel- und Osteuropa. Es wurde, in Anlehnung an die „America First“-Rhetorik des Präsidenten, darauf hingewiesen, dass die Amerikaner „bis zu 3,5% ihres Jahresgehalts für die Sicherheit anderer Länder ausgeben. Deutschland als eines der wohlhabendsten Länder der Welt muss seine eigenen Anstrengungen verstärken.“

Trotz dieser Spannungen bleibt das Verhältnis zwischen den beiden Ländern auf vielen Ebenen von entscheidender Bedeutung: auf individueller, unternehmerischer, staatlicher und administrativer Ebene. Der republikanische Kongressabgeordnete Robert Pittenger, der Repräsentant für den 9. Congressional District von North Carolina, versicherte: „Wir lieben Deutschland. Glauben Sie den Medien nicht; sie sind uns nicht wohlgesonnen.“

Einige  hochrangige Regierungsmitglieder stellten fest: „Es hat sich nichts geändert. Die Verbindungen sind so stark wie eh und je.“ Zur Bekräftigung wurde betont, dass die „Administration sich noch finde“ und dass sich die Partner nicht entmutigen lassen sollten, weil die Arbeit hinter den Kulissen konstant bleibe. Es scheint, dass diejenigen, die auf operativer Ebene zuständig sind, die negative Sicht Präsident Trumps auf die Zusammenarbeit mit Deutschland nicht teilen. Ambassador Daniel Fried vom Atlantic Council betonte: „Die tatsächliche US-Außenpolitik unter Präsident Trump nimmt dort den Faden wieder auf, wo die Regierung Obama aufgehört hat.“

  1. Handel: Außerhalb der Washingtoner Blase

Frances Burwell, Distinguished Fellow am Atlantic Council und Experte für TTIP, Außenpolitik und transatlantische Beziehungen, warnte davor, dass „nicht nur die Rhetorik der Regierung über den Handel schlecht“ sei, „sondern auch die Handelspolitik unter Präsident Trump“. Es gäbe einen „großen Drang zu Protektionismus in Kombination mit einem Mangel an Gespür für Zeitgeschichte auf den höchsten Ebenen der Regierung“. Dies belaste lange bestehende

Ein Abschluss von TTIP sei, wie immer wieder hervorgehoben wurde, unwahrscheinlich. Möglicherweise sei ein „TTIP Light“ realistisch.

Partnerschaften schwer. Ein Abschluss von TTIP sei, wie immer wieder hervorgehoben wurde, unwahrscheinlich. Möglicherweise sei ein „TTIP Light“, eine überarbeitete Version des Abkommens, die sich auf gemeinsame Standards und andere regulatorische Fragen statt auf Importsteuern konzentriert, realistisch. Aber, wie der Kongressabgeordnete Pittenger bemerkte, „der Präsident bevorzugt klassisch-bilaterale Handelsabkommen zwischen zwei Staaten“. Das würde die Prämisse von TTIP grundlegend ändern.

NAFTA ist ein weiteres Thema, das insbesondere den Kanadiern am Herzen liegt. Die Frage, die im Raum steht, ist, ob es einen Ausstieg aus NAFTA geben wird, oder ob es sich nur um eine Neuverhandlung handelt. Es gibt noch keine klaren Antworten. In beiden Fällen – TTIP und NAFTA – sind die Bedingungen für Nachverhandlungen sicherlich nicht gerade günstig. Das Motto der Administration heißt „Buy American, Hire American.“ Trotzdem hat sich US-Handelsminister Wilbur Ross offen für TTIP-Neuverhandlungen gezeigt. Er ist sich der Bedeutung des Freihandels für die US-Wirtschaft bewusst.

Einige Gesprächspartner rieten, sich nicht zu sehr auf die Sichtweise von Präsident Trump zu konzentrieren. Wenn man das Gespräch mit Politikern, Vertretern der Zivilgesellschaft, Universitäten und Innovatoren aus dem ganzen Land suche, finde man Partner und Verbündete außerhalb der Washingtoner Blase. Genau das wurde bei dem Besuch in Charlotte deutlich. Dort kann man aus erster Hand das Engagement deutscher Unternehmen in der Region beobachten:  Siemens Energy, Daimler Trucks North America, Groninger, Bosch Rexroth, Schaeffler Group USA Inc. und 200 weitere sind vor Ort ansässig, darunter 59 Unternehmen, die den Hauptsitz ihres USA-Geschäfts in der Region haben. Damit ist Deutschland das am stärksten vertretene Land in der Region. Mit täglichen Nonstop-Flügen nach Frankfurt und München und einer aktiven deutschen Community blüht die Partnerschaft zwischen Charlotte und Deutschland.

Die scheidende Bürgermeisterin der Stadt, Jennifer Roberts, sprach über die historischen Verbindungen der Stadt zu Deutschland – die Stadt wurde nach Charlotte von Mecklenburg-Strelitz benannt –, aber auch über ihren internationalen Charakter. 18% der Einwohner wurden im Ausland geboren, 1.000 ausländische Unternehmen sind in der Stadt ansässig, davon 200 mit Sitz in Deutschland. 17% der Arbeitskräfte der Stadt sind im Ausland geboren, so John Silvia, der Chefökonom von Wells Fargo, einer amerikanischen internationalen Bank- und Finanzdienstleistungs-Holding. Er merkte an, dass im Ausland geborene Arbeitskräfte die Hälfte des Zuwachses der amerikanischen Arbeitskräfte in den vergangenen zehn Jahren ausmachen. Trotz der ungünstigen Politik gegenüber in den USA lebenden Ausländern hofft Silvia, dass „das Geschäft auch bei politischer Fluktuation stabil bleibt“.

  1. Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt der Zukunft

Bei Treffen mit der National Association of Manufacturers, dem Central Piedmont Community College und seinem Ausbildungsprogramm sowie dem

Der Austausch im Bereich der Berufsausbildung gehört zu den erfolgreichsten Austauschprogrammen zwischen beiden Ländern.

Startup Tresata wurde deutlich, dass Umdenken bei der Ausbildung zukünftiger Arbeitskräfte nötig ist – sowohl in den USA als auch in Deutschland. Der Austausch im Bereich der Berufsausbildung gehört zu den erfolgreichsten Austauschprogrammen zwischen beiden Ländern. Das deutsche duale Ausbildungsmodell ist bekannt, wurde aber in den vergangenen Jahren durch verschiedene Programme in den USA weiter verbessert, die zum Teil sogar ihre deutschen Pendants übertroffen haben.

Die US-Regierung hat, wie auch die Vorgängerregierungen, betont, dass die Qualifikationslücke geschlossen werden muss. Bei Präsident Trumps Treffen mit Bundeskanzlerin Merkel im März 2017 waren auch Unternehmensvertreter aus den USA und Deutschland sowie mehrere junge Auszubildende dabei. Dies zeigt deutlich, dass es Gemeinsamkeiten und ein gemeinsames Ziel gibt, alternative Ausbildungsoptionen zu fördern, um die Qualifikationslücke zu schließen und jungen Menschen eine echte Chance zu bieten.

Ein Höhepunkt der Reise war ein Besuch des Central Piedmont Community College (CPCC) in Charlotte, an dem derzeit 70.000 Studenten immatrikuliert sind. 20% der Studierenden befinden sich im College and Career Readiness Program, das eine Vielzahl von Programmen zur Vorbereitung auf die berufliche Laufbahn anbietet. CPCC bietet seit 1995 Ausbildungsplätze in der Produktion an. Ein auf vier Jahre angelegtes Programm, das am Ende einen Arbeitsplatz garantiert, ist dem deutschen dualen Ausbildungssystem nachempfunden und wird vor allem von deutschen Unternehmen mit Sitz in Charlotte genutzt. Die IHK Karlsruhe bietet Absolventen Abschlusszeugnisse für Automatisierung und CNC-Bearbeitung an, die auch in Deutschland anerkannt werden, und es gibt Austauschprogramme für Studenten und Auszubildende nach Stuttgart, Heidelberg, Crailsheim und Gaggenau. Vierzehn CPCC-Dozenten werden in Berlin an der Siemens Technik Akademie ausgebildet, und es gibt in Deutschland laufend Moderatoren- und Administratorenbesuche und Kurse.

Kevin Poet, Director of Operations am Siemens Charlotte Energy Hub, berichtete, dass Siemens Energy 1.550 Mitarbeiter beschäftigt und mehr als 300.000 Quadratmeter Fläche unter einem Dach hat. Es hat sich zum größten Fertigungsstandort in Charlotte entwickelt und ist der drittgrößte unter den mehr als 250 Energieunternehmen mit Sitz in Charlotte. Um für den Betrieb des neuen Siemens-Standortes Arbeitskräfte auszubilden, startete das Unternehmen 2011 eine Partnerschaft mit dem CPCC zur Entwicklung einer Mechatronik-Ausbildung. Mit der Einführung des deutschen Lehrlingsmodells in den USA konnte Siemens seine Charlotte-Mitarbeiter erfolgreich ausbilden.

Schlussfolgerung

Die Reise der Mitglieder in die USA hat verdeutlicht, dass ein regelmäßiger Austausch zwischen den USA und Deutschland notwendig ist. In einer Zeit der Ungewissheit ist es wichtiger denn je, die Menschen außerhalb der Regierungen in beiden Ländern zu erreichen und langfristige Beziehungen aufzubauen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn es darum geht, künftige Generationen auf eine neue Wirtschaft vorzubereiten. Die Präsenz deutscher Unternehmen, Einzelpersonen und Organisationen in den Vereinigten Staaten kommt den Regionen, in denen sie tätig sind, sehr zugute, und umgekehrt. Jetzt besteht großer Bedarf an einem starken Engagement für die Beziehungen zwischen den beiden Ländern, mit der Hoffnung, dass sie auch in Zukunft fortgesetzt werden.

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